Canaletto-Ausstellung in München:Kein Plüsch, nirgends

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Venedig, München, Dresden: Der Maler Bernardo Bellotto, genannt Canaletto, zeigte auf phantastischen Panoramen das Leben in den großen Städten des 18. Jahrhunderts. Er malte für die Fürsten seiner Zeit - und kritisierte sie doch subtil in seinen Bildern.

Von Kia Vahland

Vedutenmalerei? Bekommt man an jeder Ecke auf dem Markusplatz in Venedig, bei den fliegenden Händlern am Seine-Ufer, bei den Straßenmalern am Rande der Berliner Museumsinsel. Die in rosablaues Licht getauchten Ansichten alter Städte stehen im Ruf niederer Ware. Vielleicht aber hat es seinen Sinn, dass sich Stadtbilder trotzdem über die Jahrhunderte hinweg bestens verkaufen und Stiche mit Türmen, Häuserfronten, Marktplätzen in vielen Wohnzimmern und Hotels hängen.

Manche dieser Bilder mögen scheußlich sein; das Bedürfnis aber, seine Stadt zu kennen, sich der Häuser, Kirchen und Brücken immer wieder zu versichern, ist nur lebensklug. Die alten Bauten könnten schließlich auch verschwinden, könnten in sich zusammensinken unter den Baggern heute, den Kanonen früher, unter Sturm und Hagel, Fluten, Einkaufszentren, Parkhäusern oder anderer Unbill. So gesehen hat die alte Vedutenmalerei nichts an Aktualität und Dringlichkeit eingebüßt.

Kein Plüsch, nirgends

Wie glanzvoll, klug und kunstfertig sie zu ihren besten Zeiten war, ist jetzt in einer Münchner Ausstellung in der Alten Pinakothek zu sehen. Nach Langem ist dies wieder eine hoch ambitionierte Schau mit zahlreichen internationalen Leihgaben, umfangreichen Restaurierungen, dickem Katalog. Dem Vorurteil, man habe es mit einem betulichen Genre zu tun, wird schon auf den ersten Blick widersprochen: Die goldgerahmten Gemälde hängen auf schlicht blaugrauen Brettern. Und in einem Kabinett reagiert der 1974 geborene Fotograf Elmar Haardt mit lakonischen München-Aufnahmen auf die alten Gemälde. Kein Plüsch, nirgends.

Schließlich ist die Hauptperson der Ausstellung ein weltgewandter, vom Leben nicht gerade verwöhnter Geschäftsmann aus Venedig: Bernardo Bellotto (1722-1780). Der Enkel eines Bühnenbildners ging bei seinem Onkel Giovanni Antonio Canal (1697-1768) in die Lehre, bald durfte er dessen Künstlernamen Canaletto mitbenutzen. Schon die Zeitgenossen hatten deshalb Mühe, die beiden auseinanderzuhalten - dabei ist das gar nicht so schwer, wie die Schau zeigt: Der Neffe liebt das Theatralische, lässt seine Figuren posieren, fügt Bettler, Kranke und andere Passanten ein, und er wagt sich auch an monumentale Hochformate.

Für Touristen zu malen, reichte nicht mehr

Der Onkel agiert staatstragender, bedächtiger, seine Lieblingsmotive findet er mit wenigen Unterbrechungen zeitlebens in der Lagune von Venedig - während der Neffe bald versteht, dass es nicht mehr reicht, für wohlhabende Engländer und andere Touristen zu malen, wenn die europäischen Kleinkriege das Reisen immer gefährlicher machen. Also dient sich Bellotto den Höfen an und führt fortan europäischen Fürsten und Königen die Städte und Landschaften vor Augen, über die sie gebieten.

Seine neuen Herren wissen zumeist, dass Egozentrik in Zeiten einer immer selbstbewussteren Bürgergesellschaft nicht mehr gut ankommt. Sie brauchen keinen Porträtmaler, der sie in vollem Ornat in Szene setzt, sondern einen Künstler, der zeigt, wie gut es scheinbar tut, unter gerade dieser Herrschaft zu leben. Im Jahr 1748 beruft August III., Kurfürst von Sachsen und König von Polen, Bellotto zum Hofmaler mit bestem Salär. Ein Jahr später malt der Künstler den Dresdner Neumarkt mit frisch vollendeter Frauenkirche im Hintergrund. Das wirkt nur auf den ersten Blick realistisch; Bellotto ist ein Kulissenschieber, der, ohne mit der Wimper zu zucken, Häuserfronten nach hinten verschiebt, damit ein Platz luftiger scheint, als er ist.

Niemand nimmt den Monarchen zur Kenntnis

Je weiter aber der Blickwinkel, desto kleiner erscheint der Mensch - auch August III., der in einer Kutsche über das Pflaster donnert und mit seinem Übergewicht das Gefährt fast zum Umfallen bringt. Die wenigsten Marktgänger nehmen den Monarchen zur Kenntnis, sie unterhalten sich oder sehen den Hunden beim Raufen zu. Liebe Bürger, ihr habt einen König, der euch nicht behelligt - diese Werbebotschaft dürfte effektiver sein als ein angeberischer Auftritt hoch zu Ross.

Die Ehrfurcht vor der Macht hat Bellotto schon in Venedig abgelegt. Um 1742 malt er das Arsenale, das militärpolitische Zentrum der Seefahrer-Republik. Wie es sich gehört für einen von Staatsgeheimnissen verdunkelten Ort, fallen Schatten auf den von steinernen Löwen bewachten Komplex. Doch im Hintergrund des Bildes, frontal zum Betrachter gelegen, findet sich ein Anbau, dessen Putz knapp über der Wasserfläche abbröckelt. Fein ausgepinselt treten feuchte Ziegel hervor. So ist das in dieser Wasserstadt nun einmal, und doch bekommt das ganze Gefüge auf dem Bild dadurch einen leicht morbiden Touch.

Im Jahr 1760 nehmen preußische Truppen Dresden unter Beschuss; auch Bellottos Atelierhaus wird zerstört. Er verliert einen Großteil seiner Gemälde und Druckplatten und braucht dringend einen neuen Job. Der findet sich schon ein Jahr später in München. Verhältnismäßig friedlich geht es hier zu, und der Maler darf sich ein ganzes Jahr lang mit drei Großformaten beschäftigen, vermutlich im Auftrag des Wittelsbachers Maximilian III. Joseph, dem Kurfürsten von Bayern. Die Muße tut Bellotto gut, es werden seine vielleicht besten Stücke.

Normalerweise hängen sie in der Münchner Residenz, jetzt aber wurden sie gereinigt und restauriert und bilden das strahlende Zentrum der von Andreas Schumacher umsichtig kuratierten Ausstellung. Zwei der Gemälde zeigen Schloss Nymphenburg, sie sind weit weniger bombastisch, als Betrachter vor der Französischen Revolution dies von herrschaftlicher Malerei gewohnt sein dürften. Der Künstler lässt sich einen Aussichtsturm zum Malen zimmern, so gelingen ihm Überblick und Nahsicht zugleich. Der Blick schweift in die Ferne bis zu den Bergen, er erfasst aber auch im Vordergrund die Bettlerfamilie, die Ärger mit einem Gendarmen bekommt, weil sie sich dem Schloss nähert.

Seine Leinwand erfasst mehr als das menschliche Auge

Ins Herz der Münchner malte sich der Venezianer mit der dritten Ansicht, sie zeigt die Innenstadt von Höhe des heutigen Gasteig aus. Realistisch gesehen ist der Mittelteil mit den Türmen von Frauenkirche und Altem Peter sowie der Strecke vom Isartor bis zur Theatinerkirche. Zu den Seiten hin aber erweitert der Maler das Panorama, um auf seiner Leinwand mehr zu erfassen, als es das menschliche Auge vor Ort vermag.

In weitem Bogen schlängelt sich eine Brücke über die Isar, die Museumsinsel ist zu sehen, das Sendlinger Tor und die Asamkirche auch. Idyllisch sieht das in der Nachmittagssonne aus, und doch stutzt man erst einmal: Warum ist der wenig repräsentative Wasserturm vorne links derart prominent platziert?

Bellottos Mittel waren hochmodern

Nun, er gibt dem Auge Halt, das ist für den Ästhetiker Bellotto Argument genug. Und die Menschen, die rechts vorne beten, der Mönch, die Leprakranke mit dem schiefen Gesicht? Das Kreuz, an das sie sich richten, ist nicht mehr im Bild. Blasphemisch war das sicher nicht gemeint, vielmehr ist es einer der Tricks, mit denen der Maler uns in das Bild hineinzieht, indem er uns zum Teil der betenden Gruppe macht.

Bellottos Mittel waren hochmodern, er beherrschte wie kein Zweiter die Camera obscura, die Vorform des Fotoapparats. Nur die Männer der Hochkultur rümpften die Nase: Zwischen all den Idealisten und Klassizisten an der Dresdner Akademie hatte der Alltagsmaler es seinerzeit schwer. Das Publikum aber liebte ihn immer, zu Recht. Dass ihn die Pinakothek nun für seine malerische Intelligenz würdigt, seine feinfühlige Mischung aus Realitätssinn und Bühnenkunst, straft alle Vorurteile gegen den Stadtmaler Lügen.

Canaletto. Bernardo Bellotto malt Europa. Bis 18. Januar. Alte Pinakothek München. Katalog (Hirmer) 45 Euro.

© SZ vom 17.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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