Kita-Streik:Raus aus der Spielecke

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Hohes Anforderungsprofil an die Erzieher und Erzieherinnen: Kitas werden immer mehr zu frühkindlichen Bildungseinrichtungen (Foto: dpa)

Ein bisschen spielen und basteln? Die Anforderungen an Erzieher, Heilpädagogen, Kinderpfleger sind enorm gewachsen. In den bevorstehenden Streiks fordern sie eine höhere Wertschätzung.

Von Ulrike Heidenreich

Kommende Woche beginnt der große Kinder-Handel. Per Telefonkette, per Rundmail, per Aushang - wie auf einer Tauschbörse wird es zugehen. "Nimmst du meines heute, gehe ich mit deinen Kindern morgen in den Zoo. Da muss ich nicht arbeiten." Und so fort. Wer nichts mitbekommen hat von den drohenden Streiks in den Sozial- und Erziehungsberufen, wird überrascht vor der versperrten Krippentüre stehen. Aber trotzdem wird wohl an den bevorstehenden Streiktagen das ganz große Schimpfen und Klagen ausbleiben - denn die meisten Eltern dürften Verständnis haben für die Aktion, sie wissen um die Nöte. Das Wohlwollen bekommen die Erzieherinnen bereits jetzt zu spüren, wenn sie die Kleinen morgens an der Garderobe entgegennehmen.

Nachdem die Gewerkschaften Verdi und GEW die Tarifverhandlungen für die 240 000 Beschäftigten für gescheitert erklärt hatten, leiteten sie am Dienstag die Urabstimmung ein. Eltern von Kindern in kommunalen Krippen, Kindergärten, Tagesheimen und Horten müssen mit unbefristeten Streiks rechnen. Ende kommender Woche dürfte es soweit sein, dass die ersten Kitas nicht öffnen.

Die Gewerkschaften setzen darauf, dass viele vom Ausstand betroffen sein werden

Bisher fallen wenig böse Worte von den Eltern, so hört man es aus den Kitas. Das war das Verblüffende auch im Jahr 2009, als die Erzieherinnen bundesweit streikten. 13 Wochen lang taten sie das, brachten Mütter und Väter an die Grenzen ihrer Organisationsfähigkeit. Damals ging es vor allem um einen Gesundheitstarifvertrag für Beschäftigte, die den Tag mit Rückenschmerzen auf niedrigen Stühlen verbringen und mitunter ohrenbetäubendes Kreischen ertragen. Natürlich kam am Ende auch ein besserer Verdienst heraus. Diesmal geht es ebenfalls um Geld, teils um ordentlich mehr Geld - vor allem aber um eine höhere Wertschätzung des Berufsbildes insgesamt. Wer viel verdient, genießt auch ein höheres Ansehen.

Margit Schwarz-Müller, Leiterin einer großen Münchner Kindertagesstätte, begründet das so: "Es ist nur die erste Form der Anerkennung, dass wir besser entlohnt werden. Die höhere Wertschätzung kommt später, da passiert viel in den Köpfen." Es ist also längst kein Arbeitskampf in der Spielecke mehr, es ist die Entscheidung darüber, welche Arbeit in Zukunft wie viel wert sein wird.

Es sind alle betroffen, die einen Job ergriffen haben, der fast schon traditionell niedrig entlohnt wird, der in der sich wandelnden Gesellschaft mit mehr Alten, Dementen und Behinderten aber immer häufiger gefragt sein wird. Es sind neben den Kinderpflegern und Erzieherinnen die Beschäftigten in der Behindertenhilfe, die Sozialarbeiter, Heilpädagoginnen, Sozialassistenten, Heilerziehungspfleger und alle anderen, die in Sozial- und Erziehungsberufen arbeiten - und dies wohl demnächst nur mit Streikunterbrechungen tun werden.

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Viele Erzieher erleben ihren Job als so anstrengend, dass ihre Gesundheit davon beeinträchtigt wird. Vor allem der Personalmangel macht den Beschäftigten zu schaffen.

Wenn sich Trauben von Eltern vor geschlossenen Kindertagesstätten bilden, wird das registriert. Wenn Berufstätige ihre Kinder ins Büro und in die Kantine mitbringen, sehen das die Kollegen. Was aber ist mit den Jugendlichen, die enttäuscht davon ziehen, weil der Jugendtreff im sozialen Brennpunkt geschlossen ist - der Sozialarbeiter streikt schweren Herzens? Was ist mit den alten Menschen, bei denen die Seniorenberatung heute einmal ausfallen muss? Mit den Behinderten, die morgens nicht in ihre Werkstatt gefahren werden? Die sieht und hört man nicht.

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Der gestiegenen Bedeutung der Sozial- und Erziehungsberufe wollen Gewerkschaften wie Verdi und die GEW Rechnung tragen: "Die Beschäftigten unterstützen Eltern, Kinder und Menschen mit besonderem Hilfebedarf darin, ihre Grundrechte zu wahren. Das reicht von der Führung eines würdevollen Lebens, durch Seniorenberatung und Behindertenhilfe, über das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit bis zum Recht auf Bildung", heißt es in einer Begründung für die Streiks.

Es geht längst nicht mehr nur um ein bisschen basteln und spielen

Die Zahl der Geringverdiener steigt, die Kinderarmut und Perspektivlosigkeit von Jugendlichen tun es ebenfalls. Die Familienkonstellationen wandeln sich, die soziale Kluft in Deutschland wird immer größer. In allen sozialen Berufen wächst dadurch der Druck - ebenso wie es die Erwartung an die Beschäftigten tun. So ist es in den Kindergärten beileibe nicht so, dass die Erzieherinnen etwa am hohen Anspruchsdenken von Eltern scheitern würden, die unter frühkindlicher Bildung vielleicht Chinesisch-Kurse verstehen. In dieser kleinen Welt, in die so viel hineinspielt - von der Vereinbarkeit von Familie und Beruf bis zu den sich verändernden sozialen Strukturen -, steigen die Ansprüche an die Erzieherinnen, weil Kitas immer mehr zu frühkindlichen Bildungseinrichtungen werden müssen. "Das Anforderungsprofil entspricht dem von Grundschullehrerinnen. Die Bezahlung bleibt aber deutlich zurück", sagt Annette Stein von der Bertelsmann-Stiftung.

Eine weitere Herausforderung: Der Sachverständigenrat für Integration und Migration hat unlängst bemängelt, dass die Kita-Fachkräfte nicht ausreichend für Familien mit Migrationshintergrund und Flüchtlinge geschult sind. Doch in Kitas gehören schon jetzt Sprachtests, frühkindliche Bildung, die Umsetzung von Inklusion oder die Arbeit mit den Eltern zum Alltag. Es gibt Kindertagesstätten, die nicht in "Vollbetrieb" gehen können, weil die Mitarbeiter in Schulungen sind und die Leiterin Bürokratie-Berge bewältigen muss. 88 Prozent der Teilnehmer eines Kita-Leiter-Kongresses im April in Dortmund haben beklagt, ihre Bezahlung entspreche nicht den gestiegenen Anforderungen. Das Vorurteil, "wir spielen, basteln und betreuen die Kinder nur", sei noch verbreitet.

Berufstätige Eltern, die in den kommenden Wochen kein Glück beim "Kinderroulette" haben, müssen ihrem Chef schnell Bescheid sagen. Arbeitsrechtler weisen darauf hin, dass sie in diesem Fall zu Hause bleiben dürfen und nicht Kündigung oder Abmahnung befürchten müssen. Wenn der Streik sehr kurzfristig angesetzt wird, etwa an einem Freitag für Dienstag, haben sie Anspruch auf Lohnfortzahlung. Für langfristige Streiks gilt das nicht. Die Gewerkschaften haben durchblicken lassen, Eltern frühzeitig über Kita-Schließungen zu informieren - um ihnen die Planungen zu erleichtern. Ein bisschen zumindest.

© SZ vom 29.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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