Anzeige gegen türkischen Pianisten Fazil Say:"Wie in einem absurden Theaterstück"

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Bekennende Atheisten haben es in der Türkei schwer: Weil der prominente Pianist Fazil Say religiöse Werte herabgewürdigt haben soll, hat er nun ein Gerichtsverfahren am Hals. Prozessbeobachter sind irritiert über die hanebüchenen Vorwürfe, die vor dem Kadi gegen Say erhoben wurden.

Christiane Schlötzer

Sein Repertoire reicht von anatolischem Liedgut über Klassik bis zu Jazz. Fazil Say ist einer der Stars der Türkei - und einer der prominentesten Angeklagten des Landes. Am Donnerstag musste der international gefeierte Pianist und Komponist, der in Konzertsälen von Boston bis Berlin spielte, vor einem Richter in Istanbul erscheinen. Drei türkische Bürger haben den 42-Jährigen angezeigt, nachdem er sich in Twitter-Botschaften über islamische Frömmler lustig gemacht hatte. Ihm drohen wegen Herabwürdigung religiöser Werte und Störung des öffentlichen Friedens 15 Monate Haft. Vor Gericht wies Say alle Vorwürfe zurück, schwieg aber sonst. Der Richter vertagte nach etwa einer Stunde das Verfahren auf den 18. Februar.

Der Istanbuler Komponist und Pianist Fazil Say am Flügel. In seiner türkischen Heimat ist Say in den vergangenen Jahren mehrfach angeeckt, weil er sich besorgt oder spöttisch über eine schleichende Islamisierung und islamische Frömmelei beklagte. (Foto: dpa)

Etwa 100 Künstler und Freunde Says protestierten vor dem Justizgebäude und sprachen von einer "Schande" für die Türkei. Sie hatten auf einen sofortigen Freispruch gehofft. Sevim Dagdelen, Bundestagsabgeordnete der Linken mit türkischen Wurzeln, fühlte sich als Prozessbeobachterin im Gerichtssaal "wie in einem absurden Theaterstück". Ihm fehle es "an Liebe", warf eine Anwältin der Kläger dem Musiker vor.

Die Türkei sei seine "größte Inspiration", hatte Say vor Prozessbeginn gesagt, womöglich in der Hoffnung, die Wogen zu glätten. Er habe sein musikalisches Leben mit dem Versuch verbracht, Kultur, Geschichte und Geist seines Landes zu verstehen. Wenn er ins Gefängnis müsse, sei seine Pianisten-Karriere zu Ende, hatte Say ebenfalls getwittert.

Say wurde 1970 in Ankara geboren, früh als Ausnahmetalent entdeckt und auch in Deutschland gefördert. In den letzten Jahren hatte er mehrfach öffentlich mit dem Gedanken gespielt, aus der Türkei auszuwandern. In der Süddeutschen Zeitung begründete er das 2007 mit dem Kurs der Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und einer wachsenden kulturellen Intoleranz in seiner Heimat. Dafür wurde der Solist, der auch auf dem Klavier für einen kräftigen Anschlag bekannt ist, als Landesverräter beschimpft. In diesem April nannte er Japan als mögliches Exilland.

Say bekennt sich dazu, Atheist zu sein, und ist nach eigenen Worten "stolz darauf, dass ich das so ruhig sagen kann".

Das Gedicht, das er in dem Kurznachrichtendienst weiterverbreitete, wird dem persischen Dichter Omar Khayyam (1048 - 1131) zugeschrieben: "Du sagst, durch Deine Bäche wird Wein fließen, ist das Paradies denn eine Schänke? Du sagst, Du wirst jeden Gläubigen mit zwei Jungfrauen belohnen, ist das Paradies denn ein Bordell?"

Über einen Muezzin, der den Aufruf zum Abendgebet in nur 22 Sekunden, "prestissimo con fuoco", herunterrattert, mokierte Say sich später ganz im Sinne des Dichters: "Warum so eilig? Eine Geliebte? Der Raki-Tisch?" Jene, die über ihn urteilen, bittet Say, "sich ein wenig Zeit für meine Musik zu nehmen, damit sie auch zu verstehen versuchen, wie ich die Werte unserer Gesellschaft empfinde". Ein frommer Wunsch.

© SZ vom 19.10.2012/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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