Berlin ist die Hauptstadt der Arbeitslosen, aber auch die Hauptstadt der Erfindungswut. Wer keinen Job hat oder findet, schafft sich einfach einen, den es noch nicht gab. Fünf Geschäftsideen, mit denen es sich gut bis sehr gut leben lässt.
Parfüm aus dem Netz
Man sollte annehmen, dass das Internet eben nicht alles kann. Seinen Lieblingsduft zusammenmischen etwa, weil man dazu doch eine Nase und den richtigen Riecher braucht und nicht nur eine Maus zum Klicken. Matti Niebelschütz, sein Bruder Yannis und ihr gemeinsamer Freund Patrick Wilhelm haben so nicht gedacht. Vor zwei Jahren gründeten die drei die Internetseite myparfuem.de, heute kümmern sich zwölf Angestellte um derzeit 40.000 Kunden.
Die Idee, den Lieblingsduft am Computer zusammenzuklicken, hatten die drei Berliner auf einer Party. Matti Niebelschütz unterhielt sich gerade mit einer Freundin, als eine Frau vorbeilief, die sich mit dem gleichen Parfüm eingesprüht hatte. Die Freundin war sauer auf die Duftdoppelgängerin - und die Brüder Niebelschütz waren um eine Idee reicher. "Die besten Ideen kommen einem ja auf Partys", sagt Matti Niebelschütz, der erst 26 Jahre alt ist und zur Zeit zwei selbst kreierte Parfüms benutzt.
Theoretisch ließen sich im Labor von myparfuem, in dem Chemiker die Online-Bestellungen komponieren, acht Milliarden verschiedene Düfte kreieren, sagt Matti Niebelschütz. Praktisch aber helfen einem ein Duftkompass und ein Fragebogen, um den richtigen Duft und das richtige Mischungsverhältnis zu bekommen. Auf myparfuem stehen fünf Duftbasen und eine Palette aus 36 Zusatzstoffen zur Verfügung, man kann Himbeere und Sandelholz, Ananas und Amber, Ingwer und japanische Kirschblüte hinzumixen - und wem der Duft nicht gefällt, kann den Flakon zurückschicken und sich einen neuen Duft zusammenbrauen lassen.
Die junge Firma arbeitet mit einem deutschen Dufthersteller zusammen, die 40.000 Kundinnen (und ein paar tausend Kunden) kommen aus der ganzen Welt. Jeden Tag werden von einem Loft in Schöneberg zwischen 50 und 400 Flakons verschickt, nach Garmisch-Patenkirchen, Brighton, Katar, Thailand, in die USA. Die drei Jungs waren so beflügelt davon, dass ihre Start-up-Firma schon nach drei Monaten in der Gewinnzone war, dass sie schon eine neue Geschäftsidee entwickelt haben. Verraten wollen sie die nicht. Man soll sich noch zwei Monate gedulden.
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Der Arbeitsplatz von Norbert Winkelmann sind die Straßen von Berlin, seine Kunden Werbeagenturen in Mitte, Rentnerinnen aus dem Westend, kinderreiche Familien aus Zehlendorf. Wer einen Platten hat, einen gerissenen Bremszug oder renovierungsbedürftige Räder im Schuppen, der ruft den schlaksigen Slawisten und Informatiker auf seinem Handy an. Mit einem kaputten Fahrrad kann man nicht zur Werkstatt fahren, also kommt die Werkstatt zum kaputten Rad: Das ist Winkelmanns simples Geschäftsmodell.
Und weil er als Informatiker weiß, wie man Suchmaschinen im Internet für den eigenen Zweck optimiert, ist er gut beschäftigt. An diesem Donnerstagvormittag etwa schraubt er auf dem Bürgersteig in Kreuzberg am Mountainbike einer Stammkundin, das Vorderrad muss zentriert, der Bremszug erneuert werden. Bei größter Hitze, Regen und Wind kommt Winkelmann zu seinen Kunden stets selbst mit dem Rad, in einem selbst zusammengeschweißten Anhänger führt er eine Auswahl neuer Schläuche, Bremsklötze und Glühbirnen mit sich.
Winkelmann profitiert von der Unfreundlichkeit vieler Berliner Fahrradhändler, die einen bei Reparaturwünschen anbrummen, man solle in zwei Wochen wiederkommen. Man muss nie länger als einen halben Tag auf ihn warten, er repariert zügig und zurückhaltend, und die Kunden wissen, dass er ihnen kein neues Fahrrad aufschwätzen möchte. Inzwischen hat er so viele Kunden, dass er sich die Arbeit (und die Bezirke) mit einem Rad-Enthusiasten teilt. Seine Idee hat sich auch herumgesprochen. Schon öfter haben ihn Pedalisten aus anderen Städten angerufen und wollten wissen, wie man eine Radambulanz gründet.
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Vor ein paar Monaten fand Matthias Schwach, dass es an der Zeit sei, etwas Neues auszuprobieren. Schwach ist 35 Jahre alt und arbeitete bis vor kurzem noch in Frankfurt bei einem Wirtschaftsnachrichtendienst. Dort schrieb er über den Immobilien- und Rohstoffmarkt, aber glücklich hat ihn das nicht gemacht. "Das war nicht mein Ding", sagt er heute. Der Büroflüchtling verdient inzwischen sein Geld auf der Straße. Und wo er und sein italienischer Kleintransporter Piaggio Ape stehen, bilden sich im Nu Menschentrauben und Schlangen. Bei einem Urlaub in Los Angeles kam Schwach auf die Idee, eisgekühlten Joghurt zu verkaufen. Neu ist die Idee zwar nicht. Als er aber die Mietpreise in Berlin-Mitte und Prenzlauer Berg studierte, wurde ihm schnell klar, dass er sich einen Laden nicht leisten kann.
Seinen "Frozen Yoghurt" verkauft er daher vom Auto aus. "Ich arbeite zehn Stunden am Tag", sagt Schwach in einer Atempause auf der Museumsinsel, "fühle mich aber trotzdem frei." Den aktuellen Standort des dreirädrigen Eisstandes kann man seiner Facebook-Seite entnehmen, die er ständig per iPhone aktualisiert. Und wenn er an einem auf der Straße vorbeifährt, kann man ihm winken, und wenn es die Straßenverkehrsordnung zulässt, stoppt er auch.
Bei YoMunchy ist der Genuss aufs Wesentliche reduziert: Es gibt nur eine Geschmackssorte (nämlich Yoghurt), eine Bechergröße und fünf Toppings, zur Zeit unter anderen Marshmellows und Erdbeeren. Feierabend ist, wenn ihm Yoghurt und Toppings ausgehen, nach 120 Portionen. Im Sommer bei 35 Grad kann das schon nach ein paar Stunden sein.
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Zum Gespräch erscheint Anselm Franz zu spät. Er entschuldigt sich ein paarmal, er sei mit dem Auto im Stau stecken geblieben. Mit einem seiner Velotaxis wäre ihm das nicht passiert, denn die dürfen auch auf Bürgersteigen fahren. Der aus Prenzlauer Berg stammende Franz besitzt eine der erfolgreichsten Berliner Erfindungen: das Velotaxi. Es sind jene fahrradähnlichen Rikschas, die Touristen zum Roten Rathaus, zu Angela Merkels Bundeskanzlerinnenbüro, zum Holocaust-Mahnmal oder zurück ins Hotel transportieren. Manche Firmen in Berlin buchen eine Armada von Velotaxis, wenn sie Feste feiern und nicht möchten, dass ihre Gäste mit Alkohol im Blut nach Hause fahren. Der eigentliche Erfinder der Rikschas, Ludger Matuszewski, gehört der Firma mittlerweile nicht mehr an. Das expandierende Unternehmen hat inzwischen 18 Angestellte.
Die Tretfahrzeuge, die mit einem elektrischen Hilfsmotor ausgestattet sind, werden inzwischen in 53 Ländern eingesetzt, in Frankreich und Spanien etwa, aber auch in Neuseeland und Tokio. Sogar die Berliner Verkehrsbetriebe haben schon mal Dutzende Velorikschas geordert, als die U-Bahnen streikten. Die rund 10.000 Euro teuren grünen Taxis werden in Lichtenberg produziert, jedes Jahr zwischen 150 und 250 Stück. Die Fahrer mieten die Rikschas für 5 Euro am Tag und können alle Einnahmen für sich behalten, bis zu 100 Euro am Tag, viel Trinkgeld bekommen sie vor allem dann, wenn sie ihren Kunden Berlins geschichtsträchtige Orte erklären.
Die Firma von Franz verdient an den Touren, weil sie die Oberfläche der Tret-Taxis mit Werbung versieht. "So hat jeder was davon", sagt Franz. Als er seinen gut bezahlten Ingenieursjob bei einem Energieriesen aufgab, um sich künftig den Rikschas zu widmen, hätten alle gesagt: "Der Franz ist durchgeknallt. Der beschäftigt sich jetzt mit Dreirädern." Er lacht, als er davon erzählt, und sagt: "So verrückt sehe ich doch gar nicht aus."
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Robert Shaw sitzt zwischen Tomatenstauden, Kürbispflanzen und Koriandersträuchern, schiebt sich die Mütze aus dem Gesicht, lächelt und sagt: "Ich bin ja eigentlich kein Gärtner." Eigentlich. Irgendwie ist er dann jetzt doch einer, seit zwei Jahren, zusammen mit seinem Freund Marco Clausen. Shaw hatte Film studiert, Clausen ein Restaurant betrieben, als die zwei sich kennenlernten. Shaw erzählte von seinen Eindrücken, die er auf Kuba gewonnen hatte. In Havanna leben manche Bewohner von selbst gepflanztem Stadt-Gemüse. "Lass uns doch einen Garten machen", schlug Shaw vor. So entstanden die Prinzessinnengärten.
Dort, wo Berlin am hässlichsten ist, am Moritzplatz in Kreuzberg, fanden die beiden eine zugemüllte Fläche, die in den letzten sechs Jahrzehnten meist brach lag. Jetzt blüht es dort wie in englischen Vorgärten, es wachsen Fenchel, schwarzer Basilikum, Zuckerschoten und 17 verschiedene Kartoffelsorten, als sei es hier schon immer grün gewesen.
Man kann Patenschaften für Beete kaufen, wobei die Beete aus ausgemusterten Plastik-Brotkisten bestehen, um bei Bedarf den ganzen Garten an anderem Ort aufzubauen. Man trifft in den Prinzessinnengärten türkische Frauen aus der Nachbarschaft, die gemeinsam mit Agrarprofessoren aus Brandenburg, Gartenaktivisten aus New York und Hausfrauen aus Sibirien die transportablen Beete beackern oder Tipps austauschen. Wen der Hunger überkommt, kann im Gartenlokal Risotto mit Gartengemüse essen oder eine Pizza mit Korianderkernen oder einen Salat, der vor einer Minute erst gepflückt wurde.
Man kann Öko-Tomaten in den Prinzessinnengärten kaufen, man kann aber auch gärtnern, wenn man Lust dazu hat. Die leeren Milchtüten aus den Kreuzberger Cafés werden mit Erde aufgefüllt und Setzlingen, und schon wächst aus ihnen Pfefferminze oder Erbsenkraut. In diesem Sommer feiern Shaw und Clausen ein Jahr "Nomadisches Grün", wie sie sich nennen. Nie hätten sie gedacht, dass sich die ganze Welt für ihr Öko-Paradies erwärmt.
Wissenschaftler, Öko-Bauern, Freiluftgärtner und Hobbyköche aus Boston, Bombay und Brighton bestaunen auf 6000 Quadratmetern die Pflanzen, den Bienenstock, die Kompostecken und die Obstvielfalt am Moritzplatz. Das Urban Farming in Kreuzberg, das Ackern also mitten in der Stadt, soll auch Wissenslücken füllen. Shaw erzählt von Schulklassen auf Gartenbesuch und davon, wie viele "Kinder sich darüber wundern, dass Karotten nicht im Supermarkt, sondern in der Erde wachsen".