Jetzt schwingt sie wieder, die Frankfurter Abrissbirne. Kaum eine Stadt dürfte bei lästig gewordenen Gebäuden so häufig den Abbruch ordern wie die Metropole am Main. Und wer könnte im Fall der Städtischen Bühnen auch etwas dagegen haben, soll doch die Sanierung der Spielstätte für Oper und Schauspiel laut Gutachten 918 Millionen Euro kosten?
Aber man kann viele Gründe dagegen nennen. Da wäre zum Beispiel die architektonische Qualität. Wer durch die Frankfurter Innenstadt läuft, ist zutiefst dankbar für das elegante Gebäude, das mit zunehmender Dunkelheit von innen heraus durch seine lang gezogene Glasfassade leuchtet - und durch die Goldwolken des ungarischen Künstlers Zoltán Kemény. Die Städtischen Bühnen wirken damit wie einer der letzten offenen Orte im durchkapitalisierten Zentrum der Bankenstadt. Eine solch einladende Geste sucht man bei den Gebäuden ringsum erfolglos. Die Hochglanztürme machen schon im Eingang klar, wer hier rein darf und wer draußen bleiben muss. Ein Großteil der Stadtgesellschaft hat im Herzen ihrer eigenen Metropole nichts mehr verloren.
Architektur:Luft nach oben
In deutschen Städten entstehen viele neue Wohntürme. Ist das die Zukunft? Fühlen wir uns da wohl? Ein Besuch bei Menschen, die dem Bodenständigen entkommen sind.
Prompt befeuert die Entscheidung zum Abriss den Grundstückspoker. Zu gerne würde manch einer Oper und Schauspiel auseinanderreißen und eine Spielstätte auslagern, um einen Teil des Grundstücks am Willy-Brandt-Platz teuer verkaufen zu können. Als hätte Frankfurt nicht schon genug tote Investorenarchitektur. Man spaziere nur einmal über das ehemalige Degussa-Gelände gleich um die Ecke. Dort herrscht selbst zur Mittagszeit Friedhofsstimmung. Was für ein Gegensatz zu den Städtischen Bühnen! Es ist kein Zufall, dass dort wichtige gesellschaftliche Diskurse geführt wurden. Die Architektur - mondän und trotzdem nicht elitär - schaffte den passenden Raum dazu. Die Nachkriegsmoderne konnte das gut, einen festlichen Rahmen bieten, ohne dabei sofort die Gästeliste mitzuliefern.
Ein Haus speichert seine Geschichte. Wie ein Hausgeist sorgt diese für eine bestimmte Atmosphäre. Wer es abreißt, vernichtet diese gleich mit. Ein Abbruch zerstört aber auch all die sogenannte graue Energie, die in dem Haus steckt, also die Energie, die der gesamte Bauprozess - inklusive Herstellung der Baumaterialien, aber auch der Entsorgung - verschlungen hat. In Zeiten knapper werdender Ressourcen und des Klimawandels ist ein Abriss deswegen die schlechteste Lösung. Nicht zuletzt, weil die Bauindustrie zu den größten Müllverursachern überhaupt gehört. Doch in Gutachten bleibt die graue Energie meist unberücksichtigt, so als hätte das Haus weder Vorgeschichte noch Vergangenheit. (Zur jüngeren Vergangenheit der Städtischen Bühnen gehört übrigens auch, dass die Theaterwerkstätten erst 2014 für Dutzende Millionen Euro aufwendig umgebaut und erweitert wurden.) Wer Gegenwart und Zukunft gerecht werden möchte, muss das einberechnen. Alles andere ist Augenwischerei.
Womit man beim Gutachten wäre. Die Kosten von knapp einer Milliarde Euro, mit der darin eine Sanierung beziffert wurde, dürften der Grund dafür sein, dass es kaum Kritik an der Abrissentscheidung gab. Wie soll man eine solche Summe für den Erhalt eines Gebäudes rechtfertigen, wenn überall sonst im Haushalt das Geld fehlt? Doch es ist an der Zeit, solche Gutachten und vor allem die horrenden Kosten, die sie prognostizieren, zu hinterfragen. Klar, Bauen ist teurer geworden. Aber das allein erklärt noch nicht diese irrwitzigen Summen, egal ob es um die Sanierung der Städtischen Bühnen in Frankfurt, der Staatsoper in Stuttgart oder des Gasteigs in München geht. Viel mehr dürfte es auch an heutigen Ansprüchen liegen. Muss es wirklich immer die aufwendigste Technik sein? Brauchen all unsere Gebäude überall und zu jeder Tages- und Nachtzeit den höchsten Komfort, die beste Ausstattung, das neueste Equipment? Gerade Oper und Schauspiel Frankfurt haben mit der Spielstätte Bockenheimer Depot, einem ehemaligen Straßenbahndepot, gezeigt, zu was sie auf einer Low-Tech-Bühne fähig sind. Vielleicht würde es dem deutschen Kulturleben guttun, mehr solcher rauen, unpolierten, unperfekten Spielorte zu haben.
Die französischen Architekten Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal könnten mit Ideen behilflich sein. Von ihnen stammt nicht nur der Spruch "Niemals abreißen!". Beide haben in Paris auch mit dem Palais de Tokyo eines der spannendsten zeitgenössischen Museen geschaffen, indem sie ein historisches Gebäude äußerst sparsam, fast karg umgebaut haben.
Man kann seinen Blick auch einfach nach Darmstadt wenden. Dort wurde das Große Haus des Darmstädter Theaters im Jahr 2006 für 70 Millionen Euro saniert. Mehr Geld gab's nicht, und das merkt man dem Gebäude auch an. Was in diesem Fall unbedingt als Kompliment für den Architekten Arno Lederer zu verstehen ist. Weil das Budget schon damals nicht üppig war, mussten auch improvisierte Lösungen her. Das ist charmant und erhält den Geist des Hauses. Wer dort durch die Flure läuft oder auf der Dachterrasse steht, merkt das sofort. Der Aufbruchsgeist der Nachkriegsmoderne rollt den roten Teppich aus. Genau das wünscht man sich für die Städtischen Bühnen. Sie haben es verdient. Und wir auch.