Man hat den Beton in den vergangenen Jahren reichlich gescholten. Als "Klimakiller" oder noch schlimmer als "Klimabombe". Ganz abwegig ist das nicht, bei der Produktion von Zement, der wichtigsten Zutat von Beton, wird viel vom Klimagas Kohlendioxid freigesetzt. Insgesamt trage die Beton-Herstellung mit rund fünf Prozent zum weltweiten Kohlendioxidausstoß bei, heißt es.
Das ist gewaltig, angesichts des Baubooms in Schwellenländern wie China und Indien kann einem schwindelig werden. Allein ein Großprojekt wie der chinesische Dreischluchtendamm, der höher als der Kölner Dom ist, benötigte Beton im Millionen-Kubikmeter-Maßstab. Doch letztlich braucht jeder Beton. Wir rollen auf Straßen aus Beton dahin, und wer ein Eigenheim baut, setzt es auf eine Beton-Sohlplatte. Kurz: Über Beton lässt sich leicht schimpfen, doch ohne ihn geht es nicht. Bleibt also die Frage, wie sich Beton umweltfreundlicher machen lässt?
"Es gibt viele Rädchen, an denen man drehen kann", sagt der Baustofftechnologe und Betontechnik-Experte Björn Siebert von der TH Köln. "Beton ist ein Vielstoffgemisch, das aus diversen Zutaten besteht. Deshalb gibt es auch verschiedene Wege, ihn umweltfreundlicher zu machen." Heute gebe es zum Beispiel vielerlei Zusätze, die man dem Beton beimischt, um ganz besondere Eigenschaften einzustellen. So lässt sich zum Beispiel hochfester Beton herstellen, der mehr aushält. "Damit können Sie Betonwände dünner dimensionieren, die genauso tragfähig sind wie herkömmliche Wände", sagt Björn Siebert. "Wenn Sie die Wanddicke von 30 auf 20 Zentimeter reduzieren, ist die Betonersparnis beachtlich."
Einen anderen Weg gehen Forscher der TU Dresden. Sie haben ein Konzept erdacht, um mächtige Stahlbetonteile für den Haus- oder Brückenbau filigraner zu machen. Dabei setzen sie auf den Werkstoff Carbon, mit dem sie den Stahl ersetzen. Reiner Beton kann zwar hohen Druck ertragen, ist aber empfindlich, wenn man an ihm zieht. Bauteile wie Brücken oder Geschossdecken stattet man deshalb zusätzlich mit Stahlmatten aus, die Zugkräfte leicht wegstecken. Um den Stahl vor Wasser und Rost zu schützen, muss man ihn allerdings mit einer dicken Schicht Beton umhüllen.
Das macht die Stahlbetonbauteile relativ schwer. Im Projekt C3 an der TU Dresden setzt man deshalb nicht auf Stahl, sondern auf ein Geflecht aus Carbonfasern. Carbon ist leichter als Stahl, kann höhere Belastungen ertragen und rostet nicht. Eine wenige Millimeter dünne Deckschicht aus Beton ist deshalb völlig ausreichend. Noch hat sich der Carbonbeton nicht etabliert. Aber erste Versuchsobjekte gibt es bereits: zum Beispiel einen kleinen Pavillon, dessen Dach aus luftig leicht geschwungenen Bögen besteht, die eher an Pappe als an massiven Beton erinnern. Auch Carbonbetonplatten für die Verkleidung von Fassaden wurden in Dresden bereits entwickelt. Diese sind nur zwei Zentimeter dick. Stahlbeton müsste mindestens acht Zentimeter mächtig sein - eine Rohstoffersparnis von 75 Prozent.
Um den Beton im großen Stil umweltfreundlicher zu machen, werden Ideen wie der Carbonbeton allein aber nicht reichen. Vielmehr muss man an die Substanz heran, an die Massenproduktion und die grundlegende Rezeptur. Traditionell besteht Beton aus drei wesentlichen Zutaten: Wasser, Zement und der Gesteinskörnung wie zum Beispiel Kies. Bei der Herstellung von Zement wird besonders viel Kohlendioxid frei, daher steht er besonders im Fokus. Zement wird aus Kalkstein und Ton hergestellt. Beides wird gemahlen, vermischt und bei Temperaturen von 1450 Grad Celsius in großen Öfen gebrannt, was viel Energie verbraucht. Chemisch gesehen, besteht Kalkstein aus dem Stoff Kalziumkarbonat, CaCO₃.
Zum starken Kohlendioxid-Ausstoß der Zementwerke trägt bei, dass beim Brennen aus dem Kalziumkarbonat Kohlendioxid, CO₂, entweicht. Dabei entsteht Kalziumoxid, CaO. Und auf diese Verbindung kommt es an. Das Kalziumoxid reagiert während des Brennens mit anderen Substanzen, die in geringen Mengen im Kalkstein und Ton enthalten sind - Verbindungen, die Aluminium, Eisen oder Silizium enthalten. Dabei bilden sich Kalzium-Metallverbindungen, die für die Eigenschaften des Zements besonders wichtig sind. Das Endprodukt dieses Brennvorgangs bezeichnet man als Zementklinker, ein grobes Pulver, das dann zum feinen Zement zermahlen wird. Vermischt man auf der Baustelle den Zement mit Wasser und der Gesteinskörnung bilden die Kalzium-Metallverbindungen Kristalle, die fest miteinander verhaken, wodurch der Beton aushärtet.
"Heute greift man an verschiedenen Stellen dieses langen Herstellungsprozesses an, um das Endprodukt umweltfreundlicher zu machen", sagt Björn Siebert. Seit Jahrzehnten setzt man zum Beispiel bei der Zementherstellung Flugasche ein, die bei der Verbrennung von Steinkohle in Kraftwerken entsteht. Auch Hüttensand aus der Stahlproduktion wird dem Zement in großen Mengen zugesetzt. Beides reduziert also den Bedarf an gebranntem Kalkstein und Ton und verringert so den Energiebedarf und den Kohlendioxidausstoß. Auf dem Markt gibt es seit Langem verschiedene Zementqualitäten, die sich am Gehalt der Beimischungen unterscheiden. CEM-I-Zement, der sogenannte Portlandzement zum Beispiel, enthält zu 95 Prozent Zement aus Kalkstein und Ton, CEM-III/B-Zement hingegen mehr als 66 Prozent Hüttensand.
Eine Tonne des neuartigen Materials kann 100 Kilogramm Kohlendioxid schlucken
Weltweit versuchen Forscher den Anteil von Zementklinker im Beton zu verringern. Man kann dem Zement beispielsweise ungebrannten Kalk beimischen. Derzeit untersuchen Forscher, wie viel sich zusetzen lässt, ohne dass sich die Eigenschaften des Zements verschlechtern. Vor einigen Jahren wurde ein anderes Verfahren hochgelobt, das Wissenschaftler am Imperial College in London entwickelt hatten. Bei diesem Verfahren wird für die Betonherstellung statt des klassischen Zements Magnesiumoxid verwendet. Die Forscher stellten fest, dass die Mischung beim Aushärten sogar Kohlendioxid aus der Atmosphäre aufnahm. Sie rechneten den Effekt hoch und kamen zu dem Schluss, dass dieses Verfahren pro Tonne Beton 100 Kilogramm Kohlendioxid schlucken würde. Zum Vergleich: Bei der Produktion von einer Tonne Portlandzement werden je nach Zementwerk zwischen 650 und 920 Kilogramm Kohlendioxid frei.
Die Entdeckung wurde 2010 vom Magazin des Massachusetts Institute of Technology in den USA zu den zehn "Breakthrough"-Technologien des Jahres gekürt. Die Forscher gründeten eigens die Firma Novacem. Doch dann folgte der Katzenjammer. So kurz nach der Finanzkrise fanden sich keine Geldgeber, die das Projekt fördern wollten. Immerhin konnten die Forscher ihre Idee an einen großen Zementhersteller verkaufen.
Vielleicht scheiterten sie auch, weil die Zement-, Beton- und Baubranchen konservativ sind. Denn wer Hochhäuser oder Brücken baut, geht auf Nummer sicher und prüft neue Ideen sehr genau. So gibt es heute in Deutschland, Europa oder den USA zahlreiche Normen, in denen genau festgelegt ist, welche Zementmischungen und Betone man für einen bestimmten Zweck einsetzen darf.
Da ist es einfacher, die Ökobilanz von Beton zu verbessern, indem man neue Brennstoffe für die Öfen in den Zementwerken nutzt. Statt mit Kohle, Erdgas oder Erdöl zu heizen, nutzt man in Deutschland zunehmend alternative Brennstoffe - unter anderem Altplastik, Altreifen, Hausmüll, getrockneten Klärschlamm oder auch Tierfette. Alles in allem lag der Anteil dieser Brennstoffe in Deutschland im Jahr 2016 laut dem Verein Deutscher Zementwerke bei 65 Prozent. Schränkte man den Verbrauch von Gas, Kohle und Öl in der Zementproduktion weltweit in ähnlicher Weise konsequent ein, ließe sich der Kohlendioxid-Ausstoß der Zementindustrie allein dadurch um zwölf Prozent verringern.
Energie, Kohlendioxid und Rohstoffe ließen sich auch einsparen, wenn man künftig alte Gebäude stärker nutzte - und zwar in Form von sogenanntem Recycling-Beton. Er entsteht, wenn man Beton aus Abbruchhäusern zerkleinert und frischem Beton als Gesteinskörnung beimischt. So benötigt man weniger natürliches Gestein, das man in Kiesgruben und Flüssen ausbaggert oder in Steinbrüchen aus dem Fels sprengt. Zudem spart man sich den langen Transport zum Betonwerk. Das ist vor allem in Großstädten sinnvoll. Der Abbruch aus einem Gebäude lässt sich dort gleich auf der nächsten Baustelle wiederverwenden.
Aufbereiteter Beton aus Hausabbrüchen soll in Zukunft eine wichtigere Rolle spielen
In den Niederlanden und in der Schweiz verbaut man diesen R-Beton schon seit vielen Jahren in größerem Stil. In Deutschland ist man zögerlich. "R-Beton wird hierzulande noch sehr häufig mit Abfall und deshalb schlechter Qualität in Verbindung gebracht", sagt Wolfgang Breit, Leiter des Fachgebiets Werkstoffe im Bauwesen an der Technischen Universität Kaiserslautern. "Aufbereitetes Material aus dem Abbruch von Häusern wird bislang vor allem als Gesteinsschüttung im Straßenbau eingesetzt" - und damit weit unter seinem Wert. Downcycling nennen Fachleute diese Wiederverwertung von Stoffen in minderwertigen Produkten. "Im Grunde steht das im Widerspruch zum deutschen Kreislaufwirtschaftsgesetz, nach dem Stoffe eigentlich wieder ihrem ursprünglichen Kreislauf zuzuführen sind", sagt Breit.
Bislang aber schränken Vorschriften den Einsatz von R-Beton hierzulande stark ein. Betone mit einem Altbeton-Anteil von mehr als fünf Prozent müssen als R-Betone deklariert werden - und das heißt, dass das verwendete Recyclingmaterial mehrfach überprüft werden muss. Das bedeutet für die Hersteller einen hohen administrativen Aufwand und Mehrkosten.
Ganz anders ist die Situation in den dicht besiedelten Niederlanden und der Schweiz. In beiden Ländern gibt es nur wenige Stellen, an denen Kies für die Gesteinskörnung im Beton abgebaut werden kann. Daher geht man dort pragmatischer vor: In den Niederlanden darf Beton bis zu 30 Prozent Recycling-Betonbruch enthalten, ohne dass er als R-Beton deklariert werden muss. In der Schweiz muss man R-Beton erst ab 25 Prozent Recycling-Anteil als solchen ausweisen.
Dass die Deutschen beim R-Beton so zurückhaltend sind, hat seinen Grund. Mischt man frischem Beton Altbeton zu, ist es deutlich aufwendiger, eine gleich bleibende Qualität sicherzustellen. "Haften an der Gesteinskörnung des Altbetons noch Reste von altem Zement, dann kann das dazu führen, dass der Beton mehr Wasser zieht", sagt Beton-Experte Björn Siebert. "Von Beton-Charge zu Beton-Charge können die Eigenschaften mehr oder weniger stark schwanken. Das kann problematisch sein, wenn man große Teile betoniert, die eine gleichmäßige Qualität aufweisen sollen."
Doch solche Probleme kann man in den Griff kriegen, entgegnet Julia Scheidt, die im Team von Wolfgang Breit an der TU Kaiserslautern das Projekt "R-Beton" leitet. Angeregt durch die guten Erfahrungen aus den Niederlanden und der Schweiz hat die Ingenieurin mit ihrem Team und Industriepartnern untersucht, wie gut R-Beton tatsächlich ist. "Wenn man bei den Recyclingunternehmen Altbeton aus verschiedenen Hausabbrüchen auf großen Halden mischt, kann man durchaus eine gleichmäßige Qualität erreichen", sagt sie. Die Kooperationspartner haben viele Betonmischungen getestet. Das Ergebnis: R-Beton ist besser als viele geglaubt hatten. Scheidt: "Wenn man es richtig macht, kann er denselben Belastungen standhalten wie herkömmliche Betone."
Um zu zeigen, was ihr R-Beton kann, haben die Experten aus Kaiserslautern auf dem TU-Campus Fakten geschaffen: Sie haben mit dem Small-Haus III das erste Gebäude in Deutschland gebaut, das ganz aus R-Beton besteht. Das Gebäude ist zwar unscheinbar, aber es hat Strahlkraft, weil es zeigt wie "öko" Beton sein kann, wenn man nur will.