88. Academy Awards:Oscars 2016: Nacht des schwarzen Humors

Lesezeit: 4 Min.

Die Academy, vor allem aber Moderator Chris Rock, gehen offensiv mit den Debatten über Hautfarbe und Geschlecht um. Endlich.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

"Verdammt noch mal, natürlich ist Hollywood rassistisch!" Das war einer der Sätze, die Moderator Chris Rock zu Beginn der Oscar-Verleihung sagte. Noch einer: "Das war in den Fünfziger- und Sechzigerjahren auch schon so - doch die Schwarzen haben nicht protestiert. Warum? Weil es noch wichtigere Dinge gab. Wir waren zu beschäftigt damit, vergewaltigt oder abgemurkst zu werden, als dass wir uns darum hätten kümmern können, wer den Oscar für die beste Kameraführung gewonnen hat!" Noch einer: "Dieses Jahr werden im In-Memoriam-Teil die Leute gezeigt, die auf dem Weg zum Kino von Polizisten erschossen worden sind."

Es war die lustigste, bewegendste und beeindruckendste Eröffnung seit der von Billy Crystal im Jahr 1992. Vielleicht war es sogar die lustigste, bewegendste und beeindruckendste Eröffnung in der Geschichte der Oscars. Rock brachte keinen Elefanten mit auf die Bühne, der dann bis zum Ende der Sendung als Symbol für die #OscarsSoWhite-Debatte im Saal verbleiben durfte. Rock kam zu "Fight the Power" von Public Enemy auf die Bühne, er drückte sich nicht vor klaren Worten, er ließ sie einfach aus seinem Mund fallen.

Nicht nur als Anklage an die Academy, sondern auch an alle, die sich nun öffentlichkeitswirksam aufgeregt haben: "Klar ist das unfair, dass Will Smith nicht nominiert ist - aber es ist auch ungerecht, dass er 20 Millionen Dollar für Wild Wild West bekommen hat." Oder: "Nicht alles ist immer gleich sexistisch, nicht alles ist immer gleich rassistisch. Wir fragen die Männer nicht nach ihren Outfits, weil sie eh alle das Gleiche anhaben!"

So ging das, zehn Minuten lang. "It's funny because it's true", sagen die Amerikaner zu dieser Art von Humor. Es ist lustig, weil es wahr ist.

Entlarvende Selbstironie

Die Academy of Motion Picture Arts and Sciences hatte sich dazu entschlossen, endlich mal offensiv mit den Debatten über Hautfarbe und Geschlecht umzugehen, die es ja nicht erst seit ein paar Tagen gibt. Vor allem aber tat sie das endlich nicht so bedeutungsschwanger oder gar selbstgefällig, wie sie das in den vergangenen Jahren immer wieder getan hatte - sondern mit entlarvender Selbstironie.

Die für den Oscar als bester Film nominierten Werke etwa wurden in Einspielern mit schwarzen Schauspielern (herrlich: Tracy Morgan als "The Danish Girl") persifliert, Chris Rock befragte wie schon im Jahr 2005 schwarze Kinogänger in Compton, ob sie die nominierten Filme überhaupt gesehen hätten. Die häufigste Antwort: "Nein".

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Ein großer strahlender Sieger? Leonardo DiCaprio natürlich, aber ansonsten wurden die Oscars ziemlich wild über die nominierten Filme verteilt.

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Die Academy hat damit eine Botschaft gesendet - und es war die einzige des Abends. Nein, es war die erste seit vielen, vielen Jahren. Wer sich vor der Verleihung mit Filmemachern in Hollywood unterhalten hat, der hat erfahren: Es gibt keine Agenda, das Gerede von "die Academy" ist nichts weiter als ein bedeutungsloser Mythos. Die Academy wollte im vergangenen Jahr mit der Auszeichnung von "Birdman" keineswegs Independent-Filme unterstützen oder eine Nachricht an den Fortsetzungs- und Superhelden-Wahn in Hollywood schicken. Es haben schlicht und einfach die meisten Mitglieder für diesen Film gestimmt.

So einfach funktioniert Hollywood. So pragmatisch.

Die Academy: 91 Prozent weiß, 76 Prozent männlich

Natürlich muss deshalb über die Zusammensetzung dieser Akademie diskutiert werden, die den noch immer wichtigsten Filmpreis des Jahres vergibt. Die Los Angeles Times hat die Academy-Mitglieder analysiert und festgestellt, dass 91 Prozent davon weiß und 76 Prozent männlich sind. Vor vier Jahren waren es 94 und 77 Prozent - das ist nicht wirklich ein Fortschritt.

"Es ist nicht genug, zuzuhören und derselben Meinung zu sein", sagte Academy-Präsidentin Cheryl Boone Isaacs deshalb: "Es ist an der Zeit, über die Zukunft zu sprechen. Wir müssen etwas tun." Was genau in der Zukunft getan werden muss, das verriet sie allerdings nicht.

Deshalb erst einmal zurück zur Gegenwart und zum Pragmatismus: Es steckt kein tieferer Sinn dahinter, dass "Mad Max: Fury Road" zahlreiche Preise (insgesamt sechs Stück) gewonnen hat. Das ist keine Verneigung der Academy vor einem wilden Actionfilm, der spannend und sexy daherkommt und sich deshalb ausgezeichnet eignet, um dem Fernsehen, diesem aufmüpfigen Medium mit den tiefen Geschichten von der menschlichen Seele, einen Leinwand-Reißer vor den Latz zu knallen. Es ist einfach ein furioser Film. Fertig. Aus.

So wie Alicia Vikander in "The Danish Girl" herausragend agiert und deshalb den Oscar als beste Nebendarstellerin gewonnen hat. So wie Brie Larson wunderbar war im Independent-Drama "The Room" und deshalb als beste Darstellerin ausgezeichnet wurde. So wie Alejandro Gonzalez Iñárritu in "The Revenant" wunderbar Regie geführt hat. Und so wie "Spotlight" (bester Film) ein großartiger Film mit wichtiger politischer Botschaft ist. Nicht mehr, nicht weniger.

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Iñárritu bekommt den Regie-Oscar. Alicia Vikander gewinnt als beste Nebendarstellerin, Mark Rylance als bester Nebendarsteller.

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So einfach ist das

Es ist auch kein Affront gegen Sylvester Stallone, dass er nicht als bester Nebendarsteller für seine Darstellung von Rocky in "Creed" ausgezeichnet worden ist. Es liegt nicht daran, dass er in seinem Leben auch auf Zelluloid gebrannten Offenbarungseide wie "Over the Top", "Tango & Cash" und "Rambo III" gedreht oder zu Beginn seiner Karriere aus Geldnot in einem Softporno mitgespielt hat. Der Grund: Es gab ganz einfach mehr Academy-Mitglieder, die Mark Rylance als russischen Spion in "Bridge of Spies" noch besser fanden. So einfach ist das.

Was noch in der Gegenwart passierte: Leonardo DiCaprio hat endlich, nach sechs erfolglosen Nominierungen, seinen Oscar als bester Schauspieler gewonnen. Nun könnte man natürlich behaupten, dass DiCaprio eine wahnsinnig effektive Kampagne präsentiert hat. Er überließ ein signiertes Drehbuch zu "The Revenant" der Screen Actors Guild zur Versteigerung für einen guten Zweck, er hielt beim Weltwirtschaftsforum in Davos eine Rede gegen die Klimawandel-Leugner, er spendete einen Millionenbetrag an den World Wildlife Fund und will in Kenia gegen Wilderei protestieren. Er soll zudem einem Fotografen Bilder abgekauft haben, die ihn bei einer allzu exzessiven Party und einer möglichen Knutscherei mit Rihanna zeigen. Man kann aber auch einfach sagen: Es wurde endlich Zeit, diesen grandiosen Schauspieler zu ehren! Oder noch einfacher: DiCaprio war diesmal der Beste.

Es war eine Oscar-Verleihung, die weniger dröge war als in den vergangenen Jahren. Sie war spritzig, sie war spannend, sie war auch bedeutsamer - gerade, weil sie nicht bedeutsam daherkommen wollte.

Bleibt nur die Frage auf die Aussage von Chris Rock ("Verdammt noch mal, natürlich ist Hollywood rassistisch!"), wie die Academy das Problem ihrer Mitgliederschaft lösen will. Nun, sie hat sich durch diese Show ein Jahr Zeit erkauft, da fließt viel Wasser den Los Angeles River hinunter. Jetzt ist erst einmal Ruhe. So einfach ist das in Hollywood.

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