Bereits als Kind drehte François Ozon Filme mit der Super-8-Kamera seines Vaters, inzwischen gilt er als einer der erfolgreichsten Regisseure des französischen Gegenwartskinos. Seine Filme zeichnen sich durch Experimentierfreude und die Auseinandersetzung mit Frauenfiguren aus. Denkverbote sind ihm fremd und er liebt die Abwechslung so sehr, dass er einmal sagte, er verstehe jeden Film als Gegenpol zu seinem vorherigen. Nun kommt sein Drama " Jung & Schön " ins Kino, eine Geschichte über eine junge Frau, die aus ihrem behüteten elterlichen Heim ausbricht, indem sie heimlich als Prostituierte arbeitet.
SZ.de: Unsere Gesellschaft ist besessen von Jugend und Schönheit. Ihr neuer Film trägt den Titel "Jung & Schön". Besteht da ein Zusammenhang zwischen dieser Überschrift und unserer Obsession von makelloser Attraktivität?
François Ozon: Ich denke, für die Franzosen bringt der Titel zunächst Ironie zum Ausdruck. "Jeune et Jolie" ("Jung und Schön"; Anm. d. Red.) war der Name einer französischen Jugendzeitschrift für Mädchen im Teenager-Alter mit den üblichen läppischen Inhalten dieser Mädchenhefte, die das ganze Gegenteil von dem behandeln, was im Film gezeigt wird.
Was genau meinen Sie?
Wenn Mädchen "Jeune et Jolie" lasen, sollten sie nicht unbedingt lernen, sich zu prostituieren. "Jung und schön", das ist das Klischee davon, welche Wunschvorstellungen Eltern von ihren Töchtern haben. Doch hinter dem Klischee steht zuweilen etwas Dramatischeres, und davon handelt der Film.
Zuschauern in Deutschland und in englischsprachigen Ländern dürfte sich diese Ironie nicht sofort erschließen. Ich gebe zu: Als ich von Ihrem Film erstmals hörte und die Bilder Ihrer atemberaubend schönen Hauptdarstellerin Marine Vacth sah, da verdächtigte ich Sie, dass Sie den Titel aus Marketinggründen so gewählt haben.
(lacht:) Also, ich weiß nicht, welche Assoziationen der Ausdruck "Jung und Schön" in Deutschand auslöst. Aber im Englischen steht der Titel meines Erachtens für Romantik, die das gefühlsbetonte Lied "Young and Beautiful" von Elvis Presley zum Ausdruck bringt.
Sehr romantisch ist Ihr Film aber nicht, auch wenn er im Kern ein potenziell romantisches Thema behandelt: die Jugendzeit.
Das war eindeutig das Thema, das mich interessiert hat. Die Prostitution ist nicht das zentrale Thema dieses Films. Es hätten auch Drogen sein können, Magersucht oder irgendetwas anderes. Für mich bot "Jung & Schön" die Gelegenheit, die Jugend aus einer ungewöhnlichen Perspektive zu behandeln. Der französische Film neigt zur Nostalgie oder zur Komik, wenn er sich um junge Leute dreht. Ich habe meine Jugend hingegen als etwas Dramatisches erlebt, sie stellt eine schwierige Phase meines Lebens dar. Das wollte ich in einer verdichteten Version in meinem Film zeigen.
Aber diese Geschichte dürfte sich von den Erlebnissen Ihrer Jugend deutlich unterscheiden. Hätte sie auch erzählt werden können, wenn Ihre Hauptdarstellerin Marine Vacth nicht so außergewöhnlich attraktiv wäre, sondern durchschnittlich aussehen würde?
Ich habe mit Psychologen gesprochen, die den Film gesehen haben. Und sehr oft haben sie mir gesagt, dass das Leben für Menschen, die sehr sehr gut aussehen, ein Albtraum sein kann. Das gilt ganz besonders für Frauen.
Kaum zu glauben.
Natürlich ist Schönheit ein großes Glück, das viele Türen öffnet. Gleichzeitig kann sie aber auch zu einer Last werden, die man immer auf seinen Schultern spürt. Denn auffallend attraktive Menschen sind auch besonders hohen Erwartungen ausgesetzt. Und irgendwann reagieren sie mit Verweigerung. Schöne Menschen wollen unanständig sein. Wie Catherine Deneuve in "Belle de Jour": Sie spielt darin eine extrem schöne Frau, die sich mit ungepflegten Typen einlässt. Jeder sagt dann: 'Sie hat das doch gar nicht nötig.' De facto braucht sie es aber, und genau das war es, was mich interessiert hat.
Isabelle, die von Marine Vacth dargestellt wird, scheint unfähig zu sein, zu lieben, oder überhaupt irgendetwas zu fühlen.
Ja, wie so viele junge Leute.
Aber glauben Sie nicht, dass Gefühle bei Erwachsenen oft weniger intensiv ausgeprägt sind als bei jungen Menschen? Viele Erlebnisse von Erwachsenen sind Wiederholungen - das Gefühl einer ersten Erfahrung wie in der Jugend kann oft erst gar nicht entstehen. Ich persönlich bedauere das manchmal.
Sie haben offensichtlich eine nostalgische Erinnerung an Ihre Jugend - bei mir ist das völlig anders. Es gibt unterschiedliche Erfahrungen, und in dem Film geht es zunächst um eine spezielle Person. Ich denke aber, dass es vielen Menschen in diesem Alter schwerfällt, eine Verbindung zwischen ihren Gefühlen und ihrer Sexualität herzustellen. Das wollte ich an Isabelle zeigen. Sie sucht nach etwas. Deswegen prostituiert sie sich, weil sie ihr eigenes Begehren spüren will. Es geht ihr dabei um sich selbst. Sie ist ziemlich frigide und kalt und jagt ihrer Seele hinterher.
Wie sind dann aber die Lieder von Françoise Hardy zu verstehen, die wir im Film vier Mal hören? Die handeln doch ganz im Gegenteil von den intensiven Gefühlen, die junge Menschen typischerweise erleben.
Das stimmt. Manchmal bringen die Lieder genau das zum Ausdruck, was fehlt. Ich finde, dass sie sich sehr gut dafür eignen, diesen Kontrapunkt zu setzen. Doch oft sind sie auch nah an der Geschichte dran. Françoise Hardy ist ziemlich melancholisch in ihren Liedern, in ihnen steckt eine gewisse Traurigkeit, die man auch in den Augen von Isabelle wiedererkennt.
Mit Teenagern, die sexuelle Abenteuer erleben, haben Sie sich in Ihren Filmen schon öfters befasst, etwa in "Sitcom" oder "Tropfen auf heiße Steine". Was reizt Sie an diesem Thema?
Die zwei Filme, die Sie nennen, sind bereits mehr als zehn Jahre alt. Ich habe irgendwann gemerkt, dass ich viele Jahre lang keine Filme mehr über junge Leute gemacht habe, sondern über ältere Menschen. Vor allem seit "Unter dem Sand" setzte ich mich immer wieder mit Erwachsenen auseinander, was wohl an der Zusammenarbeit mit Charlotte Rampling lag, denn das war für mich ein wichtiges Erlebnis. Doch jetzt hatte ich den Wunsch, zu den Teenagern zurückzukehren, und mich mit der Jugendzeit aus größerer Distanz und vielleicht mit mehr Reife auseinanderzusetzen.
Sie meinen, mit den Jahren wächst das Verständnis für die Jugend?
Zumindest macht es mir sehr viel Spaß mit jungen Schauspielern wie Marine Vacth zu arbeiten. Sie hat das Zeug dazu, eine phantastische Schauspielerin zu werden.
Es fällt auch auf, dass Sie den Zuschauer in "Jung und Schön" einmal mehr zum Voyeur machen. Gleich zu Beginn des Filmes beobachtet Victor seine Schwester Isabelle heimlich dabei, wie sie sich sonnt - oben ohne. Auf ähnliche Szenen stößt man immer wieder in Ihren Filmen, etwa in "Dans la maison" oder in "Swimmingpool". Was reizt Sie am Voyeurismus als filmisches Mittel?
Jeder, der ins Kino geht, möchte auf der Leinwand Sex- oder Mordszenen sehen. Und jeder, der diesen Wunsch hat, ist ein Voyeur. Ich bewerte das nicht - es entspricht einfach nur der Realität. Wir wollen im Kino Geschichten erzählt bekommen, doch damit wir den Geschichten bis zum Ende folgen, brauchen wir Gewalt und Sex auf der Leinwand.
Aber es gibt doch tolle Filme, die ohne diese Mittel auskommen?
Ja, sicher. Manchmal wollen Kinogänger in Filmen etwas lernen, doch meistens wollen sie intensive Gefühle spüren. Und die Gefühle sind einfach tiefer, wenn du eine wunderschöne Frau siehst, die nackt ist. Was denken Sie?
Wahrscheinlich muss ich Ihnen recht geben.