Chancengleichheit im Beruf:Nur noch hundert Jahre warten

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Gleichberechtigung sieht anders aus - in manchen Unternehmen aber ist Chancengleichheit zu fortschrittlich. Vielfalt bleibt da auf der Strecke. (Foto: Illustration: Stefan Dimitrov)

Kurzarbeit und Minijobs: Frauen haben in der Pandemie verloren. Trotz Home-Office leisten sie den Großteil der Familienarbeit. Und in den Führungsetagen behaupten sich weiter die Männer.

Von Johanna Pfund

Die Krise hat durchaus ihr Gutes für Frauen. Dinge, die vor dem März 2020 lange und ergebnislos in Unternehmen diskutiert wurden, werden plötzlich flächendeckend, schnell und flexibel umgesetzt, etwa das Arbeiten von zu Hause aus. Beruf und Familie lassen sich so - je nachdem ob Kitas und Schulen gerade mal geöffnet haben oder nicht, und je nachdem, ob man Verkäuferin oder Betriebswirtschaftlerin ist - wesentlich leichter vereinbaren.

Zudem hat sich in den vergangenen Monaten gezeigt, dass Führungsaufgaben nicht Tag für Tag an eine mindestens zehnstündige Präsenz im Büro gebunden sein müssen; nein, sie können durchaus via Online-Plattform, Videokonferenz und Telefon erledigt werden. Zwei - meist für Mütter - wichtige Hürden auf dem Weg zu einer Position mit Verantwortung, sind damit ohne große Aufregung innerhalb kürzester Zeit beseitigt worden. Die Gleichberechtigung müsste also in diesen herausfordernden Monaten in Riesenschritten vorangekommen sein. In Deutschland ist allerdings das Gegenteil der Fall. Es geht rückwärts, die Zeit für einen Bewusstseinswandel ist überreif.

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Schon die erste Krisen-Bilanz, die das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) im Mai gezogen hat, sieht nicht gut aus. Frauen, so stellte das DIW fest, leiden stärker unter der Corona-bedingten Wirtschaftskrise. Nicht nur, dass sie nach wie vor die Hauptlast der täglichen Arbeit in Familien, sei es nun Kinderbetreuung oder Sorge um Pflegebedürftige, tragen. Die Männer haben in diesem Punkt zwar aufgeholt, leisten aber bei weitem nicht so viele Stunden in Haushalt und Kinderbetreuung.

Dazu kommt, dass viele Frauen in Minijobs etwa in der Gastronomie beschäftigt sind - und da gibt es kein Kurzarbeitergeld. Dieses Einkommen fällt folglich ersatzlos weg. Ein weiterer Faktor für die wirtschaftlichen Einbußen ist, dass viele Frauen in Teilzeit beschäftigt sind. Sie müssen mit Kurzarbeit weitere, oft schwer verkraftbare Einbußen ihres Einkommens hinnehmen, da spielt auch ein Minus von zehn oder 20 Prozent beim Netto eine spürbare Rolle. Das DIW forderte deshalb, dass Rettungspakete oder Konjunkturmaßnahme einem Gender-Budgeting folgen sollten.

Der Frauenanteil in Vorständen von Dax-Konzernen ist auf den Stand von 2017 gesunken

Mit Geld allein aber lässt sich eine weitere Schieflage so schnell nicht beseitigen: Die Gleichberechtigung, die das Home-Office in gewissem Maße geschaffen hat, da mit einem Mal die Männer genauso von zu Hause aus arbeiten wie Frauen, dringt nicht bis in die Führungsetagen durch. Im Gegenteil, in der Krise setzen deutsche Firmen auf das, was ihnen nur allzu vertraut ist: Männer an der Macht.

Die Allbright-Stiftung, eine gemeinnützige schwedisch-deutsche Organisation nennt das in ihrer im Oktober veröffentlichten Studie den "deutschen Sonderweg" - in Anlehnung an die geschichtswissenschaftliche Debatte über die politische Entwicklung Deutschlands im 19. und 20. Jahrhundert. Die These war, dass Deutschland die freiheitlich-demokratische Grundordnung im Gegensatz zu England und Frankreich auf Umwegen eingeführt habe, daher die Rede vom "Sonderweg".

Führen funktioniert auch in Teilzeit

Und den schlägt Deutschland laut Allbright-Studie auch bei der Gleichberechtigung ein: Während die 30 größten Unternehmen in Ländern wie Schweden, Frankreich oder den USA im vergangenen Jahr den Frauenanteil in den Vorständen konsequent ausgebaut haben, ist er in deutschen Dax-Konzernen auf den Stand von 2017 gesunken. In vielen börsennotierten deutschen Unternehmen sind zwar mehr Frauen in die Vorstandsriegen aufgestiegen als zuvor, aber insgesamt so wenige, dass die Gleichberechtigung in Führungsjobs der Studie zufolge mit diesem Tempo in etwa 100 Jahren erreicht sein wird.

Anna Adler arbeitet bei der Management- und Technologieberatung Campana & Schott. (Foto: privat)

Die Gründe sind schwer fassbar. "Meine These ist: Der Wille ist da, das Können aber nicht", sagt Anna Adler, die vor 20 Jahren bei Campana & Schott eingestiegen ist, damals, als die Unternehmensberatung noch ein Start-up war. Heute hat die Mutter von zwei Kindern einen Führungsjob in Teilzeit. Sie verantwortet Corporate Development, Organisations- und Personalentwicklung, sowie die Themen Gender und Nachhaltigkeit im Unternehmen selbst.

Was Adler mit Können meint: Das Können, die Bedürfnisse der Arbeitnehmer zu erkennen, zu reagieren und so echte Vielfalt und Chancengleichheit im Unternehmen zuzulassen. "Wir haben zum Beispiel alle Rahmenbedingungen für Teilzeit." In der Krise habe sich deutlich gezeigt, dass diese Vorarbeit wichtig war: "Wir konnten so individuell reagieren und für alle die beste Lösung finden. Die gemeinsame Arbeit in der Krise hat einen positiven Effekt: Wir haben erlebt, dass wir zusammen besser sind als alleine."

Kenn ich nicht, will ich nicht - so bleibt Vielfalt auf der Strecke

In vielen anderen Firmen aber gebe es eine bestimmte Vorstellung von Leistung, nämlich eine, die von Männern definiert wird, analysiert die 45-Jährige. Was ist Leistung, wer bewertet das, wer entscheidet darüber? In der Regel Männer. Die entscheiden sich dann für diejenigen Bewerber, die ihnen vertraut erscheinen, nämlich Männer. "Wenn bei den Entscheidern die Vielfalt fehlt, dann wird es schwer, auch in die Führungspositionen Vielfalt zu bringen", sagt Adler.

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Und wenn die Krise dann ein Unternehmen trifft, das sich noch nicht mit Themen wie Vielfalt auseinandergesetzt hat, greift man auf Bewährtes zurück. "Es ist spannend, wie Unternehmen mit der Krise umgehen", beobachtet Adler. "Viele Firmen stehen jetzt am Scheideweg. Manche entscheiden sich fürs Durchregieren nach alten Mustern, andere haben den Mut zum Wandel, und fragen sich, wollen wir die Zukunft anders gestalten?"

Auch Katharina Jessa, beim IT-Unternehmen Cisco seit eineinhalb Jahren in der Geschäftsleitung, blickt mit Erstaunen auf die Auswirkungen der Krise, auf den vielfach festgestellten Rückzug der Frauen zurück in den Haushalt. "Ich finde es überraschend, dass Frauen wieder mehr ins Privatleben gehen", sagt die 33-Jährige. Cisco habe sichergestellt, dass Frauen die Balance zwischen Familie und Beruf bestmöglich leben könnten. Das geht so weit, dass sie selbst ihre Nichte betreuen konnte, ohne auf Widerstand in der Firma zu stoßen. Sie war eben einige Stunden mal nicht erreichbar.

Zu Beginn der Krise meldeten vor allem Väter Arbeitszeitwünsche an

Das Unternehmen sparte in der Krise auch nicht an praktischen Handreichungen: Es gab gleich einen Fahrplan fürs Homeschooling; dann vor drei Wochen ein Seminar für Mitarbeiter, die Pflegebedürftige zu Hause haben; in dem ging es beispielsweise darum, wann und wie man mit betreuungsbedürftigen Personen im Haushalt Unterstützung beantragen kann. Die arbeitnehmerfreundliche Haltung von Cisco hat sich laut Katharina Jessa ausgezahlt. Die Anforderungen sind auch in der Krise dieselben geblieben, wie sie erzählt. Und die Produktivität ist sogar gestiegen.

Katharina Jessa ist Mitglied der Geschäftsführung beim IT-Unternehmen Cisco Deutschland. (Foto: privat)

Die ersten, die sich mit Beginn des Lockdowns im Frühjahr mit Wünschen für ihre Arbeitszeit gemeldet haben, das waren übrigens laut Jessa die Väter. "Die Papas haben eher die Hand gehoben und gesagt, wir können nur vormittags arbeiten." Adler, die in der Corona-Taskforce ihrer Firma war, stellte fest: Manche Beraterinnen fanden, sie könnten von zu Hause aus besser arbeiten, da die sonst üblichen Reisezeiten wegfielen, andere hingegen fokussierten sich auf die Erziehungsthemen - wie Paare mit dem Home-Office umgehen, das scheint doch eine sehr persönliche Entscheidung zu sein.

"Mütter treffen klarere Entscheidungen, sind effizienter"

Eines jedenfalls hat die Krise geschafft: "Sie hat mehr für die Gleichstellung getan, als vieles andere vorher", meint Adler. "Die Männer hatten plötzlich häusliche Arbeit." Dass Mütter keine Leistung erbringen könnten, das ist weder für Adler noch für Jessa ein Argument dafür, Männer für einen Führungsjob zu bevorzugen: "Blödsinn", sagt Jessa. "Mütter treffen klarere Entscheidungen und sind effizienter."

Weshalb aber hinkt Deutschland dann sogar noch in Krisenzeiten bei weiblichen Führungskräften so hinterher? Jessa kann sich das nur mit der Kultur erklären. Noch immer, meint sie, herrsche in Deutschland die Meinung vor, dass die Frau ins Haus gehöre, dass sie die soziale Ader habe. "Ich glaube, dass alle Unternehmen nachfassen müssen, um Chancengleichheit zu schaffen."

Die Quote für Frauen, ob in Aufsichtsräten oder in leitenden Positionen ganz allgemein, ist ihrer Ansicht allerdings nach ein zweischneidiges Schwert. "Es bringt ja nichts, wenn man Frauen irgendwo hinsetzt. Erst einmal müssen wir sicherstellen, dass alle auf Basis ihrer Fähigkeiten die gleichen Chancen haben."

Das Zauberwort lautet für beide Frauen unabhängig voneinander: Diversität. Und miteinander reden. "Es braucht Zeit", sagt Katharina Jessa. Vielleicht aber keine 100 Jahre.

© SZ vom 06.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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