Großformat:Fatale Freundschaft

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(Foto: Bildarchiv Foto Marburg)

25 Jahre nach dem Völkermord in Ruanda: Wie die Deutschen aus den Tutsi und Hutu zwei unterschiedliche Ethnien gemacht haben.

Von Alex Rühle

Am 6. April 1994, am Samstag vor 25 Jahren also, begann der Genozid in Ruanda. Innerhalb von hundert Tagen ermordeten Angehörige der Hutu-Mehrheit zwischen achthunderttausend und einer Million Menschen. Die meisten Opfer waren Angehörige der Tutsi-Minderheit, man schätzt, dass 75 Prozent der ruandischen Tutsi ermordet wurden. Insofern ist der heutige Samstag eine gute Gelegenheit, daran zu erinnern, dass es ursprünglich die Deutschen waren, die aus den Tutsi und Hutu zwei unterschiedliche Ethnien gemacht haben: Als die Deutschen in den Neunzigerjahren des 19. Jahrhunderts vom heutigen Tansania aus in die Gegend vordrangen, die das heutige Ruanda bildet, stellten sie fest, dass die Tutsi mit Viehzucht befasst waren, während die Hutu als Ackerbauern lebten. Die Tutsi waren feudale Grundherren, denen die Hutu, sozial und politisch rechtlos, unterstellt waren. Dass man durch sozialen Aufstieg sein "Hututum" ablegen konnte, dass man umgekehrt nach dem Verlust seiner Rinder seinen Status als Tutsi verlieren und zu einem Hutu werden konnte, war den Deutschen nicht bekannt.

Vielmehr sahen sie in Ruanda eine Theorie bestätigt, die der britische Kolonialforscher John Hanning Speke 30 Jahre zuvor in die Welt gesetzt hatte. Speke war auf seiner Expedition zu den Nilquellen auf hierarchisch und kulturell höchst ausdifferenzierte Gesellschaften gestoßen - was er sich als kerniger Rassist nur durch verschiedene Eroberungswellen von außen erklären konnte. In seinem Bericht "Die Entdeckung der Nilquellen" (1863) machte er die sogenannte Hamitentheorie für die Unterwerfung eines ganzen Kontinents fruchtbar. Es gibt da diese Geschichte im Alten Testament, der zufolge Noah Kanaan, den Sohn des Ham verfluchte, indem er sagte, dieser und alle seine Nachkommen würden als "Sklaven von Sklaven" leben. Später wurde dazugedichtet, die Söhne des Ham seien durch ihre Sünden geschwärzt. Auftritt Speke, der auf seiner Durchquerung des Kontinents immer wieder auf hochgewachsene Gruppen traf, manche mit hellerem Teint, die oftmals auch die Macht innerhalb ihres Territoriums innehatten. Spekes Theorie besagt, dass aus dem nördlichen Afrika "hamitische" Völker ins südliche Afrika eingewandert seien, die nicht nur rassisch näher an den Europäern seien, sondern auch kulturell. Sie hätten jeglichen kulturellen Fortschritt in den "dunklen Kontinent" gebracht, sei doch die "negroide" Urbevölkerung gar nicht kulturfähig. Die Theorie war sagenhaft praktisch, gab sie den Europäern doch Carte Blanche für ihren großen kolonialen Raubzug: Da sie selbst noch weißer sind als die von ihnen erfundenen Hamiten, noch weiter entwickelt, noch rundum großartiger, ist die Ausbeutung Afrikas - dieser Theorie zufolge - ein ganz natürlicher, qua Hautfarbe her gerechtfertigter Vorgang.

Die Deutschen schauten sich bei den Briten ab, wie man ganze Länder beherrscht, ohne selbst viele Soldaten abstellen zu müssen: Sie schmeichelten dem König Yuhi Musinga (hier zu sehen mit dem Hauptmann W. von Grawert, dem damaligen Chef der Verwaltungsbezirke Ruanda und Urundi), dessen Administration ab 1898 für die Deutschen die Verwaltungsarbeit übernahm. Dafür stabilisierten die Deutschen die Herrschaft des Tutsi-Adels über die Masse der Hutu-Bauern. Militär, Verwaltung und die Missionare der White Fathers diskriminierten und benachteiligten gemeinsam die Hutu, politisch wie soziologisch, indem sie ihre Arbeitskraft ausbeuteten, ungerechte Rechtssprechung genauso einführten wie ein Zweiklassen-Steuersystem, Hutu-Kindern ab 1913 den Besuch von Regierungsschulen verbaten und immer wieder mit grausamen Militäraktionen aufkeimenden Widerstand brachen. Die Hutus nannten die Deutschen denn auch "ibisimba", wilde Tiere. Die Deutschen aber geheimnisten in die Tutsi Edelmut und Schönheit heinein: Der Tutsi, schwärmte Hauptmann Wilhelm Langheld im Jahr 1894, vereinige "in seinem Äußeren die Krafterscheinung eines Naturmenschen mit der klassisch schönen Erscheinung der Statue des Praxiteles".

Der Anthropologe Jan Czekanowksi, der 1907 durch Äquatorialafrika gereist war, bestätigte dann die hamitische Theorie für Ruanda. In seinem Reisebericht schrieb er: "Die vor langer Zeit von Norden her eingewanderten Hirtenvölker der Watusi ( Czekanowskis Bezeichnung für Tutsi , Anm . d. Red.) haben den Stamm der Eingeborenen ganz in ihre Abhängigkeit gebracht, seine Sprache aber angenommen. Von hamitischem Element, von einer Ursprache der Watusi, ist nur noch wenig zu finden; wie in so manchen ähnlichen Fällen haben sie sich in sprachlicher Hinsicht den Eingesessenen untergeordnet." Das ist besonders beeindruckend: Czekanowski und einige seiner Kollegen sahen wohl, dass die Tutsi dieselbe Sprache sprechen wie die angeblich so anderen Völker. Das ließ sie aber nicht an ihrem alttestamentarisch fundierten rassischen Aberglauben zweifeln, nein, sie erklärten das einfach weg. Wahn schlug hier die Wirklichkeit, die Unterscheidung der Menschen nach sozialem Status und wirtschaftlichen Aktivitäten wurde biologisiert und ethnisiert, Hutu und Tutsi wurden zu verschiedenen Rassen erklärt. 1916 übernahmen dann die Belgier Ruanda. Knapp 20 Jahre später setzten sie die konstruierte ethnische Differenz in bürokratische Maßnahmen um, indem sie Ausweispapiere einführten, die die ethnische Zugehörigkeit jedes einzelnen Ruanders endgültig fixierten.

© SZ vom 06.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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