Tuberkulose:Warten auf den Gamechanger

Lesezeit: 3 min

In vielen Ländern der Welt wird der BCG-Impfstoff noch eingesetzt. Aber Experten fordern neuere und wirksamere Vakzine. (Foto: Thomas Schulze/dpa)

1,6 Millionen Menschen starben im Jahr 2021 an Tuberkulose. Gerade wird sehr viel Geld in die Entwicklung von Impfstoffen investiert. Doch lange war der Fortschritt zäh. Warum nur?

Von Berit Uhlmann

Mittlerweile hat die Tuberkulose (TB) ihren traurigen Spitzenplatz wieder inne. Sie ist erneut die Infektionskrankheit, die weltweit die meisten Menschenleben kostet. 1,6 Millionen waren es 2021. Kurzzeitig hatte die Corona-Pandemie noch mehr Todesfälle zur Folge, bis Impfstoffe die Wende brachten - entwickelt in einem Tempo, von dem TB-Experten nicht einmal zu träumen wagten. Die Erforschung neuer Impfstoffe gegen die uralte Lungenseuche war über Jahrzehnte ein extrem zähes Unterfangen.

Bis heute gibt es daher nur einen einzigen Impfstoff gegen die Erkrankung. Er ist 100 Jahre alt und nur begrenzt wirksam. Das Vakzin namens BCG, kurz für Bacille-Calmette-Guérin, kann kleine Kinder relativ gut vor jenen TB-Formen bewahren, die nicht die Lunge betreffen und bei ihnen vergleichsweise oft vorkommen. Vor der typischsten und häufigsten Ausprägung der Erkrankung, der Lungen-Tuberkulose, dagegen schützt das Vakzin keine Altersgruppe ausreichend.

Seit einigen Jahren aber, angetrieben von zunehmenden Resistenzen gegen TB-Medikamente und Fortschritten in der Impfstofftechnologie, ist mehr Bewegung in die Forschung gekommen. Etwa 17 verschiedene TB-Impfstoffe werden derzeit an Menschen getestet. Einer der meistbeachteten ist ein Protein-Impfstoff namens M17, entwickelt vom britischen Pharmahersteller GSK und unterstützt unter anderem von der Gates-Stiftung. Er gilt als besonders aussichtsreicher Kandidat, weshalb die beiden weltgrößten Stiftungen zur Förderung medizinischer Forschung, die Gates-Stiftung und der britische Wellcome-Trust, nun 550 Millionen Dollar in seine weitere Erprobung investieren.

Auch eine 50-prozentige Wirksamkeit kann noch sehr viele Todesfälle verhindern

In einer Phase-3-Studie soll der Impfstoff ab 2024 an 26 000 Menschen aus mehr als 50 Orten Afrikas und Asiens getestet werden. Er soll Menschen, die sich bereits mit der TB infiziert haben vor dem Ausbruch der Lungen-Tuberkulose bewahren. Vier bis sechs Jahre könnte es dauern, bis Ergebnisse vorliegen, schätzten Vertreter der beiden Organisationen am Mittwoch auf einer Pressekonferenz. Die Hoffnung hinter diesem aufwändigen und teuren Vorhaben: "Einen Gamechanger" zu bekommen, wie es Alex Pym sagt, der beim Wellcome-Trust den Bereich der Infektionskrankheiten leitet.

Ob das gelingt, bleibt abzuwarten. In der Phase 2 - Studie schaffte es das Vakzin drei Jahre nach seiner Verabreichung nur knapp, die von der Weltgesundheitsorganisation WHO gestellte Mindestanforderung von einer 50-prozentigen Wirksamkeit zu erfüllen. Dennoch, so die beiden Geldgeber: Selbst eine 50-prozentige Wirksamkeit könnte im Laufe von 25 Jahren 8,5 Millionen Todesfälle und 76 Millionen Erkrankungen verhindern.

SZ PlusKrieg in der Ukraine
:Wenn die Tuberkulose nach Deutschland zurückkehrt

Global gesehen ist Tuberkulose noch immer die bakterielle Infektionskrankheit, die die meisten Todesopfer fordert. Und die Ukraine gehört zu den heftiger betroffenen Ländern. Was bedeutet das für Deutschland und die Geflüchteten, die hier ankommen?

Von Berit Uhlmann

Weit fortgeschritten ist auch ein in Deutschland entwickelter Impfstoff. VPM1002 ist ein gentechnisch weiterentwickeltes BCG-Vakzin. Es wird bereits in drei Phase-3-Studien an Kindern und Erwachsenen getestet. Schon ab dem kommenden Jahr rechne er mit ersten Ergebnissen, sagt Stefan Kaufmann vom Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin und einer der Entwickler des Impfstoffs. Sollten die Daten überzeugend sein, könnte mit einer ersten Einführung 2025 oder 2026 gerechnet werden. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein anderer Impfstoff schneller ist", sagt der Biologe. Doch auch bei diesem Produkt muss sich erst noch zeigen, wer auf welche Weise profitieren könnte. Die vorangegangenen Studien hatten sich in erster Linie auf die Verträglichkeit konzentriert, die besser war als beim herkömmlichen Impfstoff. "Es wird noch mehrere Jahre dauern, bevor wir einen zugelassenen TB-Impfstoff haben", schätzt Hazel Dockrell, TB-Expertin an der London School of Hygiene & Tropical Medicine.

Die Arbeit an TB-Vakzinen ist sehr viel aufwändiger als an Corona-Impfstoffen

Warum aber braucht es so lange, wo doch gegen Sars-CoV-2 in kürzester Zeit Impfstoffe auf den Markt kamen?

Ein Grund ist die mangelnde Finanzierung, wie die WHO mehrfach beklagte. Auch bis das Geld für die weiteren Tests des M72-Vakzins aufgetrieben war, vergingen Jahre. GSK habe deutlich gemacht, dass der Impfstoff kein kommerziell lohnendes Produkt sein werde, sagt Trevor Mundel, bei der Gates-Stiftung für Globale Gesundheit zuständig. So seien schließlich die philanthropischen Organisationen eingesprungen, um die Forschung an dem Vakzin fortzuführen. "Die Tuberkulose ist die Krankheit der Armut", sagt Mundel.

Doch auch abgesehen von Geldnöten ist die Entwicklung eines TB-Vakzins schwieriger als die Forschung an den Corona-Impfstoffen. "Wir wissen nicht, wie wir den potenziellen Schutz eines neuen TB-Vakzins einschätzen können", erläutert Hazel Dockrell. Während die Wirkung der Corona-Impfstoffe gegen Sars-CoV-2 durch die Menge der gebildeten Antikörper recht gut abgeschätzt werden kann, gibt es solche zuverlässigen Marker für die TB nicht.

Forscher sind damit stärker auf die aufwändigen und teuren Studien angewiesen, die die Effektivität anhand tatsächlich verhinderter Infektionen, Krankheiten oder Todesfälle bestimmen. Da es Jahre dauern kann, bis sich aus einer TB-Infektion eine Krankheit entwickelt, können entsprechende Studien sehr langwierig sein. Auch eine Reihe weiterer Faktoren muss berücksichtigt werden. Vorangegangene Impfungen mit BCG beispielsweise, das Vorhandensein oder Fehlen einer latenten TB-Infektion, andere Infektionen wie eine Ansteckung mit HIV oder weiteren Mykobakterien - all das könnte einen Einfluss auf Verträglichkeit oder Wirksamkeit der Impfungen haben und muss mit untersucht werden.

Sicher ist derzeit nur, dass es einen besseren Impfschutz braucht. Ein Viertel der Weltbevölkerung trägt Tuberkulose-Bakterien in ihren Körpern. Ist das Immunsystem intakt, wird es die Erreger in Schach halten - meist lebenslang. Doch etwa jeder zehnte Infizierte muss erleben, wie die Bakterien Schwächen des Immunsystems ausnutzen, sich ausbreiten und eine aktive Tuberkulose hervorrufen. Ohne eine aufwändige, monatelange - und zunehmend durch Resistenzen gefährdete - Behandlung droht jedem Zweiten von ihnen der Tod.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Infektionskrankheiten
:Erster Impfstoff gegen Chikungunya in Aussicht

Die Tropenkrankheit verbreitet sich immer weiter, auch in Deutschland könnte sie im Zuge des Klimawandels heimisch werden. Nun gibt es Hoffnung - aber auch einige offene Fragen.

Von Berit Uhlmann

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: