Betreuungsgeld in Skandinavien:Verfangen in der Frauenfalle

Mütterrente

Reine Frauensache: Ende 2014 lag der Anteil der Mütter unter den Beziehern von Betreuungsgeld bei 94,7 Prozent.

(Foto: dpa)
  • Das Betreuungsgeld ist keine Erfindung der CSU: In Finnland, Norwegen und Schweden gibt es die Prämie seit Jahren; sie ist dort ebenso umstritten wie in Deutschland.
  • Seitdem haben Sozialwissenschaftler in den skandinavischen Ländern rasch unerwünschte Folgen der Prämie festgestellt.
  • Überproportional viele Eltern mit niedrigem Bildungsniveau beziehen die Leistung, die Einkommensschere zwischen Frauen und Männern hat sich weiter geöffnet.
  • In Deutschland wird das Betreuungsgeld hingegen immer beliebter.

Von Ulrike Heidenreich

Betreuungsgeld - das Wort mit dem großen B am Anfang klingt warm und rund und irgendwie behütend. Im Norden Europas hört sich dieses Reizwort übersetzt ganz anders an, nämlich so: "Kotihoidontuki", "Kontantstøtte" und "Vårdnadsbidrag". Darin schwingt für unsere Ohren das Komplizierte und Verwirrende schon mit. In Finnland, Norwegen und Schweden gibt es das Betreuungsgeld seit Jahren; es ist beileibe keine Erfindung der CSU - und es ist im Norden ebenso umstritten wie im Süden.

Vielleicht hätten die Befürworter und Gegner der staatlichen Prämie genauer in Skandinavien hinschauen und hinhören sollen, denn viele Erfahrungen und Forschungsergebnisse decken sich mit dem, was hierzulande seit dem Sommer 2013 die Familien und die Politik umtreibt. Selbst das Bundesland Thüringen, wo es ein Landeserziehungsgeld nach ähnlichem Muster gibt, hat einen Erfahrungsvorsprung von gut sechs Jahren.

Die unerwünschten Folgen des Betreuungsgeldes

Die skandinavischen Länder werden immer als Vorbild gehandelt: vorne beim Ausbau der Kinderbetreuung, bei der Gleichberechtigung, der Beteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt, und es kommen auch mehr Babys dort zur Welt als in Deutschland mit statistisch mickrigen 1,39 Kindern pro Frau.

Eltern, die auf öffentliche Angebote verzichten und ihre Kinder zwischen dem ersten und dritten Geburtstag (von Land zu Land unterschiedlich) zu Hause betreuen, bekommen Geld vom Staat: in Finnland bereits seit 1985, in Norwegen seit 1998 und in Schweden seit 2008. Ähnlich wie in Deutschland waren es konservative Parteien, die das Betreuungsgeld mit dem Argument einführten, es bringe Wahlfreiheit.

Was seitdem geschehen ist: Sozialwissenschaftler haben in den skandinavischen Ländern rasch unerwünschte Folgen des Betreuungsgeldes festgestellt. Der Auszahlungsbetrag liegt bei etwa 330 Euro pro Kind, manchmal auch mehr. Laut diversen Studien beziehen überproportional viele Eltern mit niedrigem Bildungsniveau diese Leistung. Die Einkommensschere zwischen Frauen und Männern hat sich weiter geöffnet; die große Mehrheit, gut 90 Prozent der Leistungsempfänger, sind Frauen.

In Finnland ist der Zuspruch nichtsdestotrotz bis heute hoch: "Kotihoidontuki" gibt es schon so lange, dass es als eine Art Elternzeitverlängerung angesehen wird. In Schweden hingegen ist der "Vårdnadsbidrag" ein Auslaufmodell. Nur noch vier Prozent der Eltern beziehen es.

In Deutschland immer beliebter

In vielen Kommunen wurde es abgeschafft: etwa in Södertalje bei Stockholm, wo die rot-grüne Mehrheit bilanzierte, das Betreuungsgeld benachteilige Kinder bei den Lernchancen, sei eine Frauen- und Armutsfalle. In Norwegen wurde die von Anfang an umstrittene Leistung Schritt für Schritt gekürzt, für Kinder im dritten Lebensjahr wird sie gar nicht mehr ausgezahlt.

In Deutschland hingegen wird das Betreuungsgeld immer beliebter: Im vierten Quartal des Vorjahres bezogen bundesweit 386 483 Eltern die 150-Euro-Prämie. Im zweiten Quartal waren es erst 224 400. Bayerns Familienministerin Emilia Müller (CSU) spricht deshalb von einem "Erfolgsmodell".

Wesentlich mehr Westdeutsche beantragen die Prämie

In Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Bayern leben die meisten Familien, die Betreuungsgeld beantragt haben. Bayern ist mit 85 682 Kindern Spitzenreiter. Hier gibt es einen Spezialservice: Allen Familien, die Elterngeld beziehen, wird das Antragsformular automatisch vom Amt zugesandt, freundlicherweise schon ausgefüllt.

Weitere Fakten aus Deutschland: 94,7 Prozent der Bezieher sind Mütter. Die meisten männlichen Bezieher lebten in Bremen und Berlin (je 9,1), in Bayern waren es mit 3,2 Prozent am wenigsten. Wesentlich mehr Eltern aus Westdeutschland als aus den neuen Bundesländern beantragen die Prämie: Im Osten waren es insgesamt nur etwa 27 000. Dort ist die Bezugsdauer zudem mit durchschnittlich 13,7 Monaten wesentlich kürzer als in den westlichen Bundesländern mit 19,6 Monaten. 15 Prozent der Bezieher von Betreuungsgeld besaßen nicht die deutsche Staatsbürgerschaft.

Die Auseinandersetzung um die korrekte Kinderbetreuung ist gesellschaftspolitisch hoch aufgeladen. So war die Aufregung groß, als das Deutsche Jugendinstitut mit der Uni Dortmund im Juli 2014 in einer Ein-Jahres-Bilanz anfangs einen Rechenfehler veröffentlichte: Statt 54 Prozent waren es tatsächlich 22,6 Prozent der Hauptschulabsolventen und 31,2 Prozent der Befragten ohne Schulabschluss, die die monatliche Überweisung als Hauptgrund dafür nannten, ihre Kinder nicht in eine Krippe zu geben. Fakt bleibt jedoch: Je höher ihre Bildung, desto seltener beantragen Eltern Betreuungsgeld.

In Thüringen wird seit 2006 ein Erziehungsgeld ausgezahlt, unabhängig vom Einkommen. Darum ist es vergleichbar mit dem Betreuungsgeld. Eine Auswertung des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) kam schon 2012 zum Ergebnis, dass dort finanzielle Anreize für Eltern, die ihre Kinder zu Hause lassen, schlecht für die Erwerbsquote von Frauen sind und nachteilig für die frühkindliche Entwicklung sein können. Nicht anders also als in Skandinavien.

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