Gerechter Lohn:Weniger ist weniger

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Darf's ein bisschen mehr sein? Eine Frage, die kaum ein Chef in seinem Karriereleben stellt. Jedenfalls nicht in Bezug auf das Gehalt. (Foto: Matthias Balk/dpa)

Noch immer werden Gehälter häufig frei verhandelt - und unfair. Das Entgelttransparenzgesetz soll die Verdienstlücke zwischen Männern und Frauen eigentlich verkleinern. Wäre es nicht selbst ungerecht.

Von Nicole Grün

Diskriminierung einmal andersherum: In einer neuen Version des Spieleklassikers Monopoly bekommen Frauen stolze 400 Dollar mehr Startkapital als ihre männlichen Mitstreiter. Und jedes Mal, wenn sie über Los gehen, sacken sie 40 Euro mehr ein. "Wenn sie geschickt spielen, können auch Männer mehr verdienen", tröstet der Spielehersteller Hasbro die Männer.

Die Realität sieht anders aus als bei "Ms Monopoly" - das zeigt etwa der Fall der ZDF-Journalistin Birte Meier. Sie erfuhr in einem Gespräch mit einem Kollegen, dass sie deutlich weniger verdient als die Männer in ihrer Redaktion. Weil ihre Beschwerde beim Sender nichts brachte, verklagte sie ihn wegen Entgeltdiskriminierung. Fünf Jahre dauerte der Prozess.

Birte Meier ist nicht alleine: Mehr als hundert Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts verdienen Frauen in Deutschland nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes ein Fünftel weniger als Männer. Die Bundesrepublik ist damit das Schlusslicht in der EU, noch schlechter schneidet nur Estland ab. Drei Viertel der Verdienstlücke sind strukturbedingt, also unter anderem darauf zurückzuführen, dass Frauen häufiger in schlechter bezahlten Branchen und Berufen oder in Teilzeit arbeiten: Oder dass sie ihre Erwerbstätigkeit unterbrechen, um Kinder großzuziehen oder Angehörige zu pflegen, und seltener in Führungspositionen aufsteigen.

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Bereinigt um diese Faktoren bekommen Frauen für dieselben Tätigkeiten im Schnitt sechs Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Die Folgen sind gravierend: Auf das Leben gerechnet erzielen Frauen in Deutschland durchschnittlich 45 Prozent weniger Erwerbseinkommen als Männer, wie eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt. Außerdem bekommen sie nur etwa halb so viel Rente.

Das Gesetz sieht keine Sanktionen für Unternehmen vor, die unfair bezahlen

Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, den Verdienstabstand bis zum Jahr 2030 auf zehn Prozent zu senken. Helfen soll dabei das Entgelttransparenzgesetz: Seit Januar 2018 können Arbeitnehmer Auskunft darüber einfordern, was ein Arbeitskollege des anderen Geschlechts in gleicher oder gleichwertiger Tätigkeit im Monat verdient. Fast drei Jahre später ist Zeit für ein Fazit: Was taugt das Gesetz?

"Es reicht halt nicht, das ist ganz klar", sagt Henrike von Platen, Wirtschaftsinformatikerin und Gründerin des "Fair Pay Innovation Lab" (FPI), das Unternehmen dabei berät, gerechte Entgeltsysteme umzusetzen. Kritik am Gesetz gibt es reichlich: So besteht ein Auskunftsanspruch nur, wenn mindestens sechs Kollegen des anderen Geschlechts im Unternehmen in einer vergleichbaren Tätigkeit arbeiten - alleine darüber, was eine vergleichbare Tätigkeit ist, lässt sich trefflich streiten.

Zudem gilt er nur in großen Betrieben mit mehr als 200 Mitarbeitern. Damit sind im Mittelstandsland Deutschland nur 0,7 Prozent der Firmen und 32 Prozent der Beschäftigten überhaupt von dem Gesetz betroffen, heißt es in einem Report des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung. Doch gerade in kleinen und mittelständischen Unternehmen sei die Entgeltdiskriminierung am höchsten, bemerkt etwa Jutta Hannecke, stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds.

Ein weiterer Kritikpunkt: Das Gesetz sieht keine Sanktionen für Unternehmen vor, die tatsächlich unfair bezahlen. Wer fragt, erfährt außerdem nicht die tatsächlichen Entgelte einzelner Kollegen, sondern nur den wenig aussagekräftigen Median der Vergleichsgruppe - also das Gehalt, das bei der Auflistung der Bruttogehälter nach ihrer Höhe genau in der Mitte liegt. Von oft zahlreichen Zusatzleistungen wie Weihnachtsgeld, Dienstwagen oder kostenlosem Kantinenessen werden nur zwei berücksichtigt.

Nur jede siebte Anfrage führte überhaupt zu einer Gehaltsanpassung

Wohl wegen all dieser Fallstricke machen nur wenige von dem im Gesetz verankerten Auskunftsanspruch Gebrauch. Nur vier Prozent der Beschäftigten in größeren Betrieben hätten bisher eine Anfrage gestellt, so ein Gutachten, welches das Entgelttransparenzgesetz 2019 evaluierte. Im selben Jahr berichtete das Ifo-Institut, dass nur jede siebte Anfrage zu einer Gehaltsanpassung führte.

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Die Zahl der Auskunftsanfragen sei in der Zwischenzeit nicht gestiegen, meint Henrike von Platen vom FPI: "Man hört und sieht relativ wenig, das Gesetz ist nicht mehr so ein großes Thema." Viele Beschäftigte holen aus Angst vor möglichen Nachteilen keine Auskünfte ein. "Die Person, die fragt, steht ja erst einmal in der Ecke", sagt von Platen. Dabei könne man auch mit einer positiven Konnotation danach fragen, wie sich das persönliche Gehalt zusammensetzt. "Das ist eigentlich die spannendere Frage als die nach einem Median, der mir nichts bringt. Wenn ich verstehe, wie sich mein Gehalt zusammensetzt, kann ich vielleicht auch etwas dafür tun, es zu steigern."

In anderen Ländern gilt: fair zahlen oder draufzahlen

Der Finanzexpertin zufolge krankt das Entgelttransparenzgesetz vor allem daran, dass es die falsche Zielgruppe im Fokus hat. "Die Ursache der unfairen Bezahlung liegt dort, wo das Geld von den Konten abgeht: bei den Arbeitgebenden." Andere Länder hätten das erkannt: In Island, Frankreich oder Kanada müssen Unternehmen nachweisen, dass sie fair bezahlen. Können sie das nicht, wird eine Strafe fällig.

Schweden setzt bei der Bekämpfung von Lohnungleichheiten dagegen auf bedingungslose Transparenz: Die Einkünfte jedes Einzelnen sind online für jeden einsehbar. In Großbritannien müssen Firmen mit mehr als 250 Beschäftigten immerhin Daten über ihre geschlechtsspezifischen Lohnunterschiede veröffentlichen, zusammen mit einer Ursachenerklärung und einem Katalog von Maßnahmen, mit dessen Hilfe man die Lohnlücke schließen möchte. Das deutsche Entgelttransparenzgesetz verpflichtet nur Unternehmen mit mindestens 500 Mitarbeitern, "regelmäßig ihre Entgeltstrukturen auf die Einhaltung der Entgeltgleichheit zu überprüfen" und darüber zu berichten. Jedoch haben Betriebe keine Sanktionen zu befürchten, wenn sie der Pflicht nicht nachkommen oder den Bericht nicht veröffentlichen.

In manchen Startups entscheiden die Mitarbeiter selbst über ihr Gehalt

Dennoch spricht Henrike von Platen dem Gesetz eine positive Wirkung zu: "Der Anstoß, sich die eigenen Entgeltstrukturen genauer anzusehen, der im Gesetz auch nur als Anregung drin ist, wird von immer mehr Unternehmen tatsächlich wahrgenommen." Der erste Schritt in Richtung "Fair Pay" sei es, eine Entgeltanalyse durchzuführen. Wer dabei auf Missstände stoße, ändere danach in den meisten Fällen auch etwas. "Im Zweifel müssen Arbeitgebende die Gehälter anpassen, das können sie über Nacht erledigen. Das ist nicht kompliziert und kostet meistens weniger als gedacht."

Einige Unternehmen benötigen nicht erst Gesetze, um ihre Bezahlung fairer und transparenter zu gestalten: In manchen Start-ups entscheiden Mitarbeiter selbst über ihr Gehalt, wie etwa bei Einhorn Products, einem Hersteller veganer Kondome. Beim Einrichtungskonzern Ikea achtet man schon seit Jahren darauf, dass es keine Gehaltsunterschiede zwischen Frauen und Männern gibt, ebenso bei Starbucks. Bei der Café-Kette existiert seit 2018 zumindest in den USA keine Lohnlücke mehr.

Dass manchmal auch kleine Maßnahmen genügen, um gerechtere Löhne herzustellen, beweist der Industriekonzern Evonik. Bei einer Analyse der Entgeltstrukturen stellte sich heraus, dass Beschäftigte in Elternzeit bei Gehaltsanpassungen übergangen wurden, wodurch vor allem Mütter im weiteren Berufsverlauf weniger verdienten. Deshalb werden bei automatischen Gehaltsanpassungen nunmehr alle Beschäftigten berücksichtigt, auch wenn sie gerade eine Auszeit nehmen.

Wo Gehälter frei verhandelt werden, ist Ungerechtigkeit häufiger

Eine weitere wirkungsvolle Maßnahme gegen Lohnungleichheit ist es, bei Bewerbungen nicht wie derzeit üblich nach dem Wunschgehalt zu fragen, sondern als Arbeitgeber selbst das Gehalt oder eine Gehaltsspanne zu benennen. "Schließlich muss das Unternehmen wissen, welche Kosten für bestimmte Leistungen vorgesehen sind", sagt von Platen. Zudem vermeidet man damit, dass Männer durch zäheres Verhandeln oft mehr Gehalt für sich herausschlagen als Frauen.

Kleine Randnotiz: Der Berliner Arbeitsrichter, auf dessen Schreibtisch der Fall Birte Meiers 2015 zuerst landete, sah in der Tatsache, dass beinahe alle männlichen Kollegen mehr verdienten als die ZDF-Journalistin, eine Folge der Vertragsfreiheit. "Die Männer haben vielleicht besser verhandelt. Das ist Kapitalismus", sagte er und wies Meiers Klage ab. In Kalifornien verbietet der "California Fair Pay Act" mittlerweile, dass sich der künftige Arbeitgeber im Bewerbungsgespräch nach dem bisherigen Gehalt erkundigt. Diese Frage hat oft verhindert, dass Frauen ihr Gehalt auf Männerniveau verbessern, weil sie ja schon immer schlechter verdienten.

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Henrike von Platens "Fair Pay Innovation Lab" selbst stellt auf seiner Website ein Tool zur Verfügung, mit dessen Hilfe aktuelle und künftige FPI-Beschäftigte ihr Gehalt oder das ihrer Kollegen und Kolleginnen berechnen können. Die Berechnungskriterien wie wöchentliche Arbeitszeit, bekleidete Position und das Maß der Verantwortung sind für jeden nachvollziehbar.

"Wo Gehälter hinter verschlossenen Türen oder nach Nasenfaktor verhandelt werden, ist die Wahrscheinlichkeit einer ungerechten Bezahlung viel höher, als wenn es transparente Gehaltskriterien gibt", sagt von Platen. Für sie bedeutet Transparenz nicht unbedingt, von heute auf morgen alle Gehälter offenzulegen. Das könne nämlich auch Unfrieden stiften. Transparenz bedeute vielmehr, dass alle nach denselben Regeln spielen und diese auch kennen.

"Ich gebe das Regelwerk beim Sport ja auch aus. Warum darf die Person, die bei mir arbeitet, nicht wissen, was sie mir wert ist, auch im Vergleich?" Diese Art von Transparenz sorge für eine vertrauensvollere Kultur. "Es tut insgesamt gut und verursacht keinerlei Schaden", sagt sie. "Im Gegenteil: Nichtstun kommt Unternehmen sehr viel teurer zu stehen."

© SZ vom 06.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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