Theaterlegende Benno Besson:Die schönste Sache der Welt

Lesezeit: 3 min

"Benno hat Kinder, Essen, Frauen und Theater geliebt - und zwar von allem reichlich": Besson im Deutschen Theater Berlin, 2005. (Foto: imago stock&people)

Vom Publikum gefeiert, von den Schauspielern geliebt: Die Berliner Volksbühne erinnert an den Regisseur Benno Besson zu dessen 100. Geburtstag.

Von Peter Laudenbach

Nach dem Militärputsch in der Türkei wollte Emine Sevgi Özdamar, damals eine junge türkische Schauspielerin, unbedingt zu dem berühmten Regisseur Benno Besson - Anfang der 1970er-Jahre für viele linke Theaterleute so etwa der wichtigste Theatermann der Welt und der einflussreichste Schüler Bertolt Brechts. In einem ihrer Romane beschreibt Özdamar, die diesjährige Büchner-Preisträgerin, wie sie stundenlang im Foyer der Ost-Berliner Volksbühne auf Besson wartet. Als er endlich kommt, fasst sie sich ein Herz: "Herr Besson, sagte ich, ich bin gekommen, um von Ihnen das Brecht-Theater zu lernen." Als sie danach durch die Stadt geht, wird ihr "leichter und leichter. Meine Arme waren Flügel geworden. Ich war ein Vogel, der über Ostberlin fliegen würde und sich alle Straßen, über die Brecht und Besson je gelaufen sind, anschauen und vor Freude lachen wird." Eine ähnliche Anziehungskraft muss Bessons Theater damals auf viele Menschen gehabt haben, für Özdamar war die Begegnung mit ihm lebensverändernd.

Am Freitag feierte die Berliner Volksbühne, das Haus, an dem Besson in den 1970er-Jahren sein anarchisch-sozialistisches Welttheater gemacht hat, den 100. Geburtstag des großen, 2006 verstorbenen Regisseurs. Angerichtet hat den gut gelaunten, komplett nostalgiefreien Abend Bessons Tochter Katharina Thalbach. Mit ihr sitzen zwei ihrer Geschwister auf der Bühne, der Schriftsteller Philippe Besson und der Schauspieler Pierre Besson. "Benno hat Kinder, Essen, Frauen und Theater geliebt - und zwar von allem reichlich, deshalb sind wir auch sechs Geschwister", erklärt Thalbach: "Erst wenn gespielt wurde, hat Benno das Leben durchschaut." Als an diesem Abend Weggefährten Bessons, die Schauspieler Hermann Beyer und Christian Grashof, der Bühnenbildner Ezio Toffolutti oder die Schauspielerin Walfriede Schmitt, von ihrer Zeit mit Besson erzählen, ahnt man, dass sein Theater ein tolles Abenteuer, ein großes Vergnügen mit gelegentlichen Krächen und zumindest für die Beteiligten für ein paar Jahre die wichtigste und schönste Sache der Welt gewesen sein muss. Der Schriftsteller Christoph Hein berichtet, wie er Anfang der 1960er-Jahre dem Regisseur am Bühnenausgang auflauert, weil er unbedingt bei ihm assistieren will. Mit der Regieassistenz bei Besson beginnt Heins Weg ins professionelle Theater.

Der junge Schweizer Sozialist war fasziniert von der jungen DDR - und Brecht war fasziniert von ihm

In der Schweiz hatte Besson in jungen Jahren linkes Amateurtheater gemacht. Das war offenbar so interessant, dass ihn der aus der Emigration zurückgekehrte Brecht einlädt, mit ihm 1949 ins zerstörte Berlin zu gehen. Besson, der junge Schweizer Sozialist, ist fasziniert von der jungen DDR - und Brecht ist offenbar fasziniert vom verspielten Talent seines begabtesten Schülers. Als Brecht mit dem Berliner Ensemble sein eigenes Theater bekommt, eröffnet er es nicht mit einer eigenen Inszenierung, sondern mit Bessons Aufführung von Molières "Don Juan". Besson bleibt 28 Jahre in Ostberlin, er inszeniert am Berliner Ensemble, geht nach Brechts Tod ans Deutsche Theater und wechselt 1969 an die Volksbühne. Der Schweizer ist in diesen Jahrzehnten der wichtigste DDR-Regisseur mit enormer internationaler Ausstrahlung. Seine hochvirtuosen Inszenierungen verbinden die Leichtigkeit und Raffinesse der Commedia dell'arte mit Brechts antikapitalistischen Parabeln. Sie sind Welten entfernt vom grauen Rechthaber-Theater der dogmatisch erstarrten Brecht-Epigonen und der doktrinären Enge der DDR-Kulturpolitik. Bessons Vorstellungen werden vom Publikum gefeiert, von den Schauspielern geliebt und von den Funktionären eher geduldet als geschätzt. Eine seiner legendären Inszenierungen, die Märchenparabel "Der Drache" des sowjetischen Dramatikers Jewgeni Schwarz, ist 1965 eine Abrechnung mit dem Stalinismus in Form eines phantastischen Märchens. Bessons Regie-Assistent war damals ein junger Berliner Liedermacher: Wolf Biermann. Die Aufführung wird mit fast 600 Vorstellungen, einer Einladung zum Westberliner Theatertreffen und einem gefeierten Gastspiel in Paris ein Welterfolg.

An der Volksbühne macht Besson das aufregendste Theater des Landes, mit anarchistischen Spektakeln, Stücken von Heiner Müller und Versuchen, gemeinsam mit Industriearbeitern Theater zu machen. 1977 wirft er, genervt von den Zumutungen einer provinziellen DDR-Bürokratie, die Intendanz an der Volksbühne hin und geht nach Paris. Nicht nur weil zum Beispiel der junge Frank Castorf als Student Dauerbesucher in Bessons Volksbühne war und dort viel für sein eigenes Theater gelernt hat, wirkt Bessons Theater bis in die Gegenwart. In einem gerade erschienenen Forschungsband der "Leipziger Beiträge zur Theatergeschichte" kann man nachlesen, wie Besson die alte hierarchische Ordnung stürzen wollte: "Wir produzieren doch nicht nur Aufführungen, sondern verändern auch die Verhältnisse im Theater und die Eigenschaften der Leute, die am Theater arbeiten." Das klingt exakt wie die heutigen Debatten einer möglichst demokratischen Theaterarbeit.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusKrise des Theaters
:Ein Stück aus dem Tollhaus

Kammerspiele, Volksbühne und Co.: Wie Theater sich angesichts halbleerer Häuser in Egoshooter-Phrasen flüchten.

Von Peter Laudenbach

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: