Seltsam ist das Gefühl durchaus. Da fliegt der Blick zum Beispiel hoch über dem Nil zum Pharaonenpalast - und folgt einem riesigen Heuschreckenschwarm, der gerade in der Stadt einfällt. Da wandert, ganz von oben betrachtet, ein schwarzer Schatten über die Lehmhäuser der Ägypter - und bringt tausendfachen Tod. Da rollt, aus sicherer Höhe gefilmt, eine gigantische Flutwelle heran, um eine ganze flüchtende Armee aus Reitern, Streitwagen und Speerträgern unter sich zu begraben.
Den winzigen Menschen, die da unten ameisengleich herumwuseln, geht es dabei nicht gut. Das lässt sich nicht wirklich leugnen. Aber man leidet nicht mit ihnen. Beim Anblick der Naturgewalten, Plagen und Katastrophen und Heimsuchungen, die da hereinbrechen, spürt man etwas ganz anderes: den Schauder des Erhabenen, gepaart mit Zufriedenheit. Wie man sich eben möglicherweise so fühlt, als alttestamentarischer Gott.
Immer wieder gibt es diese Momente in Ridley Scotts "Exodus: Götter und Könige", der die Geschichte von Moses noch einmal erzählt, vom Auszug der Israeliten aus Ägypten.
Mit Christian Bale als Moses, wie immer von zuverlässiger Intensität. Zuerst ist er ein großer Heerführer, als adoptierter Sohn des Pharao. Der sich dann mit Ramses (Joel Edgerton), seinem Halbbruder, überwirft und herausfindet, dass er zum Volk der Juden gehört. Um dann vor dem brennendem Dornbusch die Botschaft zu empfangen, dass er dieses Volk aus seiner Sklaverei befreien muss. Die alte Geschichte. Ein Bibelfilm.
Aber im rechten Licht betrachtet, sind eigentlich alle großen Katastrophenfilme Bibelfilme. Auch wenn sie, beispielsweise, von Roland Emmerich sind und gänzlich säkular daherkommen. Wenn Hochhäuser einstürzen und Erdbeben wüten und Kometen einschlagen, dann haben die Menschen in der Wirklichkeit doch meistens nicht den Überblick. Denn rennen sie um ihr Leben, umhüllt von Feuer und Staub.
Mit Computerillusionstechnik zur Machtentfaltung
Wer den Überblick behalten will, um auch die Schönheit und Erhabenheit der Zerstörung zu sehen, muss schauen wie ein Gott. Oder wie ein Soldat am Steuerpult einer Drohne. Von ganz oben, aus sicherer Warte, im Wolkenkinosessel zurückgelehnt. Je mehr Megatonnen und Schubkräfte und Kollisionsenergien das Kino herumwuchten kann, weil seine Computerillusionstechnik immer besser wird, desto näher kommt es göttlicher Machtentfaltung.
Der "Exodus" aber und die Bilder, die er dank der verschiedenen heiligen Schriften in die Köpfe eingepflanzt hat, sind der Ursprung dieses Gefühls: Das erste ganz große, unübersehbare Statement von oben.
Nur logisch also, sich dieser Geschichte jetzt wieder einmal anzunehmen. Und Ridley Scott, der Schöpfer von "Alien" und "Blade Runner", der das detailverliebte Auge eines barocken Schlachtenmalers hat und den Ingenieursverstand eines Weltenkonstrukteurs, ist trotz seines biblischen Alters von 77 Jahren natürlich genau der Richtige dafür. Weil er die Lust an der Zerstörung und den Schauder des Erhabenen kennt und genießt und auch darin schwelgt - aber immer noch zurückgehalten wird von der anderen, der naturwissenschaftlichen Seite seiner Persönlichkeit.
Sehr gut sieht man das, wenn Moses am Roten Meer ankommt - und mit ihm die Millionenschar der Israeliten, die ihm blind vertrauen. Da schaut der große Führer auf diese richtige tiefe Meerenge, die unüberwindbar scheint, und darf erst einmal verzweifeln und sein Schwert im hohen Bogen in die Wellen werfen. Dann legt er sich an den Strand, und es wird Nacht, und er schläft einen unruhigen Schlaf.
Geweckt wird er von einer Möwenschar im Himmel, die ganz aufgeregt schreit - ein herrliches Detail, und genau da ist Ridley Scott am Werk, dessen Ziel es ist, das Wunder erst einmal weiter mit Plausibilität zu unterfüttern.
Und dann schaut Moses aufs Meer, und der Knauf seines Schwertes, das gestern noch im Wasser verschwunden war, ragt nun hervor, und mit Hilfe dieses unerlässlichen Markierungspunkts erkennt man jetzt auch, dass eine sehr starke Strömung herrscht. Das Meer teilt sich nicht in turmhohe Wälle, wie noch in Cecil B. DeMilles Klassiker "Die Zehn Gebote". Es fließt einfach davon.
Innerhalb der Grenzen der Physik
Das zweite Buch Mose unterstützt diese Lesart sogar: "Da nun Mose seine Hand reckte über das Meer, ließ es der HERR hinwegfahren durch einen starken Ostwind die ganze Nacht und machte das Meer trocken", heißt es da.
Nur die nächste Passage, mit dem Wasser als "Mauern zur Rechten und zur Linken", die musste Ridley Scott dann eben ignorieren. Das Meer fließt erstmal weg, die Israeliten marschieren hindurch, und wenn das ägyptische Heer ihnen nachfolgt, kehrt es zurück - als eine riesige rollende Tsunamiwelle. Aber alles innerhalb der Grenzen der Physik.
"Die Erfahrung, Gott zu sein - ich kann mir nichts vorstellen, was stärker süchtig macht", hat der große Zukunftsdenker Kevin Kelley einmal geschrieben, als er über Computerspiele wie "Civilization" oder "Populous" nachdachte, wo der Spieler genau diese Aufgabe haben.
Auch Katastrophenfilme und Bibelfilme sind solche "God Games", aber natürlich tausendmal detailreicher und feiner gepixelt. Am größten ist ihre Suchtgefahr sicher für die Macher selbst. Roland Emmerich dreht zwischendrin zum Beispiel gern mal ein Shakespeare-Drama, um ab und zu den Entzug zu schaffen.
Katastrophenfilme können aber auch beim Betrachter ein seltsame Gier auslösen, den ewigen Wunsch nach mehr. Die ganzen Materialschlachten des modernen Blockbuster-Filmemachens sind im Grunde auch eine Antwort auf diese Gier. Noch größer, noch katastrophaler, noch zerstörerischer - da wird dann alles wieder weggeräumt, was der Mensch geschaffen hat, und er selbst gleich mit.
Man schaut das an, man spürt, wie aufwühlend es noch immer ist - und lernt, selbst wie ein rachsüchtiger Gott zu denken.
Exemplarisch merkt man das in einer Szene, in der die Ägypter mit ihrer ganzen Armee anrücken, um Moses und sein Volk doch noch zu vernichten. Da rasen dann Hunderte von Streitwagen über einen engen Bergpass, die Räder tanzen auf dem Schotter, unter ihnen klafft der Abgrund. Dann bricht eine Achse, ein Wagen stürzt in die Tiefe, es gibt Karambolagen, weitere Wagen und Krieger purzeln ins Nichts .
Es ist toll. Und gerade in dem Moment, wo man sich fragt, ob das schon alles war, erhört uns der böse Gott, der eigentlich Ridley Scott ist, und er sagt: Noch lange nicht. Als nächstes sackt dann der gesamte Berghang weg, in einer gewaltigen Lawine aus Mensch, Pferd und Geröll.
Exodus: Gods and Kings, GB/USA/ES 2014 - Regie: Ridley Scott. Buch: Adam Cooper, Bill Collage, Jeffreu Caine, Steven Zaillan. Kamera: Dariusz Woslki. Mit Christian Bale, Joel Edgerton. Fox, 151 Min.