Am Donnerstag veröffentlichte die Universität Hamburg eine Pressemitteilung mit dem Titel "Studie zum Ursprung der Coronavirus-Pandemie veröffentlicht". Das klingt interessant, immerhin ist die Entstehung von Sars-CoV-2 eines der großen Rätsel dieser Pandemie. Ein Nanowissenschaftler aus der Hansestadt kommt laut der Mitteilung zum Ergebnis, "dass sowohl die Zahl als auch die Qualität der Indizien für einen Laborunfall am virologischen Institut der Stadt Wuhan als Ursache der gegenwärtigen Pandemie sprechen".
Das ist eine starke Behauptung. Die "Studie" aus Hamburg entpuppt sich allerdings als 100-seitiger Zusammenschrieb aus Medienberichten, Boulevardmeldungen und privater Korrespondenz. In der Pressemitteilung heißt es dazu, es seien "keine hochwissenschaftlichen Beweise", wohl aber "zahlreiche und schwerwiegende Indizien".
Was soll das sein, "hochwissenschaftlich"? Wissenschaft im Quadrat? Und wenn die Beweise nicht hochwissenschaftlich sind, sind sie dann zumindest wissenschaftlich belastbar? Natürlich nicht, sonst müsste sich die Universität nicht hinter Geraune verstecken, sondern würde neue Fakten präsentieren. Nicht einmal die "Indizien" sind neu, sondern meist bereits vielfach kolportiert - auch von Webseiten, die Verschwörungsgeschichten verbreiten oder rechtsextreme Propaganda. Als Indizien werden auch Screenshots von Fachartikeln mit bunt hinterlegten Passagen gewertet. Einem Studenten im ersten Semester würde man so etwas nicht als Hausarbeit abnehmen. Weshalb eine Universität einer solchen Arbeit auch noch per Pressemitteilung zu Strahlkraft verhilft, muss sie selber wissen.
Dass der Erreger einem Labor entsprungen sein könnte, ist tatsächlich eine bedenkenswerte Hypothese, der auch von seriösen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nachgegangen wird. Auch die WHO schließt diese Möglichkeit nicht aus, auch wenn vor einigen Tagen während einer Pressekonferenz in China zunächst ein anderer Eindruck entstand.
Die meisten Expertinnen und Experten halten jedoch einen anderen Ursprung für den wahrscheinlicheren: ein Spillover aus dem Tierreich. Das Virus hätte sich demnach in einem Tier entwickelt und wäre irgendwie auf den Menschen gesprungen. Coronaviren sind unter Fledermäusen sehr verbreitet, weshalb diese Tiere als Quelle auch von Sars-CoV-2 infrage kommen. Wahrscheinlich sprang das Virus nicht direkt auf Menschen, sondern über ein weiteres Tier als Zwischenwirt. So war es beim ersten Sars-Virus vor bald 20 Jahren und auch beim Mers-Virus gilt die Übertragung von einem Fledertier auf Dromedare als Zwischenwirt und von dort auf den Menschen als sehr wahrscheinlich. Da jedoch nach einem Jahr noch kein Zwischenwirt für Sars-CoV-2 gefunden wurde, habe die Zoonose-Theorie "keine fundierte wissenschaftliche Grundlage" schreibt der Hamburger Nanoforscher. Damit nährt er Verschwörungsmythen, aber bereichert nicht den wissenschaftlichen Diskurs.
Neue molekulare Eigenschaften von Sars-CoV-2, die von keinem anderen Coronavirus bekannt sind, gelten dem Nanowissenschaftler als Beweis genug dafür, dass hier menschliches Zutun hinter steckt, das Virus also im Labor erzeugt wurde. Auch diese Argumentation ist nicht neu. Als Nanoforscher kennt man sich ohne Zweifel auf der extrem kleinen Skala der Biomoleküle aus. In dieser Welt im Nanometermaßstab koppeln Viren an Zellen und geben ihre infektiöse Fracht frei, mit der sie die Zellen zu Virusproduktionsstätten umfunktionieren. Doch wird man als Experte für Nanoskaliges nicht automatisch zum Fachmann für die biologischen Folgen von Mutationen auf molekulare Bindungsstellen von Viren.
So ist man nach den 100 Seiten nicht schlauer als vorher. Es kann sein, dass der Erreger aus einem Labor ausbrach. Neue Belege für die These liefert das Machwerk aus Hamburg aber nicht. Die Auseinandersetzung damit ist reine Energieverschwendung.