Humor:Derselbe Witz kann Identität stiften oder bösartig verspotten

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Doch so einfach ist es nicht. Zwischen der Lesbe und Donald Trump gibt es einen gewaltigen Unterschied. Sie gehört einer Minderheit an und er der Mehrheit in jeder Hinsicht (weiß, männlich, hetero). Trump hat alle Privilegien, die man haben kann, gekrönt von großem Reichtum - und der riesigen Machtfülle des US-Präsidenten. Das erklärt, warum auch ein schlechter Witz über Trump zündet und selbst ein guter über Minderheiten bedenklich erscheint. Humor funktioniert am besten, wenn er nach oben tritt statt nach unten. Die Wahl Trumps zum US-Präsidenten war insofern ein Segen für viele Late Night Shows. Ein Mann war ins Zentrum der Macht gerückt, der nie um seine Privilegien kämpfen musste.

Aber ist das Recht darauf, ausgelacht zu werden, nicht trotzdem legitim? Wenn die weiße Mehrheit über die eingangs erwähnte Lesbe genauso wie über Trump lacht, macht sie die beiden in gewisser Weise "gleicher", oder nicht?

Rainer Stollmann, Professor für Kulturwissenschaft und Lachforscher, weist darauf hin, dass viele Minderheitenwitze ihren Ursprung in der Minderheit selbst haben oder von ihr aufgegriffen werden. Humor und Selbstverspottung sind nicht selten identitätsstiftende Bestandteile vieler Gruppen, die Diskriminierung erfahren. Prominentes Beispiel ist der jüdische Humor, der so scharfe Witze hervorbrachte, dass diese häufig unverfälscht von den Nationalsozialisten missbraucht werden konnten. Auch heute stellt Stollmann fest: "Schwulenwitze etwa, die auf rechten Seiten stehen, lassen sich kaum unterscheiden von den Witzen, die die Schwulen über sich selber machen." Die Frage sei vielmehr: Erzählt jemand den Witz über die eigene Gruppe oder von außen, um sie womöglich zu verhöhnen. Je nachdem, wie die Antwort ausfällt, erhält der Witz eine andere Färbung.

Daran liegt es, dass Serdar Somuncus Provokationen funktionieren. Er ist ja selbst Teil einer Minderheit, die er ebenso satirisch und "politisch unkorrekt" behandelt wie andere Randgruppen. Ganz anders war es bei dem Comedian Chris Tall, dessen "Darf er das?"-Auftritt bei TV-Total vor zwei Jahren viral ging. Da lachte er als Weißer mit einem weißen Publikum über Behinderte und Schwarze. Über letztere: "Das sind normale Menschen. Gut, großer Penis, rennt schnell." Talls Philosophie ist, dass man über Minderheiten nicht nur lachen darf, man muss. Er verstieg sich sogar in der Aussage, dass es Rassismus wäre, es nicht zu tun. Obwohl sein Ansatz dem von Somuncu gleicht, erlebte er ein kritischeres Medienecho, eben weil er als Weißer von außen witzelte.

In einer ungleichen Welt hat der Witz das Potenzial, Minderheiten dauerhaft vom Diskurs fernzuhalten, indem er sie der Lächerlichkeit preis gibt. Rainer Stollmann, der Lachforscher, gibt ein anschauliches Beispiel. Nicht den Judenwitz oder den Polenwitz, sondern den Blondinenwitz: "Neunzig Prozent davon sind unmöglich, dahinter verstecken sich die verletzten Machos und Patriarchen, die teilweise pathologische Angst vor der Frauenbewegung und der Weiblichkeit haben und diese kleinhalten wollen."

Ohne faden Beigeschmack über Minoritäten und diskriminierte Gruppen zu lachen, so richtig zu lachen, das geht wohl nur in einer Gesellschaft, in der absolute Gleichheit zwischen den sozialen, ethnischen und sexuellen Gruppen herrscht. Als "Prüfstein der Wahrheit" empfiehlt Stollmann die kritische Selbstreflexion: "Können Sie spontan und bedenkenlos lachen oder nicht? Wenn nicht, dann bezweckt der Witz wohl eher plumpe Stigmatisierung." Es dürfte also niemanden überfordern, sich bei einem politisch "unkorrekten" Witz vorher zu vergewissern, wie er aufgenommen werden könnte.

Das Late-Night-Publikum von Colbert lag letztendlich intuitiv richtig damit, Burrs Lesbenwitz nicht direkt abzuklatschen, sondern sich zu fragen: Ist das jetzt okay? Auch Serdar Somuncus Witze zielen auf genau diese Selbstbefragung ab. Rücksichtnahme soll aber auch nicht dazu führen, dass alle völlig verkrampfen und so tun, als seien Homosexuelle oder Ausländer gefährdete Tierarten, über die man nur sehr leise spricht und schon gar nicht laut lacht. Dabei kann reflektierter Humor die oft verbissen geführte Debatte über Political Correctness auflockern. Wenn Motiv und Zweck des Witzes nicht zwielichtig oder gar offen menschenfeindlich sind, dann um alles in der Welt: Lacht!

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