Covid-19:Welche Corona-Zahlen jetzt wichtig sind

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Eine Mitarbeiterin der Pflege steht in einem Zimmer auf der Corona-Intensivstation des Universitätsklinikums Essen und behandelt einen Patienten. (Foto: Fabian Strauch/dpa)

Obwohl gelockert wird und nur noch wenige schwer erkranken, ist die Pandemie noch nicht vorbei. Auf welche Daten Sie in nächster Zeit achten sollten.

Von Markus Hametner, Michael Mainka und Sören Müller-Hansen

Es ist unübersichtlich geworden in der deutschen Corona-Landschaft. Es stecken sich so viele Menschen an wie noch nie während der Pandemie, gleichzeitig beschließt der Bundestag mit dem neuen Infektionsschutzgesetz weitgehende Lockerungen. Wie passt das zusammen?

Die Bedeutung der Corona-Zahlen hat sich in den vergangenen Monaten erheblich verschoben. Wie viele Menschen sich tatsächlich infizieren, vermag beispielsweise längst niemand mehr zu sagen. Mehr als jeder zweite PCR-Test bestätigt derzeit eine Corona-Infektion. Diese hohe Positivrate ist ein eindeutiges Zeichen dafür, dass sehr viele Infizierte nicht mehr in die Statistik einfließen und vermutlich auch etliche unwissentlich Infizierte herumlaufen und andere anstecken.

Zuletzt kursierte die scherzhafte Berechnung, dass die Inzidenz gar nicht höher als 3600 steigen könne, selbst wenn jeder Test positiv wäre, da die Labore maximal drei Millionen Proben pro Woche untersuchen könnten. Was diese simple Rechnung zeigt: Um die Inzidenz sinnvoll interpretieren zu können, sollte man in den kommenden Monaten auch die Positivrate beobachten.

Der Impfschutz lässt mit der Zeit nach

Tatsächlich kann man es auch positiv sehen, dass die Inzidenz inzwischen keine große Rolle mehr spielt und keine einschränkenden Maßnahmen von ihr abhängig gemacht werden. Es ist ein Zeichen dafür, wie gut die Impfungen schützen. Spätestens im Herbst erwarten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aber neue Infektionswellen. Wie schwer sie Deutschland treffen, wird auch davon abhängen, wie viele Menschen dann einen hohen Immunschutz haben. Der Impfschutz lässt mit der Zeit nach und die bislang letzte Impfung ist bei vielen Menschen wieder einige Monate her.

Der Trend ist wichtiger als einzelne Zahlen

Unmittelbar gefährlich ist das Coronavirus vor allem noch für drei Gruppen: Ungeimpfte, Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen und alte Menschen. Daher ist es vor allem entscheidend, die Inzidenz in diesen Gruppen im Blick zu behalten. Zumindest für die hohen Altersgruppen veröffentlicht das Robert-Koch-Institut (RKI) die entsprechenden Daten.

Auch hier ist die Untererfassung der Fälle ein Problem. Für eine Lageeinschätzung ist daher eher die Richtung von Bedeutung, in die sich die Fallzahlen entwickeln - in der Grafik unten lässt sich das an den Trendpfeilen ablesen.

Entscheidend sind künftig vor allem die schweren Krankheitsverläufe. Ziel der Pandemiebekämpfung ist es, Menschen vor dem Tod und die Gesundheitsinfrastruktur vor der Überlastung zu schützen. Dazu sammelt das RKI Daten zu Hospitalisierungen, die ähnlich wie die Infektionszahlen in eine Sieben-Tage-Inzidenz umgerechnet werden, zur Belegung der Intensivstationen und zu Covid-19-Todesfällen. Auch diese Zahlen können verzerrt sein, etwa weil ein Patient zwar mit dem Coronavirus infiziert ist, aber aus einem anderen Grund ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Hier sollen per Definition nur die schweren Fälle in die Statistik einfließen, bei denen die Covid-19-Erkrankung ursächlich für den Krankenhausaufenthalt ist. In der Praxis gelingt diese Unterscheidung allerdings nicht immer.

Selbst wenn es gar nicht so viele Covid-19-Patientinnen und Patienten gibt, können hohe Infektionszahlen die Krankenhäuser vor Kapazitätsprobleme stellen. Im Deutschlandfunk berichtete der Intensivmediziner und wissenschaftliche Leiter des Divi-Intensivregisters Christian Karagiannidis von massiven Personalproblemen: "Was wir nicht vergessen sollten ist, dass wir im Moment erheblichste Personalprobleme in den Krankenhäusern haben, weil unglaublich viele Mitarbeiter, und das ist ein Maß, wie ich es bisher in meiner Karriere noch nicht gesehen habe, zeitgleich ausfallen mit einer Corona-Infektion, oder weil die Kinder infiziert sind, oder weil jemand betreut werden muss." In manchen Krankhäusern falle mehr als ein Drittel des Personals aus.

Wenn sich die Corona-Lage verschlechtert, muss schnell reagiert werden

Auch wenn längst nicht mehr alle Infizierten behördlich erfasst werden, hat das RKI etablierte Methoden, um die Pandemie im Blick zu behalten. Grippewellen beispielsweise beobachtet es, indem gezählt wird, wie viele Menschen mit einer Atemwegserkrankung in Arztpraxen behandelt werden. Allerdings hinken diese der Corona-Lage hinterher. Gleiches gilt für die Situation in den Krankenhäusern oder die Überwachung neuer Virusvarianten. Der Expertenrat der Bundesregierung weist deshalb darauf hin, dass im Zweifel schnell reagiert werden müsse.

Auch deshalb zeigen wir in den Corona-Grafiken der SZ weiterhin die Inzidenz. Für die verfügbaren Zahlen gilt aber nun die Grundregel: genaue Fallzahlen sind weniger relevant und aussagekräftig als ihre Entwicklung.

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