Früher wurde bei Studien mit Patienten schon mal böse von menschlichen Versuchskaninchen geredet. Doch längst ist unwidersprochen: Klinische Studien sind ein Gewinn für die Menschheit. Ohne die Erprobung neuer Medikamente an Versuchspersonen im Rahmen von gut kontrollierten Studien gäbe es keinen medizinischen Fortschritt. Das gilt allerdings nur, wenn die Ergebnisse auch der internationalen Wissenschaftlergemeinschaft zur Kenntnis gelangen.
Eben dafür aber sorgen deutsche Universitäten viel zu selten, wie eine Analyse der britischen Kampagne Transparimed und der deutschen Buko-Pharmakampagne zeigt, die der Süddeutschen Zeitung, NDR und WDR vorab vorlag. Nur im Ausnahmefall veröffentlichen die Universitäten die Ergebnisse ihrer klinischen Studien im Register "EudraCT" (European Union Drug Regulating Authorities Clinical Trials), in dem sämtliche klinische Studien in der EU erfasst werden müssen.
Das Register wurde im Jahr 2004 eingeführt. Seit 2014 verlangt die EU-Kommission aber noch mehr als die bloße Registrierung der Studien: Auch die Ergebnisse müssen ans Licht der Öffentlichkeit. Spätestens ein Jahr nach Abschluss der Studie muss eine Zusammenfassung der Resultate hochgeladen werden - unabhängig davon, ob eine Veröffentlichung in einem wissenschaftlichen Fachjournal geplant ist. Dies gilt für alle Studien rückwirkend bis 2004.
Die 35 deutschen Universitätskliniken haben seither insgesamt 1312 Studien im EudraCT registriert. 477 davon sind seit mehr als einem Jahr vollendet, doch Ergebnisse finden sich nur für 32 von ihnen, also für 6,7 Prozent. Das ärgert Jörg Schaaber von der Buko-Pharmakampagne: "Klinische Studien dienen dazu, die bestmöglichen Therapien zu finden", sagt er. "Umso enttäuschender ist es, dass die meisten deutschen Universitäten es nicht schaffen, ihre Forschungsergebnisse in das EU-Register einzutragen." Jede Studie, deren Ergebnisse unveröffentlicht blieben, verzerre das Wissen über Medikamente.
Die Versäumnisse können Kranke gefährden und das Vertrauen der Probanden missbrauchen
Dass die Ergebnisse nicht hochgeladen würden, sei keineswegs eine lässliche Sünde, betont Jürgen Windeler, der Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (Iqwig): Diese Studien seien ja nicht aus Spaß begonnen worden, sondern weil eine wissenschaftlich-klinische Frage im Raum stand. Das Zurückhalten der Ergebnisse bedeute daher, "die Antworten auf relevante Fragen den Patienten und Behandlern vorzuenthalten". In der Folge würden möglicherweise Therapiefehler gemacht.
Eine positive Ausnahme bildet das Universitätsklinikum Münster - im Register finden sich die Ergebnisse von 61 Prozent seiner Studien. Regensburg, Würzburg, Leipzig und Düsseldorf kommen immerhin auf 29 bis 20 Prozent. Doch 17 deutsche Universitäten teilen gar keine Ergebnisse ihrer Studien im europäischen Register. Die größte Lücke weist die Charité auf; die Resultate von 68 Studien fehlen. Das Klinikum der Universität München schuldet der Öffentlichkeit Daten zu 29, die TU München zu 27 und die Medizinische Hochschule Hannover zu 26 Studien. Manche davon sind seit vielen Jahren beendet.
Es geht dabei um Depressionen, Krebs, Parkinson und andere schwere Krankheiten. Was auch immer bei diesen Studien herauskam: In künftige Therapieentscheidungen fließen die Ergebnisse vorerst nicht ein. "Das Ausmaß, in dem deutsche Universitäten ihre Ergebnisse nicht berichten, ist schockierend", sagt Till Bruckner, Gründer von Transparimed. Unveröffentlichte Studien schadeten nicht nur den Patienten, zugleich würden öffentliche Gelder verschwendet und das Vertrauen von Probanden missbraucht.
Kritiker fordern, dass bei Nicht-Veröffentlichung künftig kein Forschungsgeld mehr fließen soll
Für eminent wichtig hält auch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) das Hochladen der Daten: "Klinische Prüfungen sind wesentliche Treiber für medizinische Innovationen und Fortschritte in der Patientenversorgung und Krankheitsprävention", schreibt das Institut auf Anfrage. Harte Maßnahmen hat das BfArM bisher nicht ergriffen, es wies im Juni aber gemeinsam mit den Behörden anderer Länder, der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA und der EU-Kommission die Leiter von klinischen Studien auf die nötige Veröffentlichung in der EudraCT-Datenbank hin. Die EMA hatte zudem bereits im Jahr 2014 betont, dass es verpflichtend ("mandatory") sei, die Ergebnisse einzupflegen.
Trotzdem redeten sich auf Anfrage von SZ, NDR und WDR zahlreiche Universitäten damit heraus, die Veröffentlichung im EudraCT sei noch nicht verbindlich. Außerdem hätten sie Ergebnisse im deutschsprachigen Register PharmNet.Bund hochgeladen - das allerdings international wertlos ist, da es kaum zur Kenntnis genommen wird. Das neben dem BfArM für die Überwachung zuständige Paul-Ehrlich-Institut sah sich in der Woche vor Weihnachten nicht einmal zu einer Antwort in der Lage. Es gebe erstaunlich viel Desinformation auf Seiten der Verantwortlichen in Deutschland, beklagt Till Bruckner von Transparimed.
Andere Länder und ihre Wissenschaftler haben dagegen weniger Nachhilfe nötig. In Europa liegen 63 Prozent aller Studienergebnisse im EudraCT vor, die britischen Universitäten haben sogar mehr als 70 Prozent hochgeladen. Allerdings wuchs in Großbritannien die Veröffentlichungsdisziplin erst, als Medien über das schlampige Vorgehen berichteten.
Auch in Deutschland beginnen manche Universitäten nun umzudenken. So verwiesen die Charité und die Kliniken der Universitäten in München und Freiburg darauf, dass sie derzeit Strukturen etablieren, die sich der besseren Koordination klinischer Studien und ihrer Veröffentlichung widmen. Iqwig-Chef Windeler und Transparimed-Gründer Bruckner fordern mehr Druck: Künftig sollten Unis, die sich der Veröffentlichung verschließen, kein öffentliches Geld mehr für ihre Forschung erhalten. "Das Problem", sagt Bruckner, "ist zu teuer und zu wichtig, um es zu ignorieren."