Keine Lust auf Ausland:"ITler sind sesshaft"

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Deutsche Computerspezialisten zieht es nur selten ins Ausland, obwohl ihnen eigentlich die Welt offensteht. Deutschland bleiben dadurch Fachkräfte erhalten - aber das hat auch Nachteile.

Christine Demmer

Die hohen Einschaltquoten bei Auswanderer-Dokusoaps im Fernsehen lassen aufmerken: Offenbar ist es für viele Menschen ein verlockender Gedanke, nicht in Göppingen, Dresden oder Kiel zur Arbeit zu gehen, sondern in einem anderen Land, am liebsten möglichst weit weg von Deutschland. Die meisten wollen nach Kanada, Australien, Neuseeland oder in die USA. Mit den 25.000 Programmierern, Entwicklern, Datenbank- und Netzwerkspezialisten, die ihre Lebensläufe im europäischen Jobportal Eures hinterlegt haben, verhält es sich allerdings anders. Ihnen sind die Länder der EU schon weit genug weg von daheim.

Wie wird anderswo programmiert, administriert - oder auch der Feierabend verbracht? Zu wenige deutsche Informatiker gehen solchen Fragen nach. (Foto: Reuters)

Viele Lebensläufe werden über kurz oder lang wieder aus dem Eures-Bewerberportal verschwinden - wahrscheinlich weil die Bewerber aufgegeben haben. Denn bei aktuell 1527 Jobangeboten für IT-kundige EU-Ausländer kann nur ein Bruchteil der Kandidaten damit rechnen, über die europäische Arbeitsvermittlung aufgespürt und eingestellt zu werden. Die meisten IT-Fachkräfte mit unzähmbarem Fernweh suchen deshalb nicht nur über den Behördenweg, sondern wenden sich auch direkt, meist online, an potentielle Arbeitgeber.

Technisch ist das für die Berufsgruppe, die schon von Berufs wegen mit der englischen Sprache vertraut und mit dem Internet aufgewachsen ist, ein Heimspiel. Praktisch auch, denn die Vernetzung mit Zulieferern, Entwicklungspartnern und externen Kollegen ist weit fortgeschritten und findet über weite Strecken elektronisch statt. Die direkte Bewerbung beim Wunscharbeitgeber ist inzwischen sogar der gängige Weg, denn erfahrene IT-Mitarbeiter kennen ihren Wert, sie wissen, woran die Marktführer und die jeweiligen Spezialisten arbeiten und welche Qualifikationen gesucht sind. Für IT-Fachkräfte ist es also nicht besonders mühevoll, sich für ein paar Jahre den Duft der großen weiten Welt um die Nase wehen zu lassen.

Und doch tun es die wenigsten, kaum jedenfalls Deutsche. Die überwältigende Mehrheit der bei Eures registrierten Computerspezialisten stammt aus ost- und südeuropäischen Ländern sowie aus dem Baltikum und möchte nach Mittel- und Nordeuropa, wo vielleicht nicht mehr, aber deutlich besser bezahlte Jobs auf sie warten. "Im Segment IT wird in allen Ländern gesucht", sagt Beate Raabe, Sprecherin der Fach- und Auslandsvermittlung ZAV in Bonn. Sie führt die geringe Nachfrage nach Stellen im Ausland auf das anhaltende Branchenwachstum in Deutschland zurück: Computerexperten werden selten arbeitslos. Darüber hinaus neige diese Berufsgruppe nicht zu einer "Ich bin dann mal weg"-Haltung: "ITler sind sesshaft", bestätigt Raabe.

Jedenfalls dann, wenn sie in ihrem Beruf angekommen sind. Der Weg dorthin darf freilich gern die nationalen Grenzen überschreiten, zum Beispiel für ein Auslandssemester oder ein Praktikum. "Deutsche Informatikstudenten sammeln gern Erfahrung im Ausland", sagt Stephan Pfisterer, Bereichsleiter Bildung und Personal beim Branchenverband Bitkom in Berlin. Bevorzugt wendeten sie sich den USA, England oder anderen europäischen Ländern zu. "Nach Fernost gehen sie allerdings nur in absoluten Ausnahmefällen", fügt Pfisterer hinzu, "wir glauben aber, dass das künftig zunehmen wird."

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Der Branchenverband sieht das mit gemischten Gefühlen. Einerseits zählt internationale Erfahrung viel im Exportland Deutschland. Andererseits: "Leider bleiben eben auch einige im Ausland hängen", bedauert Arbeitsmarktexperte Pfisterer. "An die USA verliert Deutschland nach wie vor viele potentielle Spitzenkräfte. Insofern zeigt sich auch hier, dass die deutsche IT-Wirtschaft in einem harten globalen Wettbewerb steht. Aber natürlich wollen wir auch, dass die Leute im Ausland Erfahrung sammeln. Das gilt auch für etwas exotische Länder wie China und Indien."

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Auch die wissenschaftlich ambitionierten IT-Experten brechen nicht gerade in Scharen in die Welt auf. Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) fasst sie mit Mathematikern und Naturwissenschaftlern in einer Gruppe von nur 1300 zusammen, deren Studium im europäischen Ausland 2008/09 vom Erasmus-Programm unterstützt wurde - das ist ein sehr knappes Viertel der geförderten Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler.

"Es gibt sicherlich eine Nachfrage nach Informatikern, die in Deutschland ausgebildet wurden", sagt Bitkom-Arbeitsmarktexperte Pfisterer. Bedingung seien sehr gute Englischkenntnisse, und die hätten die meisten. "Wir haben hier eine gute bis sehr gute Ausbildung, die weltweit einen entsprechenden Ruf genießt. Im Schnitt zeigt Deutschland bessere Ergebnisse als die USA. Dies gilt vielleicht nicht für die Top-Institute, aber die amerikanische Durchschnittshochschule bringt sicherlich keine besseren Absolventen hervor als deutsche Hochschulen."

Wenn das nicht zum Blick über den Tellerrand motivieren könnte - und sollte.

© SZ vom 05.03.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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