Anna Netrebko in Salzburg:Stunde für Helden

Lesezeit: 3 min

Yusif Eyvazov (Tenor), Anna Netrebko (Sopran), Mikhail Tatarnikov (Dirigent) und das Mozarteumorchester Salzburg. (Foto: Marco Borelli/ Salzburger Festspiele)

Mit Werken von Peter Tschaikowsky zeigt Anna Netrebko bei den Salzburger Festspielen, dass ihre Stimme nach wie vor ein Phänomen ist.

Von Helmut Mauró

Es ist natürlich nur die halbe Netrebko. Wenn man sich an ihre Partien in der großen Oper erinnert, Anna Bolena in Wien etwa, dann kann man nicht viel erhoffen von solch einem Arienabend mit Werken von Peter Tschaikowsky. Bei den Salzburger Festspielen, wo sie 2002 als Donna Anna Furore machte - sieben Jahre, nachdem sie bei einem Gastspiel des Mariinski-Theaters in San Francisco ihren internationalen Durchbruch feierte - ist sie weiterhin Garantie für Glanz und Gloria.

Alles sei sehr kurzfristig geplant gewesen, hört man, für ein Programm mit den gesungenen Texten sei da keine Zeit mehr gewesen. Das galt ja für alle Liederabende bei diesen Jubiläums-Festspielen. Aber man konnte die durchweg russischen Titel dieses Abends vorab im Netz einsehen und sich die Texte selber zusammensuchen. Das geht alles ganz prima, das Netz ist durch keinen Sars-Virus infiziert. Der zweite Vorbehalt galt den angekündigten Duetten, in denen ihr der aserbaidschanische Tenor Yusif Eyvazov zur Seite stehen sollte - seit fünf Jahren ihr Ehemann.

Am Ende will Netrebko nicht einmal einen Einzelapplaus

Aber, um es gleich vorweg zu nehmen, es sieht nicht so aus, als ereilte Eyvazov demnächst das Schicksal seines Vorgängers Erwin Schrott, auf der Bühne und auch sonst in Vergessenheit zu geraten. Eyvazov steigerte sich im Verlauf des Abends im Großen Festspielhaus vom etwas verschüchterten Stimmakrobaten zum nahezu strahlend heldischen Tenor. Die Arien des Lenski aus "Eugen Onegin", in der dieser kurz vor seinem Tod im Duell die Geliebte beschwört, sich seiner zu erinnern, gelingt außerordentlich.

Es ist also nicht so, dass alle Sänger neben der Netrebko verblassen müssen. So gern man mal wieder eine richtige Diva erleben würde. Denn auch dieses herrliche Klischee erfüllt die Netrebko nur unzureichend. Am Ende will sie nicht einmal einen Einzelapplaus, jedesmal zerrt sie die Gesangskollegin Szilvia Vörös, die nur eine kleine Rolle als Gräfin in einem Opernausschnitt aus "Pique Dame" hat, mit nach vorne, dazu den Dirigenten und natürlich Eyvazov, der sich sehr gentlemanlike gibt.

Oper in Dresden
:Der Rest ist Anna

Anna Netrebko, die umworbenste Sängerin der Welt, singt in einem stark verkürzten "Don Carlo" - mit Orchesterchen und vor nur 300 Zuschauern. Es ist das größte Opernglück seit der Pandemie.

Von Egbert Tholl

Und dann könnte man noch dies und das von all dem Drumherum erzählen, von ihrem wie immer zauberhaften Kleid und ihrer einnehmenden Erscheinung und natürlich vom wunderbar musikalisch geerdeten Dirigenten Mikhail Tatarnikov mit dem begleitenden Mozarteumorchester, aus dem gegen Ende der Briefszene aus "Eugen Onegin" ein erstaunlich klangsensibler Solohornist heraussticht. Wenn du mich nicht rettest, singt die Netrebko an dieser Stelle, dann muss ich hilflos untergeh'n. Welcher Hornist fühlte sich da nicht berufen, dem Schicksal unter die Arme zu greifen, wenn solch eine Stimme ruft. Da schlägt die Stunde des Helden.

Zwischen herzig und atemberaubend

Selbst als Zuhörer möchte man ein bisschen mithelfen, sosehr packt einen die Stimme der Netrebko. Schon ihr erster Auftritt ist herrlicher Bühnenzauber. Das Orchester spielt nach einer kurzen aber knackig-lauten Introduktion zu "Pique Dame" die Einleitung zu Szene und Duett Lisa und Hermann aus dem ersten Akt, aber es ist weit und breit keine Netrebko zu sehen. Und auf einmal steht sie da seitlich halb im Orchester und schaut sich staunend um, immer zum Orchester hin, schleicht sich schließlich an den Dirigenten heran, singt endlich, zur Seite, dreht sich erst allmählich und ganz langsam Richtung Publikum. Man möchte gerne behaupten, man habe ihre Anwesenheit im Raum schon gespürt, noch bevor man sie sah, aber man muss nicht übertreiben. Ihre Persönlichkeit ist stark genug, ihre Bühnenpräsenz changiert ständig zwischen herzig und atemberaubend, ihre Stimme nach wie vor ein Phänomen. Noch immer hat sie diese unangestrengte große volle Höhe, noch immer kriecht sie in jede Rolle und lässt ihre ganze Stimmgewalt von dort aus heraus leuchten.

Das Schlussduett mit Eyvazov aus "Iolanta" beeindruckte, aber die Briefszene der Tatjana aus "Eugen Onegin" - bei allem heute nicht mehr vermittelbarem Textkitsch - berührte noch mehr. Vielleicht war es ganz gut, dass der russische Text den meisten Festspielbesuchern im Detail nicht geläufig gewesen sein dürfte. Was für "Iolanta" natürlich ebenfalls galt. Iolanta: Ritter, was ist Licht? Vodemon: Wunderbarer Erstgeborener der Schöpfung, das erste Geschenk des Schöpfers an die Welt, die Manifestation der Herrlichkeit Gottes, die schönste Perle seiner Krone undsoweiter undsofort. Warum sollte die Netrebko solch einem Macho-Nippes aufsitzen?

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusSalzburger Festspiele
:Das Öffnen eines Tores

Fast alle Opernhäuser stehen leer, doch die Salzburger Festspiele sollen zu ihrem 100. Jubiläum trotz Corona stattfinden. Ein Interview mit dem Intendanten Markus Hinterhäuser über seine Pläne und Sorgen.

Von Reinhard J. Brembeck

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: