Zwischenfälle in Kuba:Zirpen, bis der Arzt kommt

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Die mit der Anurogryllus celerinictus verwandte Anurogryllus muticus (Foto: Franziska Walz/CC-by-sa-3.0)
  • Seit 2016 rätseln Wissenschaftler, was die seltsamen Symptome ausgelöst hat, unter denen US-Diplomaten in Havanna litten. Sogar Ultraschallangriffe wurden vermutet.
  • Nun glauben Biologen, die Lösung gefunden zu haben: Grillen mit der Fähigkeit zu großer Lautstärke könnten hinter den Beschwerden stecken.

Von Sebastian Herrmann

Dieses Viech zählt zu den penetranten Krawallschachteln im Reich der Kerbtiere. Anurogryllus celerinictus, die Karibische Kurzschwanz-Grille, gibt Geräusche von sich, die durch Mark und Bein gehen und so gut wie jede Mauer durchdringen. Selbst in der Fahrerkabine eines Diesel-Lastkraftwagens, der mit etwa 65 Kilometern pro Stunde über eine Straße rumpelt, sei das Gezirpe der Grillen noch zu hören, so der Biologe Alexander Stubbs von der University of California in Berkeley.

Wenn die Männchen dieser nur optisch unscheinbaren Insekten um Aufmerksamkeit und Gunst der Weibchen buhlen, dann wackelt die Wand - und womöglich wirkt der Radau zugleich so durchdringend auf die Psyche mancher Menschen, dass deren Welt zumindest ein wenig aus den Fugen gerät.

Seit 2016 rätseln Wissenschaftler, was die seltsamen Symptome ausgelöst haben könnte, unter denen 21 Amerikaner litten, die im diplomatischen Dienst in der US-Botschaft in Havanna, Kuba, gearbeitet hatten. 18 der Betroffenen sprachen von einem lauten, schrillen Geräusch, das sie gehört hatten, bevor sich ihr Zustand eingetrübt hatte. Ein akustischer Angriff? Gut möglich, dass die Radau-Grille Quelle des Lärms gewesen ist, argumentieren nun Stubbs und sein Kollege Fernando Montealegre-Z von der britischen Universität Lincoln in einer Studie, die sie bisher auf einem Preprint-Server veröffentlicht haben.

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Immer wieder hatten Mitarbeiter der US-Botschaft in Havanna über unklare Beschwerden geklagt. Seit 2016 meldeten sich Betroffene bei Ärzten und klagten über Gedächtnislücken, Benommenheit und das Gefühl, irgendwie benebelt zu sein. Auch Übelkeit, Schwindel, Seh- und Hörstörungen sowie Kopfschmerzen zählten zu den Symptomen. Die Betroffenen wurden alle eingehend untersucht, wie Mediziner erst kürzlich im Fachjournal Jama berichteten. Jedoch ließ sich bei keinem der Betroffenen eine deutliche Verletzung feststellen.

Das Frequenzmuster erinnert Biologen an eine bekannte Spezies aus der Karibik

Unklare Beschwerden, unklare Ursache und das bei US-Bürgern, die in einem verfeindeten Land arbeiten - das ist Dünger für Verschwörungstheorien und wilde Mutmaßungen. Von akustischen Attacken wurde orakelt, von Infra- und Ultraschallangriffen oder rätselhaften Geheimwaffen. Und nun steckt vielleicht doch nur das Zirpen einer Grille und dessen durchschlagende Wirkung auf die Psyche verunsicherter Botschaftsmitarbeiter dahinter?

Die Biologen analysierten eine Aufnahme des seltsamen Geräusches, das im Botschaftsgebäude aufgezeichnet und von der Presseagentur AP veröffentlicht worden war. Darauf sei ganz sicher eine Grille zu hören, sagte Stubbs der New York Times, "und wir glauben zu wissen, welche Art dahinter steckt". Das Frequenzmuster erinnerte den Biologen an das Gezirpe einer Grillenart, die er während Forschungsaufenthalten in der Karibik gehört hatte. Stubbs und Montealegre-Z verglichen die Aufnahmen mit Daten aus einem Insekten-Klangarchiv der University of Florida.

Das Zirpen der Karibischen Kurzschwanz-Grille glich der Aufnahme aus Havanna enorm - allerdings gab es auch deutliche Unterschiede. Diese seien vermutlich auf die Umstände zurückzuführen, unter denen der Radau aufgezeichnet wurde: Das Mikrofon hatte sich in einem geschlossenen Raum befunden, die Schallwellen waren von den Wänden reflektiert und dabei verfremdet worden, so Stubbs. Die Forscher also sind sich sicher: Die Grille steckt zumindest hinter der Lärmattacke. Ob diese jedoch die unklaren Symptome der Botschaftsmitarbeiter ausgelöst hat, bleibe weiterhin unklar, so die Forscher. Es könne auch eine ganz andere Ursache dahinter stecken.

© SZ vom 08.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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