Leserbriefe:Weniger fliegen - aber wie kommen wir da hin?

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SZ-Zeichnung: Karin Mihm (Foto: Karin Mihm (Illustration))

Die Vorschläge von SZ-Leserinnen und -Lesern reichen vom moralischen Appell bis zu einer streckenabhängigen Besteuerung.

"Müssen wir aufhören, mit dem Flugzeug zu verreisen?" vom 5. August, "Kurz und schamlos" vom 15./16. Juli sowie "Nicht zu fliegen ist auch keine Lösung" vom 24./25. Juni:

Das aufgebrauchte Paradies

Vielen Dank für das "Contra" zur Frage, ob wir aufhören müssen, mit dem Flugzeug zu verreisen! Der Autor hat sich da ja einen Bärendienst geleistet. Auf der Suche nach stichhaltigen Argumenten gegen das Fliegen werde ich in Zukunft auf den Kommentar von Jochen Temsch verweisen. Wenn er ernsthaft der Meinung ist, dass man sein Urlaubsglück nur mit einer Flugreise finden kann, stellt sich mir die Frage, in welche Welt er dann in Zukunft überhaupt noch verreisen will? Ich habe da lieber einen kleinen Radius für mich und meine Nachkommen als gar keinen!

Johanna Seidenschwang, Feldkirchen

Anreiz statt Bestrafung

Liebe Marlene Weiß, lieber Jochen Temsch! Für mich kann es nur eine Konsequenz aus dem Pro und Contra geben: Verzicht muss belohnt werden. Bürger, die auf das Verreisen mit dem Flugzeug verzichten, müssten dafür einen finanziellen Ausgleich, sprich eine Belohnung erhalten, und zwar von den Bürgern, die mehr als ein Mal im Jahr fliegen.

Gleiches ließe sich im Rahmen der Diskussion um den Klimawandel auch auf andere Bereiche ausweiten: Freiwilliges Einhalten eines Tempolimits durch Kennzeichnung des Pkw mit einem Aufkleber; vorzeitiger Wechsel bei der Beheizung eines Gebäudes von einem fossilen Energieträger auf zum Beispiel eine Wärmepumpe, und so weiter. Meines Erachtens müssten Anreize geschaffen werden, statt immer wieder mit Bestrafungen zu drohen.

Rudolf Schonhoff, Gladbeck

Wetteifern mit Humboldt?

Marlene Weiß hat es übernommen, den Leser zu überzeugen, dass wir aufhören müssen, mit dem Flugzeug zu verreisen. Dazu bemüht sie das Bild des Verreisens in einer größeren Stadt und des dort anfallenden Mülls. Vom Fliegen ist nicht die Rede. Ihr Beitrag endet dann allerdings mit dem Satz: "Und wenn Sie jetzt sagen, was soll der Quatsch, hier geht es ja gar nicht ums Fliegen: eben doch."

Ich fürchte, dass sie nur wenige Leser davon überzeugt, mit dem Fliegen aufzuhören, wenn sie sich so auf das Thema einlässt. Dabei kann sie über das Thema eigentlich so schreiben, dass man deutlich versteht, was sie umtreibt. Ich erinnere daran, was sie am 4. August 2020 aus Anlass von "75 Jahre Süddeutsche Zeitung" geschrieben hatte: "Ich kenne zum Beispiel keine Kollegin, keinen Kollegen bei der SZ noch anderswo, die sich mit Umweltthemen befassen, aber privat sorglos ständig Fernreisen unternehmen. Bei mir persönlich jedenfalls ist es so, dass mir unser empfindlicher Planet immer schützenswerter erscheint, je länger ich mich mit seiner fortschreitenden Zerstörung beschäftige. Ich fliege daher etwa nur noch, wenn es gar nicht anders geht, privat seit Jahren gar nicht mehr."

Währenddessen gibt Jochen Temsch zu dem Thema Fliegen den Monaco Franze: "A bisserl was geht immer." Er bleibt dem Leser allerdings schuldig zu erläutern, wie ein Badeurlaub am Mittelmeer geeignet ist, den Eintritt der geistigen Enge zu verhindern, der drohen würde, wenn man nicht dorthin fahren würde. Ach so, ich vergaß es, man eifert mit dieser Reise dem Humboldt nach und schaut die Welt an.

Aber vielleicht kommt es ja so, wie Ulrike Herrmann es in ihrem neuen Buch "Ende des Kapitalismus" ausführt: Wenn es von 2045 an nur noch Energie aus Windkraft, Wasserkraft und Sonne gibt, steht ohnehin keine Energie zum Fliegen mehr zur Verfügung.

Dr. Ulrich Klatt, München

Angemessen besteuern

Müssen wir aufhören, mit dem Flugzeug zu verreisen? Zur Beantwortung dieser Frage müssen Flughöhe der Flugzeuge und der Schadstoffausstoß von deren Triebwerken beachtet werden. Der Lufttransportverkehr (Reise- und Frachtflugverkehr) findet derzeit in der Tropopause, etwa 10 000 bis 15 000 Meter und höher, statt mit Auswirkungen auf die Jetströme und auf die Anreicherung des Flugzeugausstoßes an Gasen und Partikeln/Rußteilchen in diesen Höhen wegen des geringen vertikalen Luftaustausches. Sind die Jetströme gestört, können Sie den Weitertransport der Großwetterlagen nicht mehr leisten. Zum anderen kann Starkregen ausgelöst werden, wenn eine mit Partikeln/Rußteilchen angereicherte Schicht langsam absinkt und in tieferen Lagen auf eine mit Wasserdampf gesättigte oder übersättigte Schicht stößt. Solange keine gesicherten Kenntnisse über die Unschädlichkeit des Lufttransportverkehrs in der Tropopause vorliegen, sollte für den Flugverkehr eine maximale Flughöhe vorgeschrieben werden, zum Beispiel 7500 Meter, wie sie bereits im Herbst 1991, also vor mehr als 30 Jahren, zwischen EU-Kommission/Umwelt und IATA (International Air Transport Association, der Dachverband der Fluggesellschaften; d. Red.) auf der Basis einer englischen Studie angedacht wurde.

Der internationale Luftverkehr profitiert von der Steuerfreiheit des Kerosins und den niedrigen Luftverkehrsabgaben. In Deutschland rangiert die Luftverkehrsabgabe in drei Stufen von 12,73 über 23,25 bis 58,06 Euro. Diese Situation hat zur Folge, dass zum Beispiel ein Flug von München nach London erheblich billiger ist als eine entsprechende Bahnfahrt - bei wesentlich höherer Umweltbelastung durch den Flug. Zum Schutz der Erdatmosphäre vor Schäden durch Triebwerksabgase und -partikel müsste für jeden Start und jeden geflogenen Flugkilometer eine Luftverkehrsabgabe je Fluggast erhoben werden, entsprechend eine Luftverkehrsabgabe je Tonne Luftfracht.

Eine sinnvolle Luftverkehrsabgabe müsste so festgelegt werden, dass die Nachfrage nach Flugreisen sich auf ein Maß einspielt, das nach Ansicht der Wissenschaft die Erdatmosphäre nicht nachhaltig schädigt, vielleicht in einer Größenordnung von 100 Euro je Start und 0,03 Euro je Flugkilometer für jeden Fluggast beziehungsweise für jede Tonne Flugfracht.

Müssen wir aufhören, mit dem Flugzeug zu verreisen? Nein, wenn für den Lufttransportverkehr sinnvolle Rahmenbedingungen gesetzt werden.

Dr. Herbert Müller, Ottobrunn

Schädliches Trugbild

"Die Welt schrumpfen zu lassen auf einen kleinen Radius um die eigenen vier Wände führt zu geistiger Enge." - So ein Blödsinn. Geistige Enge kann man eher bei Reisenden mit dem Flugzeug an eine Küste - mit All-inclusive-Angeboten - feststellen. Das ist ein großer Teil der Reisenden. Und wer profitiert? Fluggesellschaften, Hotelketten, nicht die "Besuchten und ihre Umgebung", die dazu beitragen könnten, die "geistige Enge" zu erweitern.

Noch so ein seltsamer Satz auf dieser Seite: "Davon, dass alle zu Hause bleiben, wird die Welt auch nicht besser." Man kann vieles tun, damit die Welt besser wird - gerade von zu Hause aus. Weniger CO₂ emittieren zum Beispiel, sich in vielen ökologischen und sozialen Bereichen engagieren, wodurch die Lebensbedingungen besser werden, vor allem für Menschen im globalen Süden.

Claudia Hanke, Weilheim

Der Spaß hat seinen Preis

Wenn wir im Gebäudesektor, in der Industrie, beim Straßenverkehr und so weiter komplett auf fossile Energieträger verzichten könnten, dann wäre es vielleicht noch für eine Weile vertretbar, Kerosin in Flugzeugturbinen zu verbrennen. Da wir aber insgesamt nur schleppend vorankommen mit der Reduktion unserer CO₂-Emissionen, sollten wir versuchen, Prioritäten zu setzen.

Wenn das nicht planwirtschaftlich geschehen soll, etwa durch Ausgabe von Bezugsscheinen für Flugreisen, dann geht es nur über den Preis. Eine Tonne CO₂, egal für welchen Zweck man sie ausstößt, muss überall dasselbe kosten. Und sie muss natürlich teuer genug sein, dass es überhaupt einen Anreiz für die Einsparung von CO₂ gibt.

Nach Abwägung unserer persönlichen Prioritäten fliegen wir dann vielleicht nicht mehr zweimal im Jahr auf eine Insel, sondern nur noch einmal alle zwei Jahre. Schwups haben wir schon 75 Prozent Kerosin beziehungsweise CO₂ eingespart. Und wenn das Kerosin dann noch teurer wird, lohnt es sich irgendwann, auf grünen Wasserstoff umzusteigen. Das Fliegen wird aber gewiss niemals ganz aufhören. Dafür macht es einfach zu viel Spaß.

Bepreisung respektive Zertifikate-Handel sind der Weg, den viele angesehene Wissenschaftler vorschlagen. FDP und Grüne könnten sich wieder vertragen, niemand müsste sich mehr irgendwo festkleben, "Pro und Contra"-Kolumnen könnten ungeschrieben bleiben. Warum tun wir es dann nicht einfach?

Axel Lehmann, München

Wir sind überprivilegiert

Die Rubrik "Pro & Contra" liefert ja vielleicht für manche Fragen interessante und neue Aspekte. Beim Thema Fliegen fragt man sich allerdings: Wurde hier ein Autor genötigt, mit fadenscheinigsten Argumenten eine Pro-Fliegen-Argumentation aufzubauen? In Zeiten von Erderwärmung, unbewohnbaren Landschaften und Fluchtbewegungen das "gesetzlich geschützte Gut" der Reisefreiheit zu verteidigen, das kann er doch nicht ernst meinen.

Erstens ist dieses Recht abhängig von der Gunst anderer Länder, uns diese Reisefreiheit zu gewähren, und da sind wir Deutschen - mit welchem Recht eigentlich? - überprivilegiert: Wir dürfen in 190 Länder reisen, Afghanen nur in 27.

Zweitens wird in diesen Zeiten von Flucht und Vertreibung nicht die Reise-, sondern die Bleibefreiheit zum höchsten Gut, wie die Philosophin Eva von Redecker in ihrem gleichnamigen Buch wunderbar ausgeführt hat. Und drittens bin ich nicht sicher, ob der klassische Tourist auf Mallorca oder den Malediven wirklich neue Erfahrungen und Weltoffenheit gewinnt.

Hatte Blaise Pascal vielleicht doch recht, dass "das ganze Unglück der Menschen allein daher rührt, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen"? Und ist "Freiheit" nicht immer noch zuerst die der anderen, die wir durch übermäßigen CO₂-Ausstoß minimieren - in der Gegenwart primär die der Menschen anderer Länder, aber auch die zukünftiger Generationen?

Susanne Polewsky, Berg

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