Architektur:Berliner Städtebau - langweilig und fantasielos

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Jahrelanges Warten auf Entscheidungen: Der Berliner Fernsehturm spiegelt sich in einer Pfütze auf dem Alexanderplatz. (Foto: dpa)

Mit der Elbphilharmonie hat sich Hamburg ein neues Wahrzeichen gegeben. Und Berlin? Schafft es nicht einmal, die urbanen Schätze der Neunzigerjahre zu bewahren.

Gastbeitrag von Christophe Bourdoiseau

Die neue Elbphilharmonie ist ein Glücksfall für Hamburg - und ein Armutszeugnis für Berlin. So wie das Guggenheim-Museum in Bilbao oder die Oper von Sydney, wird diese Kathedrale der Musik Hamburg ein modernes Gesicht geben.

Ganz anders wird es bei der Eröffnung des Humboldt-Forums in Berlin sein. Der Wiederaufbau des Stadtschlosses wird den Provinzialismus der Berliner Städtebaupolitik offenbaren. Das Humboldt-Forum wird kein Wahrzeichen, sondern die Krönung der gescheiterten Strategie einer Rekonstruktion sein. Die Schlossattrappe steht symbolisch für die langweilige Rückkehr Berlins zur Normalität.

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Hamburg feiert mit der Elbphilharmonie seine neue Kathedrale der Musik. Viele Menschen sehen in ihr schon jetzt wesentlich mehr: ein neues Tor zu einer Welt, die gerade eine andere wird.

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Seit der Wiedervereinigung orientiert sich die Berliner Politik nicht an der Substanz dieser Stadt - an deren Energie und Kreativität -, sondern an den alten und staubigen preußischen Zeiten mit deren Mentor Karl Friedrich Schinkel.

Potsdam ist eine preußische Stadt geblieben. Dort ist der Wiederaufbau eines Stadtschlosses sinnvoll. Der Wiederaufbau der Frauenkirche in Dresden war ein wunderbares Symbol für Frieden und Aussöhnung. Aber Berlin? Worin liegt die Symbolik dieses in Beton gegossenen Schlosses?

Der Enthusiasmus der Bevölkerung ist gleich null. Die Spenden reichen noch nicht einmal - wie vorgesehen -, um die Barockfassaden mit originalem Material zu überziehen. Kaum ein Berliner kennt den Zweck dieses Schlosses. Es gibt nicht mal Proteste oder ernsthafte Debatten. Die Berliner haben sich damit abgefunden. Die allerletzte Ergänzung - ein Dachrestaurant - zeigt, wie konzeptionslos dieses vom Bund finanzierte Vorhaben ist.

Den Palast der Republik abzureisen war ein fataler Fehler

Europäische Besucher, die Schlösser aus ihrer Heimat kennen, werden sich nicht beeindrucken lassen, sondern getäuscht fühlen. Für die Berliner wird es ein Fremdkörper bleiben, niemals ein Wahrzeichen.

Dafür den Palast der Republik abzureisen war ein fataler Fehler. Dieses Gebäude war Teil der deutschen Geschichte; in seinen letzten Lebensjahren hat es sich in einen kraftvollen und künstlerischen Ort verwandelt. Die 40 Jahre kommunistischer Parenthese sind architektonisch in einem ideologischen Kampf - wie damals bei der Sprengung des Schlosses - verschwunden.

Wie Hamburg mit seinem historischen Hafen, hätte Berlin mit einer Ruine der DDR-Geschichte etwas bauen können, eine neue Staatsoper, ein Museum für Moderne Kunst oder eine Parkanlage. Dafür hätte man Mut gebraucht.

Innenministerium und neue BND-Zentrale sehen aus wie neue Stasi-Gebäude

Aber die Berliner Politik hat nie eine mutige Architektur gefördert. Strenge Bauvorschriften nahmen den Architekten ihre Freiheiten. Man baute lieber weiter Mietskasernen wie zur Zeit der Industrialisierung.

Nehmen wir nur das Innenministerium oder die neue BND-Zentrale. Diese sehen aus wie neue Stasi-Gebäude. Das Kanzleramt und das "Band des Bundes" hat niemand wahrgenommen. Die Besucher aus dem Ausland denken, dass Frau Merkel im Reichstag arbeitet. Das Finanzministerium ist in ein Nazi-Gebäude eingezogen und stiftet damit geschichtliche Verwirrung. Es hätte ein Museum werden sollen.

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Außerdem war der Versuch, die Vergangenheit architektonisch wiederzubeleben, von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Denkt man nur an den Potsdamer Platz, die spannendste Baustelle Europas der Neunzigerjahre. Er hat seinen ursprünglichen Charakter als Amüsierviertel aus den Zwanzigerjahren nie wieder gefunden. Obwohl die besten Architekten der Welt ihn gebaut haben, ist der Platz ohne Flair geblieben.

Der Versuch, das Textilviertel um den Hausvogteiplatz wiederzubeleben ist auch gescheitert. Dort wohnen immer noch Gespenster der Vergangenheit.

Außerdem werden spannende Projekte totgespart. Der Hauptbahnhof war einer der mutigsten Architekturwürfe Berlins. Wie Gerhard Schröder sagte, ist aber diese "Wurst" wegen Sparmaßnahmen "abgebissen" worden. Der größte Kreuzungsbahnhof Europas verschwindet Jahr für Jahr hinter billigen Gebäuden, die an Autobahnhotels erinnern. Es wird hier kein spannendes Viertel mehr entstehen können.

Der Berliner Politik ist es noch nicht mal gelungen, die Schätze der Neunzigerjahre zu nutzen. Die sogenannte "Romantik der Ruine" war kein sinnloser Begriff. Sie hat Millionen Menschen angezogen und fasziniert. Lebendig ist nichts mehr geblieben.

Das Viertel um die Oranienburger Straße (Mitte) mit der Neuen Synagoge, Galerien, Hackesche- und Heckmann-Höfe, hätte ein Künstlerviertel werden können. Trotzdem ist es nicht gelungen, das Kunsthaus Tacheles - das Symbol der Neunzigerjahre - zu retten.

Nach dem Rausschmiss des Ausstellungshauses für Fotografie C/O Berlin im ehemaligen Postfuhramt, verwandelt sich diese Straße in einen langweiligen Strich von billigen Restaurants und Prostitution. Die Oranienburger Straße verfällt in die Bedeutungslosigkeit.

Die wiedervereinigte Stadt bleibt ratlos

Der Alexanderplatz wartet seit Jahren auf Entscheidungen. Das Kulturforum verharrt in einer Art architektonischer Wüste (hier sollen die Architekten Herzog & de Meuron mit dem Museum des 20. Jahrhunderts etwas ändern). Unter den Linden wandelt sich in eine touristische Meile mit Disneyland-Atmosphäre (Stadtschloss, Adlon Hotel, Kommandantenhaus von Bertelsmann, Schinkelplatz, künftige Bauakademie, Mittelpromenade, Touristenshops).

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Der historische Flughafen Tempelhof wartet nach dem Scheitern des Volksentscheids auf ein Konzept. Das historische Herz Berlins um die 1270 gebaute Marienkirche mit ihrem wandelnden Marx-Engels-Denkmal soll noch umgestaltet werden. Die wiedervereinigte Stadt bleibt ratlos. Und im Westen? Nichts Neues.

Besucher aus London, Rom oder New York sind von der Energie und der Kreativität dieser Stadt fasziniert, aber fragen sich, wo sie diese architektonisch erleben können. Außer dem Jüdischen Museum von Daniel Libeskind, der Kuppel des Reichstags von Norman Foster und der Ausstellungshalle des Deutschen Historischen Museums von Ieoh Ming Pei, gibt es nicht viel Spannendes aus der Gegenwart zu zeigen.

Paris schafft es, die Leute zum Staunen zu bringen

Die französische Metropole hat nicht so viel Platz übrig wie Berlin. Paris schafft es aber immer noch, obwohl diese Stadt als Museumsstadt in einen Dornröschenschlaf gefallen ist, mit neuen Architekturprojekten Leute zum Staunen zu bringen. Paris, London oder Rom ticken wie Weltstädte. Ganz anders als Berlin.

Das Adrenalin und die Temperatur der Hauptstadt gehen an der Politik vorbei. Die Menschen, die hierher ziehen und leben - nicht nur Ausländer, sondern auch viele Deutsche aus anderen Bundesländern -, haben diese Stadt immer geprägt. Sie warten nicht auf die Eröffnung des Humboldt-Forums, sondern auf die des neuen Flughafens. Und dieser wird keine Sensation sein. Nur eine große Erleichterung.

Christophe Bourdoiseau, 49, ist Deutschland-Korrespondent der französischen Tageszeitung Le Parisien. Er lebt seit mehr als 20 Jahren in Berlin. (Foto: Thomas Henkel)
© SZ vom 24.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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