In der Gegend der apulischen Stadt Foggia stieß am vergangenen Montag ein Kleinbus mit einem Lastwagen zusammen. Die meisten Insassen des Busses mit bulgarischem Kennzeichen starben: zwölf schwarze Erntearbeiter, die nach einem langen Tag in den Tomatenfeldern in ihre Behausungen zurückkehren wollten. Zwei Tage zuvor hatte es in derselben Gegend einen ähnlichen Unfall gegeben, mit einem vollbesetzten Kastenwagen. Dabei starben vier Arbeiter. Papiere besaß keiner von ihnen. Matteo Salvini, der Innenminister von der fremdenfeindlichen Lega, reiste daraufhin in den Süden und versprach, mit dem System der illegalen Erntearbeit aufzuräumen. Sein Kollege Luigi di Maio vom Movimento Cinque Stelle, der Minister für wirtschaftliche Entwicklung, kam ebenfalls in den Süden und erklärte, die Zahl der Inspektoren erhöhen zu wollen.
Die Ankündigungen klingen sonderbar: Denn das Treiben dieser hauptsächlich aus Afrika stammenden Arbeiter findet keineswegs im Verborgenen statt. Wer in Süditalien über das Land fährt, vorbei an den riesigen, meist mit transparentem Kunststoff überspannten Tomatenfeldern, erblickt sie überall. Zehntausende, wenn nicht Hunderttausende solcher Arbeiter muss es geben. Eigentlich leben sie im Verborgenen. Dabei sind sie unübersehbar.
Entstanden ist eine Unterschicht unterhalb aller Unterschichten
Seit einigen Wochen sucht Italien zu verhindern, dass noch mehr Flüchtlinge aus Nordafrika auf die Halbinsel übersetzen, mit Erfolg. Nach außen agiert das Land dabei als souveräner Nationalstaat. Er will selbst darüber entscheiden, wer die Grenzen überschreiten darf und wer nicht. Innerhalb Italiens ist die Lage komplizierter: Denn zwischen den Menschen, die es als Bürger fremder Staaten respektiert, und den Flüchtlingen, die es nunmehr rigoros abweist und also ihrem Schicksal überlässt, wie grausam das auch immer ausfallen mag, ist eine dritte Gruppe von Migranten entstanden: Die "irregolari" ("Irregulären"). Sie leben in Italien, und das oft schon seit vielen Jahren. Fast alle arbeiten. Aber sie sind Gesetzlose, nicht im Sinn des amerikanischen "Outlaws" - denn ein solcher hat die Gesetzlosigkeit selbst gewählt -, sondern in einer negativen Bedeutung, insofern sie nämlich zu einem Leben außerhalb der staatlichen Ordnung gezwungen sind. Der elementare Schutz von Person und Eigentum, den ein moderner Staat seinen Bürgern gewährt, bleibt ihnen vorenthalten. Die Nachteile, die in einem Dasein als Rechtssubjekt liegen, was etwa heißt, Gegenstand der Strafverfolgung werden zu können, dürfen sie hingegen in vollem Umfang genießen.
Das wirtschaftliche System, in dem diese Migranten leben, trägt auf Italienisch den Namen "caporalato": Vermittlung von Schwarzarbeitern. Seine Agenten sind die "caporali" ("Korporale"), selbst oft ehemalige Flüchtlinge. In den frühen Morgenstunden fahren sie zu einem Ort, an dem sich die "irregolari" versammelt haben, laden so viele Arbeiter ein, wie in den Kleinbus hineinpassen, und bringen diese auf ein Feld, wie zuvor mit einem Arbeitgeber (oft Genossenschaften eher fiktiven Charakters, die nur lose an das Arbeitsrecht gebunden sind) vereinbart. Für diesen Dienst kassieren sie eine Vermittlungsgebühr sowie von jedem der Arbeiter eine Transportkostenpauschale. Ein Arbeitstag bringt zwanzig bis dreißig Euro (manchmal gibt es auch weniger) und dauert bis zu zwölf Stunden, was insgesamt auf weniger als die Hälfte der Summe hinauslaufen dürfte, die ein Landwirt einem legal eingestellten, ungelernten Arbeiter mindestens zu zahlen hätte (874,60 Euro pro Monat).
Die Gewerkschaft kann sich nicht um sie kümmern, weil sie keine bürgerliche Existenz besitzen
So entsteht eine Unterschicht unterhalb aller Unterschichten. Darin leben Menschen, die in die Wirtschaft integriert sind, ansonsten aber, jeder für sich, in einem existenziellen Ausnahmezustand leben. Das Proletariat der frühen Industrialisierung scheint in ihnen zurückzukehren, lauter Menschen ohne "Vaterland" (Karl Marx), die buchstäblich nicht mehr verdienen, als sie zur Reproduktion ihres leiblichen Daseins benötigen. Schlimmer noch: Wie sollte unter ihnen auch nur ein Bewusstsein gemeinsamer Not entstehen?
Das System des "caporalato" gibt es schon lange, seit der Industrialisierung der Landwirtschaft im italienischen Süden im 19. Jahrhundert, und es war immer schon ein System der Macht und keines der Rechtmäßigkeit gewesen. Aber es änderte zuletzt seine Gestalt mit den Migrantengruppen, die jeweils durch das Land zogen, und es wurde dabei zunehmend kriminell. Den Afrikanern vorausgegangen sind vor allem Arbeiter aus Osteuropa, aus Bulgarien und Rumänien - manche von ihnen wurden vertrieben, weil die Afrikaner billiger sind, und tauchten dann als Bettler in den großen Städten des europäischen Nordens auf; manche verdienen jetzt an der Infrastruktur des "caporalato", was man unter anderem an den Nummernschildern der Fahrzeuge erkennt.
Tomaten werden in "cassini" gesammelt und transportiert, in großen Kästen, die jeweils etwa 375 Kilogramm fassen: Es kostet den Landwirt drei bis vier Euro, einen davon gefüllt zu bekommen. In diesem Gewerbe, haben italienische Ökonomen ausgerechnet, werden pro Jahr etwa fünf Milliarden Euro umgesetzt, wobei dem Staat etwa 1,8 Milliarden Euro an Steuern verloren gehen. Trotzdem gibt es wenig Interesse des Staates an einer Verrechtlichung dieser Arbeitsverhältnisse. Denn so unerwünscht die "irregolari" der Politik, zumal der gegenwärtigen Regierung, sein mögen: Die Landwirtschaft und mit ihr die italienische Lebensmittelindustrie ziehen ihren Vorteil daraus. Nun beschwerte sich Matteo Salvini zwar bei seinem Besuch in Foggia, die Sklavenwirtschaft auf den apulischen Feldern sei Folge einer europäischen Landwirtschaftspolitik, die den Import von Tomaten aus Tunesien begünstige. Dass die apulische Landwirtschaft sich freiwillig dafür entscheiden würde, nicht mit den billigsten Kräften zu arbeiten, glaubt er indessen vermutlich selber nicht.