Nachruf:Sprung in die Freiheit

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Kraftladung: Ernst-Ludwig Petrowsky bei einem Auftritt 1982. (Foto: Mary Evans/imago images)

Ernst-Ludwig Petrowsky ist tot, Pionier des Free Jazz in der DDR und auch im Rest der Welt.

Von Andrian Kreye

Ernst Ludwig Petrowsky ist gestorben, einer der Giganten des deutschen Jazz, erst in der DDR, dann nach dem Mauerfall auch weltweit. Luten, wie sie ihn nannten, nach dem plattdeutschen Ludwig, weil er in Mecklenburg geboren war und sich immer als einer von dort verstand. Saxofon, Klarinette und Flöte spielte er. "Die falschen Instrumente", wie er ab und zu mal sagte, weil die Gitarre auch schon auf dem Vormarsch war, als er in den Fünfzigerjahren mit dem Jazz begann. Damals, als der noch als Kapitalistenmusik unter Generalverdacht stand. Aber mit der Rockmusik konnte er nichts anfangen. Kein Swing.

Mit Uschi Brüning teilte er seit 1982 nicht nur das Leben. Die beiden waren ein symbiotisches Duo. Petrowsky als treibende Kraft in die musikalische Freiheit. Mit ihr gemeinsam war er auch berühmt geworden. Vor allem, als sie mit Manfred Krug auf Tour gingen. 1962 schon hatte Petrowsky zu seinem Sextett gehört, als Krug noch weniger Erwachsenenpop, sondern vor allem Jazz spielte. Vielleicht nicht den, dem Petrowsky bald schon verfiel. Der beherrschte zwar sämtliche Spielarten, Swing, Be Bop, Cool.

Die Gemeinde der Freejazz-Musiker war in der DDR noch ein bisschen verschworener, als jenseits der Mauer

Es waren dann aber Ornette Colemans Befreiungsschläge, in denen er sich wiederfand. Das war der Sprung in die Freiheit, für den man gar nicht rübermachen musste. Er entwickelte einen Ton, der sich auch aus einem Charlie-Parker-Standard wie "Anthropology" nach Brünings Scat-Akrobatik und Pianist Detlef Bielkes Temposwing in eine Clusterwand auf dem Alt steigern konnte, die wie eine Felswand vor dem Outro stand. Reines Kraftpaket. Auf dem Altsaxofon war das immer ein Kunststück.

Die freie Musik fand sich in der DDR bald schon zu einer Gemeinde zusammen, die noch ein bisschen verschworener war, als ihre Pendants jenseits der Mauer. Der Schlagzeuger Günter "Baby" Sommer und der Bassist Klaus Koch waren seine Mitverschwörer. Als Ausnahmemusiker durfte Petrowsky schon früh in den Westen reisen. 1968 spielte er auf dem Festival in Montreux. In Berlin traf er Gleichgesinnte wie Alexander von Schlippenbach, das Kollektiv des Globe Unity Orchestras, die sich aus der Musikindustrie auf ihr eigenes Label FMP gerettet hatten, und vor allem Peter Brötzmann, seinen buchstäblichen Bruder im Geiste.

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Nach dem Mauerfall wurde zumindest das Reisen leichter. Petrowsky spielte jetzt in aller Welt, tourte mit dem George Gruntz Orchestra und dem Globe Unity. Auf über 100 Alben soll er mitgespielt haben, in den digitalen Listen findet sich nur ein Bruchteil. Krank war er nun schon länger. Als er im vergangenen Jahr in Bremen nach den vielen Preisen auch noch den Deutschen Jazzpreis für sein Lebenswerk bekam, musste seine Ehefrau und musikalische Weggefährtin Uschi Brüning ihn für ihn in Empfang nehmen. Ein kurzer Moment der Melancholie an einem sonst so jubelvollen Abend. Am Montag ist er nun in Berlin gestorben. Er wurde 89 Jahre alt.

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