Deutsches Kino bei der Berlinale:Teufelsmusik

Berlinale 2014 ? 'Die geliebten Schwestern'

Die Schauspieler Henriette Confurius (l) als Charlotte Lengefeld, Florian Stetter als Friedrich Schiller und Hannah Herzsprung als Caroline von Beulwitz in einer Szene des Films "Die geliebten Schwestern".

(Foto: dpa)

Entwarnung nach dem ersten Festivalwochenende: Das deutsche Kino liegt mit Dominik Grafs zärtlichem Film "Die geliebten Schwestern" und Dietrich Brüggemanns "Kreuzweg" sehr gut im Rennen. Sie spielen fernab deutscher Klischees.

Von David Steinitz

Nachdem das deutsche Kino im diesjährigen Wettbewerb mit vier Beiträgen besonders stark vertreten ist und der erste - das rührselige Drama "Jack" - eine ziemliche Selbstkasteiung war, kann jetzt nach dem ersten Festivalwochenende Entwarnung gegeben werden: Das deutsche Kino liegt sehr gut im Rennen. Dominik Grafs zärtlicher Liebesfilm "Die geliebten Schwestern" über Friedrich Schillers Dreiecksverhältnis mit zwei Mädchen aus verarmtem Adel und Dietrich Brüggemanns "Kreuzweg", der den Kampf eines jungen Mädchens zwischen Glaube und Pubertät schildert - wegen seiner Mutter muss es nach den strengen Regeln der erzkatholischen Priesterbruderschaft Pius XII. leben, - waren die stärksten Filme der vergangenen Wettbewerbstage.

Dabei war besonders die Neuverfilmung des Alain-Delon-Klassikers "Endstation Schafott" aus dem Jahr 1973 heiß erwartet worden: Der französische Regisseur Rachid Bouchareb hat in "La voie de L'ennemi/Two Men in Town" die Geschichte um einen Ex-Häftling, der von einem Kleinstadt-Cop schikaniert wird, mit Forest Whitaker und Harvey Keitel in der staubigen Wüste an der amerikanisch-mexikanischen Grenze als Neo-Western neu inszeniert.

Tatsächlich hat der Film ein paar sehr skurrile Szenen, etwa wenn Whitakers resolute ältere Bewährungshelferin (Brenda Blethyn) abends einsam auf der Veranda sitzt, Chansons hört, mitsingt und währenddessen ihre Dienstwaffe poliert. Trotzdem zerfasert "La voie de l'ennemi" bald bei dem Versuch, der Geschichte aktuelle Brisanz einimpfen zu wollen, weil Bouchareb die geläuterte Häftlingsfigur zum Islam-Konvertiten umschreibt, was dann doch ein bisschen viel wird.

Zwischen Familiendrama und sozialkritischer Ambition

Ähnlich verhält es sich mit dem argentinischen Wettbewerbsbeitrag "Historia del miedo/History of Fear" von Benjamin Naishtat. Hier geht es um die Paranoia einer Gesellschaft, die sich in Gated Communities verschanzt. Doch Naishtats Film hängt zwischen Familiendrama und sozialkritischer Ambition unglücklich in der Luft - was ja sonst gern übers deutsche Kino gesagt wird.

Aber es geht eben auch anders, wie etwa Dietrich Brüggemanns "Kreuzweg" zeigt. Wir sehen zu, wie die 14-jährige Maria (Lea van Acken) zwischen den religiösen Ansprüchen ihres Elternhauses und ihrer Kirche, die sie vor der Bravo und den "dämonischen Rhythmen" aus dem Radio bewahren wollen, und der Teenager-Realität, die ihr die Schule und ihr Körper diktieren, zerbricht.

Utopie eines anderen Liebesmodells

Brüggemann und seine Koautorin und Schwester Anna Brüggemann gliedern ihre Geschichte in die vierzehn Stationen des Kreuzwegs, jede in einer einzigen Einstellung gedreht. Eine starre und strenge Form, praktisch ohne Schnitte und Kamerabewegungen, die Brüggemann, der zuletzt die Studenten-WG-Komödie "3 Zimmer/Küche/Bad" gemacht hat, aber einfallsreicher und gewitzter zu nutzen weiß als so mancher Kollege, der sich der vollen Technikpalette bedient.

Wie die Welten aufeinanderprallen, ist zunächst sehr komisch anzusehen, wirkt skurril, wenn etwa das Mädchen vom Priester gesagt bekommt, dass es den Keks zurück in die Schale legen soll, weil auch kleine Opfer es näher zu Gott bringen. Oder das Mädchen sich im Sportunterricht nicht zu Roxette aufwärmen darf - Teufelsmusik! Als es der ewige Zwiespalt aber immer mehr abmagern lässt und sogar ins Krankenhaus bringt, wo ihm der Kirchenmann prophylaktisch eine Hostie zur letzten Kommunion in den Mund stopft, bleibt einem das Lachen im Hals stecken. Wie der Kreuzweg endet, wissen wir ja.

Vom diabolischen Priester zum leidenschaftlichen Schiller

Der Priester wird wunderbar diabolisch-jovial gespielt von Florian Stetter - der wiederum auch in "Die geliebten Schwestern" zu sehen ist, als leidenschaftlicher Schiller unter erotischem Hochdruck. Die Affäre, die der Dichter kurz vor der Französischen Revolution im heißen Sommer 1788 in Rudolstadt mit zwei schönen Schwestern eingeht - Hannah Herzsprung und Henriette Confurius - beruht auf Vermutungen, die nie ganz belegt werden konnten, weil viele Briefe und andere Schriftzeugnisse nicht mehr erhalten sind. Aber solche Lücken zu füllen, Sehnsüchten auf die Spur zu kommen, ist ja ureigene Tugend des Kinos, der Dominik Graf mit großer Lust nachgeht. Er selbst ist als Erzähler dieses Beziehungsgeflechts aus dem Off zu hören, das die Utopie eines anderen Liebesmodells als der Zweisamkeit Wirklichkeit werden lassen soll.

Grafs Kosmos ist schon immer auf Zitate angelegt gewesen, er zitiert sogar sich selbst. Zum Beispiel wiederholt er mit Stetter und Herzsprung eine ganze Liebesszene, die er so schon im hervorragenden Fernsehfilm "Die Freunde der Freunde" von 2002 mit Matthias Schweighöfer und Sabine Timoteo gedreht hat. Das hat überhaupt nichts Kokettes, sondern illustriert den Zwang aller großen Filmemacher, die eigenen Sujets und Obsessionen immer wieder zu umkreisen und neu zu bebildern.

Das funktioniert vor diesem historischen Hintergrund, der ein ganz anderes Erzähltempo, andere Emotionen und Hysterien heraufbeschwört, noch besser als in Grafs heutigen Geschichten. Ein mit großem Intellekt gedrehter Film, keine Frage, aber aus einem ebenso großen romantischen Ethos heraus. "Ich hielt mich", notierte Schiller nach den ersten Treffen mit seinen Mädchen, "bislang für die Liebe ungeeignet. In diesem Sommer sind mir an meiner Liebes-Unfähigkeit zum ersten Mal Zweifel gekommen. Und ich bin sehr glücklich darüber."

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