Das irre Luxushotel, das sich Frank Schätzing für seinen Weltraum-Thriller "Limit" ausgedacht hat, heißt "Gaia" und steht auf dem Mond. Denkwürdig ist, dass die Menschheit ihre ohnehin oft unterirdische Sexismus-Debatte dort auch überirdisch im Weltall auslebt, weshalb sich die männlichen Architekten ihre Gaia, die mythische Urmutter allen Lebens, zunächst als betonierte Frauengestalt mit großen Brüsten ähnlich der Venus von Willendorf ersonnen haben. Die Hotelchefin ist gar nicht begeistert von diesem geplanten "Monument der Möpse" und plädiert für eine androgynere Form. Man einigt sich auf etwas Mittleres.
Viel interessanter als dieser bemühte Zwist ist der nur halb fiktionalisierte, tatsächlich futuristische Baustoff-Twist, der in diesem Roman auch ausgetragen wird. Hier sollten die Manager der akut krisengeschüttelten Zement- und Betonindustrie von Heidelberg Cement bis Dyckerhoff aufhorchen. Denn ihnen geht gerade nicht nur in Deutschland (an sich ein 1-a-Sandland), sondern auch weltweit der Sand als wichtigster Bau-Rohstoff unserer Epoche aus.
Die Quarzkörnchen sind bereits - nach dem Wasser - zum weltweit am meisten konsumierten natürlichen Rohstoff geworden. Unsere Welt ist auf Sand gebaut. Das Material steckt nicht nur in Häusern, Brücken und Straßen, sondern auch in Zahnpasta und Smartphone-Bildschirmen. "Sand ist der Megastar unseres industriellen und elektronischen Zeitalters": Das ist das Fazit der ETH Zürich. Auf rund 50 Milliarden Tonnen wird der jährliche Verbrauch geschätzt. Der natürliche Wert- und Werkstoff der Moderne geht aber zur Neige. Das ist bekannt. Was aber auch für die Baukultur zunehmend relevant ist, denn Glas und Beton, aus Sand gewonnen, sind die ikonisch gewordenen, allgegenwärtigen Baumaterialien der jüngeren Gegenwart bis heute. Es geht uns somit nicht nur das Material verloren, sondern auch der Konsens der Form.
Beton als Symbol der Moderne
Die Baugeschichte ist ohne Beton undenkbar, der in einer frühen Variante als "opus caementitium" auf die römische Antike zurückgeht, während bereits vor mehr als 10 000 Jahren in der Türkei gewisse Mörtelgemische verwendet wurden. Aber erst im 20. Jahrhundert wurde Beton zum Stein der Begierde, zum Wunderstoff am Bau. Was die Baubranche nun hoffen lässt: Zumindest im Roman von Schätzing besteht Gaia aus Mondstaub. Genauer gesagt aus Regolith, den man tatsächlich, das haben Versuche der Nasa bereits in der Realität gezeigt, mit Kohlenstoff und Epoxidharz zum "Mondbeton" verdichten könnte. Theoretisch. Was Bauunternehmer daran mögen: Dieser Mondbeton wäre strapazierfähiger und sogar billiger als herkömmlicher Beton.
Leider ist noch zu klären, wie man die bald 400 000 Kilometer kostengünstig überwindet, die den Mond von den Großbaustellen in Dubai, Moskau oder dem Münchner Paketposthallenareal trennen. Seit den Sechzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts gibt es zwar die furiose Idee eines Weltraumaufzugs, aber nicht mal Elon Musk, der sonst alles glaubt, meint, dass der Mond als Ersatzressourcentrabant in naher Zukunft ausgebeutet werden kann.
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Wobei das allerdings verblüffend ist: Die natürlichen Sandvorräte der Erde, die sich zum Bauen als unabdingbarer Grundstoff für Zement und Beton eignen, gehen auch infolge eines weltweit geradezu hysterisch betriebenen, außer Kontrolle geratenen Baubooms zur Neige - da denkt man schon daran, wie sich zusätzlich die kosmische Nachbarschaft anbaggern ließe. Statt über ein Ende des Bauens oder über ein anderes Bauen mit anderen Materialien nachzudenken. Die Menschheit in ihrer Gesamtheit ist offensichtlich beratungsresistent. Im Roman fliegt Gaia übrigens am Ende wenigstens in die Luft. Jedenfalls in die Luft des luftleeren Raums.
Gelegentlich ist zu hören, wieso, es gäbe doch immer noch wahrlich genug Sand, zumal als eine der Konsequenzen des Klimawandels. Richtig ist: Es gibt immer mehr Wüsten und infolge des Verkarstens und Versandens ganzer Landstriche logischerweise auch mehr Sand auf der Erde. Dieser von Wind und Wetter rundgeschliffene Sand ist aber aufgrund seiner Körnung nicht gut geeignet, sich mit den notwendigen Zuschlagstoffen zum Beton zu verdichten. Wie man das dennoch hinbekommt, das ist zwar Gegenstand der Forschung - und erste Patente gibt es hierfür auch schon -, aber ökonomisch sind die Verfahren wohl noch nicht. Man spricht vom Sand-Paradox: Es gibt zugleich genug und doch zu wenig nutzbaren Sand.
Zeichenhaft wird das auf dem Bau, denn obschon Beton allgemein auch als reichlich klischeehaftes bis halbintelligent verwendetes Synonym eines irgendwie unmenschlichen, tristen und abweisenden Bauens gilt, ist es tatsächlich ein grandioser, zugleich natürlicher und dabei subjektiv höchst ästhetischer Baustoff. Zum einen ist er überall verfügbar, daher so etwas wie ein regionaler Baustoff: Kalkstein wird in Steinbrüchen erschlossen, dann in nah gelegenen Zementwerken zu Zement weiterverarbeitet und schließlich mit ebenfalls regional verfügbaren Zuschlägen, hier kommen Sand und Kies ins Spiel, sowie mit Wasser zu jenem Beton gemischt, der viele statische und auch energetische Vorzüge hat. Trotzdem ist auch Beton kein astreiner Öko-Heiliger, denn dazu ist seine Herstellung zu energieintensiv. Allerdings: Auch Backsteine muss man "backen", also brennen.
Die Baugeschichte der klassischen Moderne kennt zahlreiche emblematische Bauten, ob in Infrastruktur oder Architektur, die von der Besonderheit des ungemein wandelbaren, daher mannigfach gestaltbaren Baustoffs plastisch und skulptural erzählen. Das reicht spätestens von Erich Mendelsohns "Einsteinturm" in Potsdam, 1922, über das von Frank Lloyd Wright in Pennsylvania ersonnene Haus "Fallingwater" (1939) oder die legendäre Kapelle von Le Corbusier in Notre-Dame-du-Haut in Ronchamp (1955) bis zum 1962 eröffneten und von Eero Saarinen gestalteten Terminal am JFK-Airport in New York.
Beton ist der Stoff, aus dem auch eine formal aufgeladene Zuversicht, ein gebauter Optimismus geschaffen sind. Auch das macht ihn schön.
Wer einmal den Konferenzpavillon in Weil am Rhein auf dem Vitra-Gelände besucht hat, der von Tadao Ando zum Ende des 20. Jahrhunderts realisiert wurde, der weiß, dass Beton auch heute und morgen von großer architektonischer Bedeutung ist und bleiben wird. In Weil kann man sich überzeugen, dass sich der gut ein Vierteljahrhundert alte, exzellent verarbeitete Sichtbeton noch immer anfühlt wie die glückliche Liebe von Samt und Sand. Beton ist von großer Anmut. Es verwundert nicht, dass Betonböden, Betonküchen, Betonmöbel und Betonbadewannen in den spektakulären Lofts dieser Welt in der Kombination mit edlen Hölzern das gestalterische Credo der Stunde formulieren.
Materialforschung:Beton wird grün
Der Baustoff ist ein Klimakiller, aber unverzichtbar für die Industrie. Nun soll er umweltfreundlicher werden und sogar neue Experimente erlauben.
Dennoch fragt man sich, ob angesichts der Sandknappheit Beton noch so unbekümmert weiter verbaut werden sollte, wie das zunehmend der Fall ist. Man muss ja nicht gleich Daniel Fuhrhops anregenden Baublog "Verbietet das Bauen" wörtlich nehmen, um die "Bauwut" in die Grenzen zu weisen. Aber im Niedergang des Sand-Beton-Bauens liegt auch eine Chance für emporstrebende alternative Baustoffe, die der Welt auch eine neue Ästhetik bescheren könnten.
Innovative und zugleich altbekannte Baustoffe sind zum Beispiel Holz, Lehm oder Bambus. Letzterer wurde schon mit einem Pilz zu einer selbsttragenden Struktur verbunden. Forscher am Karlsruher Institut für Technologie, im Fachgebiet nachhaltiges Bauen, sind schon seit einiger Zeit dabei, über Alternativen zu den konventionellen Baustoffen zu forschen. "Unsere Vision ist, Häuser künftig sozusagen wachsen zu lassen und nach Ende ihrer Nutzung die Baustoffe wiederzuverwerten." Myzelium, das Wurzelwerk von Pilzen, ist ein schnell wachsendes Geflecht aus fadenförmigen Zellen. Man kann das Gewebe mit Holzspänen oder anderem pflanzlichen Abfall mischen. Auf der Seoul Biennale of Architecture and Urbanism 2017 waren unter dem sinnigen Titel "Beyond Mining" schon erste bemerkenswerte Strukturen zu sehen.
Es müssen Antworten auf die Klimakrise gefunden werden
Die Erforschung alternativer Baustoffe geht aber noch nicht oder jedenfalls noch nicht zufriedenstellend mit der Herausbildung einer neuen Ästhetik einher. Das ist schade, denn der Stahlbeton hat der Welt eine ganz eigene Formensprache geschenkt - ebenso wie die Konstruktion der gotischen Kathedralen zuvor. Auch neue Materialien und Fügetechnologien würden dann baukulturell erfahrbar werden, wenn aus den wenigen Experimenten von heute eine neue Aufgeschlossenheit am Bau entstünde. Eine neue Baukultur alternativer, ökologischer und zukunftsfähiger Materialien wäre das, die zu einer Ästhetik von morgen führt - jenseits eines Jute-statt-Plastik-Looks oder jener Lehmbauten, die immer wie Schlumpfhäuser und Hobbithöhlen aussehen.
Im Grunde müssten sich also schon heute auch die Universitäten und Hochschulen entsprechend neu ausrichten: Was man dort zu sehen bekommt, ist - als ob es Sand tatsächlich "wie Sand am Meer" gäbe - meist der wie üblich verbaute Stahlbeton im öffentlichen Bereich und Ziegelsteine im privaten Doppelhaushälftenglück. Solches Bauen bringt allerdings zumeist auch nur die übliche Verschuhschachtelung der Welt hervor. Der einst so innovative Baustoff Beton ist abseits des leider zunehmend selten werdenden architektonischen Anspruchs dabei, sich frühverrenten zu lassen.
Es ist daher längt an der Zeit, unsere Epoche der Klimakrise anders als bereits bekannt aussehen zu lassen. Bislang beantwortet die Baubranche diese Krise hauptsächlich mit dicken Kunststoffschichten aus der zu Ende gehenden Ressource Erdöl, die man auf Stahlbeton aus der zu Ende gehenden Ressource Sand pappt und großzügig mit Panoramafenstern aus der zu Ende gehenden Ressource Sand ausstattet. Das ist nicht ganz der Weg in die Zukunft. Und die Sandburg, die soeben in den Ferien entstanden sein sollte, ist vermutlich auch schon wieder Geschichte. Was für Beton und selbst für Mondbeton auch bald gelten könnte. "Concrete" (deutsch "Beton"), vor einiger Zeit vom Label Comme des Garçons als Parfüm etabliert, könnte sich irgendwann als relativ flüchtige Erinnerung erweisen.