Man fragt sich ohnehin, wie Andreas Wilcke all diese Investoren, Makler, Bauherren dazugebracht hat, so vor seiner Kamera zu reden, wie sie das tun. Wohnungen sind kein Zuhause, sondern ein Spekulationsobjekt, es gibt hier auch kein Recht mehr auf Wohnen, man muss es sich leisten können. Deutsche Städte waren, spätestens seit der preußische Stadtplaner James Hobrecht 1868 das Ziel vom "empfehlenswerten Durcheinanderwohnen" aller Schichten ausgab, stets Integrationsmotoren.
Auch in der Wohnungswirtschaft der BRD war das sogenannte Durchmischungsideal zutiefst verwurzelt - und so ziemlich jeder deutsche Kommunalpolitiker hat mal den Satz gesagt von der Stadt, die doch für alle da sein solle. Gerade für Berlin galt diese Devise noch, als München schon komplett durchgentrifiziert war. Dieser altbewährte urbansoziologische Vertrag wird in diesem Film von Seiten der Bauwirtschaft und Investoren so aggressiv wie selbstverständlich aufgekündigt. Geradezu pikiert und ungeduldig fragt Thilo Freiherr von Stechow, Vorstandsmitglied der GSW, einmal: "Muss denn ein Hartz-IV-Empfänger am Potsdamer Platz wohnen?"
Schicksale wie das der eingangs erwähnten Cornelia Hentschel sind Kollateralschäden, der Kampf gegen sie lästige Rituale, die von vornherein miteingepreist werden. "Ansprechpartner" haben sie den ganzen Film über nicht. Das Erschütterndste an Wilckes Langzeitdokumentation ist, wie sprach- und hilflos die Politiker sind.
Was schaffen die Investoren? Architektonische Monokultur, totale Kleinstadtdepression
Besonders Michael Müller, der während der Dreharbeiten Senator für Stadtentwicklung war, hat keine Antwort auf gar nichts. Der Mann ist heute Regierender Bürgermeister, im September will er wiedergewählt werden. So wie es aussieht, wird es danach kaum besser werden: Müllers Nachfolger als Stadtentwicklungssenator, Andreas Geisel, machte kürzlich erst wieder den Grußaugust für die Bauwirtschaft: Als die Bauwert, einer der deutschen Großinvestoren, zum Richtfest für die Kronprinzengärten lud, hielt er die Begrüßungsrede - direkt neben der durch die Bauarbeiten schwer demolierten Friedrichswerderschen Kirche.
Wenn aber die Politiker derart sprachlos bleiben, müsste der Film, statt sich immer neu in elegisch-impressionistischen Abrissbildern zu ergehen, selbst aggressiv weiterfragen: 1990 gab es in Berlin 350 000 Sozialwohnungen, heute sind noch 120 000 davon übrig. Wie konnte es passieren, dass Hunderttausende Wohnungen aus der Mietpreisbindung entlassen wurden - und, wie der Stadtsoziologe Andrej Holm kürzlich auf seinem hervorragenden "Gentrificationblog" vorrechnete, jetzt 130 000 Wohnungen für sozial Schwächere fehlen? Warum nützt ihnen die vor einem Jahr implementierte Mietpreisbremse so gar nicht? Was müsste die Politik tun, damit aus der "Beute", also Berlin und all den anderen Städten, endlich wehrhafte Gegner werden? Und was passiert, wenn genau die Studenten, Künstler, schrägen Typen, die das Ambiente herstellen, mit dem hier fortwährend geworben wird, sich das Viertel von dem Moment an nicht mehr leisten können, wo sie neue Wohnungskäufer angelockt haben?
Zumindest auf die letzte Frage gibt der Film eine niederschmetternde Antwort: Die Schlussbilder zeigen architektonische Monokultur, nagelneue pseudohistorisierende Kästen von der Stange, totale Kleinstadtdepression, mitten im angeblich so aufregend vielseitigen Berlin. Wenn diejenigen, die in diesen Würfeln wohnen, ihren Kindern einstmals Andreas Wilckes Frontbericht zeigen, werden die kaum verstehen, dass er von derselben Stadt redet, in der sie selber leben.
Die Stadt als Beute, D 2016 - Regie, Buch, Kamera: Andreas Wilcke. Schnitt: Jan Liedke, Steffen Bartneck. Tonmischung: Gerald Mandl. Musik: Rudolf Moser. Verleih: Wilckefilms, 82 Minuten.