Der Autor von "Die Vermessung der Welt" berichtet aus dem Leben eines der großen Regisseure aus der Weimarer Republik, G.W. Pabst, der nach seinem Tod in Vergessenheit geriet. Für die Fragen, die Kehlmann nun in "Lichtspiel" umtreiben, eignet sich seine Geschichte natürlich hervorragend: Warum kehrt einer, der seiner sozialkritischen Arbeiten wegen auch "der rote Pabst" genannt wurde und schon in die USA entkommen war, 1939 nach Nazi-Deutschland zurück? Oder: Wie bemerkt man den Verlust jeder Moral, wenn die eigene Korrumpierung in Zeitlupe erfolgt? Kehlmann löst in diesem Roman alle Erwartungen ein - der am Ende allerdings doch kaum mehr ist als die Abfolge beeindruckend guter Szenen.
Der neue Band von Zeichner Didier Conrad und Texter Fabcaro ist das beste Heft seit Langem. Die Geschichte handelt von einer revolutionären Idee, die Cäsar zu Beginn erst mal die Kinnlade runterklappen lässt. Positives Denken? Das hat noch keiner seiner Berater vorgeschlagen, um das leider immer noch nur fast ganz besetzte Gallien endlich vollständig zu erobern. Aber sein "Oberster Medicus" Visusversus, der den Vorschlag ins Spiel bringt, ist überzeugt: In einer Zeit, in der selbst die einfachen Legionäre immer mehr auf ihre Work-Life-Balance achten, kommt man mit dem ewigen Krieg nicht mehr weiter.
Alex Schulman: Endstation Malma
Der neue Roman des schwedischen Bestseller-Autors Alex Schulman spielt in einem Zug, der von Stockholm ins fiktive Malma unterwegs ist. Darin drei Menschen: Harriet, ein etwa zehnjähriges Mädchen, fährt mit ihrem schweigsam kühlen Vater zu einer Beerdigung. Oskar, ein etwa 35-jähriger Mann und Vater, ist mit seiner Frau unterwegs, die beiden haben sich so erbittert gestritten, dass klar ist, dass sie sich trennen werden, sie will ihm nur noch einmal einen Ort ihrer Kindheit zeigen. Yana, eine junge Frau, hat ein Fotoalbum dabei und ist auf der Suche nach ihrer Mutter, die früh aus ihrem Leben verschwunden ist. Eine Reise in die schmerzhafte Vergangenheit einer Familie.
Christina Morina: Tausend Aufbrüche
Ein ziemlich großer Frühjahr- und Sommeraufreger war (mal wieder) der Umgang mit der DDR-Vergangenheit in der Literatur. Dirk Oschmann und Katja Hoyer hatten dazu umstrittene Analysen vorgelegt. Wie wohltuend dagegen, wenn zur Abwechslung mal quellenbasierte Studien mehr auf die Fakten schauen. So wie es die Historikerin Christina Morina mit ihrem Buch "Tausend Aufbrüche" getan hat. In dieser fulminanten Ost- und Westdeutschland vergleichenden Demokratiegeschichte seit den Achtzigern lässt sich vieles lernen über das sehr unterschiedliche Staatsverständnis in Ost und West, warum der Wunsch nach einer neuen Verfassung nach 1990 scheiterte und woran sich ostdeutscher Eigensinn festmachen lässt.
Sabine Fischer: Die chauvinistische Bedrohung
Putin-Bücher gibt es einige und nicht erst seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022. Doch die Analyse von Sabine Fischer von der Stiftung Wissenschaft und Politik fügt den Deutungen eine durchaus treffende Facette hinzu. Demnach basiert das Regime des Kremlherrschers auf einem "extremen Männlichkeitskult". Der Hintergrund für Russlands Vernichtungskrieg ist demnach eine Mischung aus Nationalismus, Sexismus und Autokratie. Und diese Politik ist sowohl nach innen als auch nach außen gerichtet - Europa und der Westen müssten sich hier stärker rüsten, denn Russlands Chauvinismus macht, wie man sieht, nicht an seinen Westgrenzen Halt.
Carlo Masala: Bedingt abwehrbereit
Mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine sind zahllose Beobachter prominent geworden, die versuchen, die Lage zu erklären. Carlo Masala ist der Glücksfall unter den deutschen Kriegsexperten - ein Auskenner, kein Schwafler. Man könnte sagen, der Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr in München hat Konjunktur. Er fordert mehr Waffen für die Ukraine. Er hält den Deutschen ein schizophrenes Verhältnis zur Bundeswehr vor - und eine verfehlte Politik gegenüber Russland. Wunschdenken. Naivität. Die Zeitenwende, die vor einem Jahr vom deutschen Kanzler angekündigt wurde, sei, sagt er, aus purer Angst entstanden. Nun aber sei schon wieder Bequemlichkeit in Köpfen und Amtsstuben eingekehrt. Zum Schaden der Deutschen. Und der Ukraine.
Florian Illies: Zauber der Stille
Caspar David Friedrich, der dunkelste aller Romantiker, feiert im nächsten Jahr seinen 250. Geburtstag. Das wirft jetzt schon Schatten voraus, Ausstellungen, Bücher, und in diesen unruhigen, blutigen und entsetzlichen Zeiten ist Illies' "Zauber der Stille" ganz genau das: Zauber. Stille. Trost. Was für ein Wunderbuch. Und keine reine Schwärmerei, Illies gibt zu: "Manche Bilder von Caspar David Friedrich sind schwach, manche bemüht. Nein, nicht alles ist meisterlich bei ihm, er ist zum Glück kein Gott, sondern ein Mensch gewesen." Aber: "Die Natur hält kurz inne, wenn Friedrich sie sieht, sie hält den Atem an für ihn."