Hagia Sophia in Istanbul:"Wir blicken auf eine trauernde Ayasofya"

Foto Impressionen Istanbul

Die Hagia Sophia in Istanbul auf einer Innenaufnahme

(Foto: JOHANNES SIMON)

Einst war die Hagia Sophia die größte Kirche der Christenheit, dann jahrhundertelang Moschee. Mittlerweile ist das wichtigste Wahrzeichen Istanbuls seit acht Jahrzehnten ein Museum. Nun meinen wichtige Parteigänger des türkischen Premiers Erdoğan, sie wieder zur Moschee machen zu müssen.

Von Klaus Kreiser

Als das Istanbuler Teppichmuseum Mitte November neue Räume im Küchentrakt des Hagia-Sophia-Komplexes bezog, war das ein kleiner Staatsakt im Beisein des stellvertretenden Ministerpräsidenten. Bülent Arınç nutzte die Stunde, um über die seit fast 80 Jahren bestehende Rolle der Hagia Sophia als Museum vor laufenden Kameras nachzudenken: "Wir blicken auf eine trauernde Ayasofya und bitten Gott, dass die Tage nicht fern sind, in denen sie wieder lacht."

Die Nutzung als Museum sei schlicht rechtswidrig, eine Wiedereröffnung als Moschee zwangsläufig. In der laizistischen Türkei habe man sich an geltendes Recht zu halten. Das Gesetz über die Vermietung von Immobilien verbiete die Zweckentfremdung von "Andachtsorten", also von Moscheen, Kirchen und Synagogen.

Tatsächlich waren bis Ende der Vierzigerjahre zahlreiche Moscheen, zum Teil mit fadenscheinigen Begründungen, der Spitzhacke zum Opfer gefallen. Der Bezug von Bülent Arınç auf das genannte Gesetz ist jedoch aus mehreren Gründen irritierend. Es trat 1955, also mehr als zwei Jahrzehnte nach der Umwidmung der Sophienmoschee in ein Museum im Jahre 1934 in Kraft, ohne dass eine rückwirkende Geltung vorgesehen war. Das Immobiliengesetz war keine Lex Hagia Sophia, sondern sollte als Bestandsschutz für "Andachtsorte" dienen. Unklar ist ferner, ob es nicht nach Erlass eines neuen Obligationenrechts als aufgehoben zu gelten hat. Und schließlich: Folgte man dem Stellvertretenden Ministerpräsidenten müssten auch in der Republik zweckentfremdete Kirchen wieder ihre ursprünglichen Aufgaben übernehmen.

Überraschend ist, dass sich ein Politiker, der zu den Gründungsmitgliedern der "islamisch-konservativen" AKP gehört, im Fall der Istanbuler Hagia Sophia auf den Paragrafen eines republikanischen Gesetzes beruft, statt auf das Recht des Siegers zu verweisen. In anderen Fällen war jedenfalls eine an die osmanischen Altvorderen erinnernde Rhetorik vorherrschend. Arınç begrüßte in seiner Rede, dass die "kleinen Ayasofyas" von Trabzon und İznik, dem einstigen Nikaia, durch einfache Verwaltungsakte wieder zu Moscheen wurden.

Sollte die erneute Metamorphose der Großen Kirche Justinians beziehungsweise des Ayasofya Müzesi, wie sie in der Türkei heißt, in eine Moschee tatsächlich gelingen, wäre die Bedeckung der Mosaiken und Fresken unvermeidlich, denn der Anblick von Bildern entwertet das muslimische Gebet. Die Uhr wäre auf das Jahr 1931 zurückgestellt, in dem der amerikanische Byzantinist Thomas Whittemore mit Atatürks Placet begann, Gerüste aufzustellen und zwischen den Gebetszeiten die Bilder freizulegen, zu kopieren und zu sichern. Aber schon zuvor war der spätantike Wunderbau für nichtmuslimische Besucher durchaus zugänglich. Im 19. Jahrhundert wurde gewöhnlich eine Eintrittsgebühr erhoben. Vor dem Weltkrieg betrug sie zehn Piaster, etwa der Gegenwert einer Schachtel guter Orientzigaretten.

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