Dietrich Brüggemann über Satire "Heil":"Rechtsradikalismus ist kein Betriebsunfall"

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Schwere Waffen wollte Dietrich Brüggemann seinen Neonazis im Film (u.a. Benno Fürmann, Mitte) nicht in die Hand geben - Baseballschläger fielen offenbar nicht darunter. (Foto: dpa)

Der NSU hat Dietrich Brüggemann zu seiner Satire "Heil" inspiriert. Ein Gespräch über Neonazis, die bei ihm keine großen Waffen tragen dürfen, und die Reflexe der deutschen Debattenkultur.

Von Paul Katzenberger

Mit "Kreuzweg" gewann Dietrich Brüggemann bei der Berlinale im vergangenen Jahr den "Silbernen Bären". Nur ein Jahr später gelang dem 39-Jährigen eine weitere Platzierung bei einem A-Festival: sein Film "Heil" wurde in den Wettbewerb der 50. Internationalen Filmfestspiele von Karlsbad eingeladen. Am Rande des Festivals fand der Filmemacher Zeit, über die Neonazi-Satire zu reden, zu der ihn der NSU-Skandal inspiriert hat.

SZ.de: Sie haben Ihren neuen Film als schwarze Komödie konzipiert, in der jeder schlecht wegkommt: Neonazis, Antifaschisten, Verfassungsschutz, Politik, Presse, Kulturbetrieb...

Dietrich Brüggemann: Das hat etwas sehr Befreiendes. Es hat aber auch eine klare Richtung: Neonazis wollen in Polen einmarschieren und kriegen Hilfe aus allen Teilen der Bevölkerung.

Den Neonazis in Ihrem Film geht es gar nicht so sehr um eine rassistische Ideologie, sondern mehr um Posten oder öffentliche Aufmerksamkeit für die eigene Person. Glauben Sie, dass die Neonazis wirklich vorrangig darauf aus sind?

Einspruch, es geht im Film um beides, und es geht um Macht. Wenn man sich mit Neonazis auseinandersetzt, hört und liest man immer wieder von großen Egos, die da miteinander konkurrieren. Große Ich-Bezogenheit gepaart mit einer nicht so großen Intelligenz sind Voraussetzungen, um ein guter Neonazi zu sein. Das führt dann automatisch zu Grabenkämpfen und hoffentlich zu Schlachten wie an der Oder, bei der sich Neonazis gegenseitig erschießen ( wie im Film, Anm. d. Red.).

Das heißt, Sie finden die Ideologie gar nicht so gefährlich?

Der Film zeigt doch vorher ausführlich, wie Nazis sich als Normalbürger tarnen oder ihre rassistische Ideologie einem Afrodeutschen in den Mund legen, woraufhin das ganze Land applaudiert. Da sollten doch eigentlich keine Fragen offen bleiben. Die Ideologie als solche ist mit Sicherheit schon gefährlich. Doch ihre Vertreter sind eben trotzdem oft so egomanisch, dass sie sich niemals unter einer Fahne zusammenschließen werden. Und wenn doch, werden sie bald wieder im Streit auseinandergehen. Siehe AfD. Außerdem lag für mich in den Machtkämpfen auch mehr komisches Potenzial als im rassistischen Element.

Kalle, Johnny und Sven, die Neonazis, die Sie zeigen, sind zwar keine Sympathieträger, sie sind aber auch keine Monster. War es Ihnen ein Anliegen zu zeigen, dass Neonazis auch Menschen sind?

In einer Szene des Films sagt der Redakteur zu seinem Reporter: "Zeigen Sie den Menschen hinter den Neonazis!" Dietrich Kuhlbrodt ( Filmkritiker und Schauspieler, Anm. d. Red.) hat schon in den Neunzigerjahren bemängelt, dass der deutsche Nazi-Kostümfilm immer nur Nazis als Menschen zeigt und nicht Menschen als Nazis. Der zweite Ansatz ist der Weg, den wir im Film gehen. Wir zeigen Menschen in ihrer ganzen Idiotie und Nazis in ihrer ganzen Banalität.

Beschönigen Sie damit nicht die Realität?

Ich reise gerade mit dem Film durch die Kinos, und die Leute sind am Ende immer ziemlich schockiert, auch vom Ausmaß der Gewalt. Ich glaube nicht, dass wir da irgendwas beschönigen. Je nachdem, wie man es macht, bekommt man entweder Verharmlosung oder Verherrlichung vorgeworfen. Ich finde Verherrlichung gefährlicher. Ich habe meinen Figuren bewusst verweigert, die ganze Zeit als supergefährliche Bösewichte mit Waffen herumzulaufen, vor denen man echt Angst haben muss.

Warum?

Weil sich damit eine Faszination einstellt. Im Kino ist das ja wahnsinnig sexy, so eine erotische Gefährlichkeit, wenn die dauernd mit großen Waffen hantieren. Da habe ich entschieden: Gibt's jetzt einfach nicht für die. Aber das, was sie im Film sind, finde ich auch noch schlimmer. Sie sind gewaltbereite Witzfiguren mit Waffen und ohne Tötungshemmung. Wir erheben nur nicht in jeder Szene den pädagogischen Zeigefinger, sondern lassen Situationen ohne Vorwarnung in Gewalt umkippen. Das ist nicht beschönigend, sondern im Gegenteil näher an der Realität.

Ist es vor dem Nazi-Hintergrund unserer Geschichte nicht geschmacklos, das Thema Rechtsradikalismus satirisch auf die Schippe zu nehmen?

Nein, denn Rechtsradikalismus ist kein Betriebsunfall, sondern eine Haltung, die man sich aus freien Stücken aussucht. Und über alles, was Menschen freiwillig tun, darf man sich auch lustig machen.

Aber Nazi-Deutschland war eine Vernichtungsmaschine - ist Humor da angebracht?

"Heil" handelt gerade nicht vom Nationalsozialismus als historischer Epoche, darüber würde ich auch keine Witze machen wollen. Es handelt vom heutigen Deutschland und seinem wie auch immer gestörten Verhältnis zur NS-Zeit. Wir haben alle eine Verbindungslinie dahin, wie in einer Großfamilie, in deren vierter Generation sich die 300 Urenkel zwar nicht mehr kennen, aber alle haben denselben Urgroßvater. Und alle haben irgendeine Beziehung zu ihm. Die einen mögen ihn, die anderen finden ihn schrecklich. Dieses gespannte Verhältnis, das alle zu diesem Nullpunkt haben, das ist doch das Interessante in Deutschland. Der NSU-Komplex hat das zum Vorschein gebracht und mich zu diesem Film inspiriert.

Hat der NSU-Komplex nicht schlicht etwas mit dem Versagen der Ermittlungsbehörden zu tun - und weniger mit unserem gespannten Verhältnis zur NS-Vergangenheit?

Der NSU-Komplex hat nicht nur mit dem Versagen der Polizei zu tun, sondern mit dem Versagen der Politik, des Verfassungsschutzes, des einfachen Mannes auf der Straße. Er ist eine Blamage für ganz Deutschland. Deswegen war es für mich ein absolut logischer Schritt, Neonazis nicht als abgeschlossenen Forschungsgegenstand zu betrachten, sondern einen Film über ganz Deutschland zu machen.

"Läuterungsgeschichten sind Illusionen von Sinnhaftigkeit und Entwicklung zum Besseren", findet Regisseur Dietrich Brüggemann. Er drehte deshalb lieber eine Satire. (Foto: Carlos Alvarez/Getty Images)

Warum haben Sie ihr Vorhaben in einer Satire umgesetzt? Man hätte einen Neonazi-Film ja auch in anderer Weise in Beziehung zu Deutschland setzen können - als Drama etwa, wie David Wnendt in seinem Film "Die Kriegerin".

Ja, aber das hatte David Wnendt ja gerade schon gemacht. Das deutsche Kino arbeitet da üblicherweise mit Einfühlung, Empathie und Identifikation. Also ein Narrativ, das zu verstehen versucht, und den eigentlichen Ursachen unter der Oberfläche nachjagt. Das sind Läuterungsgeschichten: Der Mensch hinter dem Nazi findet den Weg heraus und wird zum ganzen Menschen. Das sind die klassischen Erlösungserzählungen des Entwicklungsromans und des Erzählkinos.

Was ist so schlecht daran?

Es sind Illusionen von Sinnhaftigkeit und Entwicklung zum Besseren, die hier konstruiert werden. Wir brauchen das zum Leben, deswegen funktionieren Filme meistens so. Aber spätestens nach der NSU-Geschichte dachte ich mir, dass man bei diesem Thema mit dem üblichen Drehbuchhandwerk überhaupt nicht weiterkommt. Die Groteske schrieb sich hier doch selbst: Diese Ermittlungsbehörden, die überhaupt nicht miteinander reden, und diese grausigen Neonazi-Kreise in Thüringen, aus denen die Täter kamen. Da ist nihilistische Satire das viel bessere Medium, das zu erzählen..

Satire kann ja auch leicht mal danebengeraten.

Jeder Film kann danebengeraten. Es gehört zum Wesen der Kunst, dass es danebengeraten kann.

In "Heil" geht es viel um das Vergessen. Die Hauptfigur vergisst, wer sie ist, und in einer Szene des Films wirft ein Politiker die Frage auf, ob Gedächtnisschwund die Bedingung dafür sei, Deutschland regieren zu können. Was genau wollten Sie damit sagen?

Unsere Erinnerungskultur in Bezug auf die Nazizeit beschwört das Vergessen als etwas, das auf keinen Fall passieren darf. Bei dieser ritualisierten Form des Gedenkens lässt es sich gar nicht vermeiden, dass sie ihren Gegenstand einschließt und abkapselt. Da hat man dann in jeder Stadt ein Holocaust-Denkmal und findet das schön und setzt sich daneben und isst ein Eis. Das, worum es dabei geht - das nackte Entsetzen -, ist darin eingeschlossen. Wie ein Insekt in Bernstein, das einen auch nicht mehr stechen kann.

Was wäre die Alternative?

Es gibt keine. Deswegen würde mich auch niemals gegen diese Erinnerungskultur aussprechen. Letztendlich funktioniert es aber nicht, die Erinnerung kollektiv wachzuhalten. Erinnerung ist immer Sache des Einzelnen. Dafür reicht es, Berichte von Zeitzeugen zu lesen, ob das nun das "Tagebuch der Anne Frank" ist oder "Die Geschichte eines Deutschen" von Sebastian Haffner. Oder man schaut sich einen dieser Stolpersteine in München an und fragt sich: "Wer hat hier gelebt und wie hat das geendet?" Schon fällt man ins Bodenlose.

"Heil" wirkt wie eine Antithese zu "Kreuzweg", ihrem vorherigen Film. Haben Sie als Regisseur den Anspruch, sich einmal in jedem Genre bewegt zu haben?

Ich habe keine Lust, mich vorhersehbar zu machen. Ich finde es immer seltsam, wenn Leute ihren Stil gefunden haben und jeder ihrer Filme gleich aussieht. Ich persönlich finde es viel spannender, mit jedem Film etwas ganz Neues zu erschaffen, sich selbst zu überraschen. Meine Hausgötter von Monty Python fangen ja jede ihrer Shows mit dem Hinweis an: "Now for something completely different."

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