Jauchzet, frohlocket - gut und schön. Auf, preiset die Tage, in denen der rituelle Besuch des Weihnachtsoratoriums ansteht. Doch rund um das musikalische Großereignis stellen sich zentrale Fragen: Ist die Kirche geheizt? Wie lange dauert es diesmal? Und wer soll in die Fußstapfen von Johann Sebastian Bach treten, der vor fast 300 Jahren die Weihnachtsgeschichte epochal vertont hat? Zumindest die letzte Frage kann teilweise beantwortet werden: Bach hatte gar nicht so große Füße.
Der Nuklearmediziner Andreas Otte von der Hochschule Offenburg und der Rechtsmediziner Marcel Verhoff vom Uniklinikum Frankfurt haben Bachs Fußknochen vermessen und ihre Ergebnisse kürzlich im Fachblatt Archiv für Kriminologie veröffentlicht. Bach war zu Lebzeiten als Komponist wie als herausragender Orgelspieler bekannt, was wohl auch an seinem außergewöhnlichen Pedalspiel lag. "Mit seinen zweenen Füssen konnte er auf dem Pedale solche Sätze ausführen, die manchem nicht ungeschikten Clavieristen mit fünf Fingern zu machen sauer genug werden würden", urteilte ein Zeitgenosse.
Otte und Verhoff griffen für ihre Analyse auf die Abbildung von Bachs Skelett zurück, die 1895 angefertigt worden war, nachdem ein Kirchenumbau die Exhumierung notwendig gemacht hatte. Die Füße waren nicht vollständig erhalten, Zehen fehlten, doch mithilfe bildgebender Verfahren konnte die Schuhgröße rekonstruiert werden. 2018 hatten die Forscher bereits Bachs obere Extremitäten vermessen und festgestellt, dass der Musikus bei einer - in der Barockzeit dem männlichen Durchschnitt entsprechenden - Körperlänge von 167 Zentimetern ungewöhnlich große Hände hatte. Dies kam seinem überragenden Orgelspiel offenbar zugute. Bach konnte Duodezimen, also zwölf Tonstufen, greifen.
Die Füße des Komponisten hatten hingegen normale Dimensionen, die Forscher ermittelten Schuhgröße 41. Nun könnte man mit Erich Kästner fragen, was die Menschheit von solchen Befunden hat: "Sie spalten Atome. Sie heilen Inzest. / Und sie stellen durch Stiluntersuchungen fest, / dass Cäsar Plattfüße hatte." Doch für Bach-Freunde sind damit aufschlussreiche Erkenntnisse verbunden. Schließlich erfordern viele Stücke Bachs ein anspruchsvolles Pedalspiel. "Allein aus technischer Sicht dürfen die Füße für ein derartiges Spiel weder zu klein noch zu groß sein. Füße mit einer Schuhgröße 41 können als nahezu ideal angesehen werden", schreiben die Autoren. "Die normale Schuhgröße ist ein besonders interessantes Detail", sagt Andreas Otte. "Hätte er genauso große Füße wie Hände gehabt, so wäre dies nicht vorteilhaft für das Orgelspiel gewesen; Bach hätte dann sozusagen mehrere Pedale gleichzeitig gedrückt."
Ungewiss bleibt weiterhin, wie Bach, der bekanntermaßen gut zu Fuß war, sein Orgelpedalspiel derart virtuos bewältigen konnte. Was zu der Frage führt, welche Schuhe er dazu nahm. Trug er relativ festes Schuhwerk und spielte nur mit der Spitze, oder bevorzugte er relativ weiche Schuhe mit hohen Absätzen, besonders fürs Legato? Vielleicht ließ Bach aber auch seinen Füßen freien Lauf und spielte schlicht barfuß.