Gesundheit:Medikament statt Drogen: Wenige Ärzte betreuen Abhängige

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Ein Mann hält eine Heroinspritze an seinen Arm. (Foto: picture alliance / dpa/Symbolbild)

Auf dem Papier scheint die Versorgung gesichert. In der Praxis gibt es erhebliche Lücken bei der Versorgung von Abhängigen, die Ersatzmedikamente brauchen.

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Magdeburg/Halle/Eisleben (dpa/sa) - Aus Sicht von Praktikern gibt es in Sachsen-Anhalt zu wenige Ärzte, die Suchtkranke behandeln und mit Ersatzmedikamenten versorgen. Es würden zwar ausreichend Substitutionsärzte ausgebildet, aber viele seien dann nicht auf diesem Feld tätig, sagte der Vorsitzende der Ostdeutschen Arbeitsgemeinschaft Suchtmedizin, Peter Jeschke. An Weiterbildungen nähmen pro Jahr etwa 20 bis 25 Ärzte teil, in der tatsächlichen Substitutionspraxis seien landesweit aber nur 12 bis 15 tätig. „Und die sind überhaupt nicht gleich verteilt“, beklagte Jeschke.

Halle und Bernburg verfügten über Großpraxen, Magdeburg nicht. In manchen Regionen gebe es gar keine Substitutionsmediziner, berichtete Jeschke. Im Landessüden, in Naumburg, Weißenfels und Zeitz, gebe es keine solche Anlaufstelle. Das ist der Burgenlandkreis.

Und auch im benachbarten Landkreis Mansfeld-Südharz beschreibt Suchtberater Johannes Schöneck aus Eisleben einen Versorgungsmangel. Die Arztsuche über die Kassenärztliche Vereinigung zeige zwar Ärzte, die die Befähigung für die Substitution haben, bis auf eine Medizinerin hätten seines Wissens alle die Annahme von Patienten abgelehnt. Ein erfahrener Mediziner habe zum vergangenen Jahreswechsel seine Praxis übergeben, dort sei ein Großteil der Substituierten behandelt worden. „Diese mussten die Praxis wechseln, was entweder Richtung Halle oder nach Könnern erfolgte.“

Kollegen aus anderen Suchtberatungsstellen berichteten von teilweise mehrwöchigen Wartezeiten für einen Behandlungsplatz. Von einer flächendeckenden Versorgung sei nicht wirklich zu sprechen, kritisierte Schöneck.

Die Kassenärztliche Vereinigung, die für die Versorgung verantwortlich ist, sieht das anders: Ihr zufolge arbeiten in Sachsen-Anhalt derzeit 32 Ärzte, die Substitutionsleistungen erbringen. „Die Ärzte sind regional verteilt und in insgesamt 24 Praxen tätig“, erklärte eine Sprecherin. „Die Verteilung der Ärzte spiegelt auch die Wohnsitze des betroffenen Patientenklientels wider. In der Vergangenheit konnte die Nachfrage durch die substituierenden Ärzten gedeckt werden.“ Gegebenenfalls würden anfragende Patienten an die entsprechenden Praxen vermittelt.

Und auch das Sozialministerium betont, die Daten des Substitutionsregisters ergäben für das Jahr 2022 keinen flächendeckenden Mangel. Zum 1. Juli 2022 seien Substitutionsmittel für 798 gemeldete Patientinnen und Patienten verordnet worden. Die Anzahl der gemeldeten Substitutionspatientinnen und Patienten pro 100 000 Einwohner habe in Sachsen-Anhalt bei 37 gelegen. In Bremen seien es 250, in Hamburg 218 und in Berlin 158 gewesen.

Aber nicht nur Mediziner und Suchtberater sehen in Sachsen-Anhalt Probleme. Die Freie Straffälligenhilfe, die sich um die Resozialisierung von Inhaftierten bemüht, macht die fehlenden Substitutionsärzte neben fehlendem Wohnraum als ein Hauptproblem aus. „Die in Haft begonnene Substitution bietet eine rückfallvermeidende Perspektive und hilft den Klienten tatsächlich, ihre Suchtproblematik in den Griff zu bekommen“, heiß es im jüngsten Jahresbericht. Mit Blick auf den Mangel an Substitutionsärzten heißt es weiter: „Resultierend daraus werden begonnene Substitutionen durch die Klienten nicht fortgesetzt, was zur Rückfälligkeit in die Sucht und häufig auch in die Straffälligkeit führt.“

Den Hauptteil der Substituierten machen Heroinkonsumenten aus, wie Suchtberater Johannes Schöneck erklärt. Sie werden mit Ersatzmedikamenten versorgt. Aber auch Klientinnen und Klienten, die abhängig sind von synthetischen Opioiden oder Schmerzmedikamenten, könnten substituiert werden. Häufig hätten die Patienten auch psychiatrische Begleiterscheinungen.

Warum aber praktizieren so wenige Substitutionsmediziner? Peter Jeschke von der Ostdeutschen Arbeitsgemeinschaft Suchtmedizin sieht kein Problem bei der Bezahlung und die Weiterbildung funktioniere auch. Vielmehr gehe es ums Image. Viele Psychiater und Ärzte stünden dem Prinzip „Stoff gegen Stoff“ feindlich und ablehnend gegenüber, weil am Ende nicht die Abstinenz stehe, sondern ein Ersatz. Abhängigkeit und Drogen würden noch immer als „Schmuddelecke“ gelten, hätten ein negatives Stigma. Jeschke wies darauf hin, dass das Thema Sucht in der Medizinerausbildung so gut wie keine Rolle spiele, 90 Minuten seien es im sechsjährigen Studium, dabei betreffe das Thema über 20 Prozent der Bevölkerung.

Ziel müsse es sein, die Behandlung von Suchtkranken in den Praxisalltag zu integrieren - substituierte Drogenabhängige neben dementen Seniorinnen und anderen Erkrankten, sagte Jeschke, der selbst praktizierender Suchtmediziner in einer Gemeinschaftspraxis in Halle ist. Schließlich gehe es nicht nur um die klassischen Junkies, sondern um vielfältige Abhängigkeiten, die sich im Dreieck „Beruhigen, in Schwung bringen und besondere Erfahrungen machen“ bewegten.

Die Kassenärztliche Vereinigung erklärte mit Blick auf die Zukunft, der Ärztemangel mache vor den substituierenden Ärzten nicht Halt. „In der Gruppe der zur Substitution berechtigten Ärzte ist der Altersdurchschnitt ebenfalls hoch. Nahezu die Hälfte dieser Ärzte wäre im Jahr 2030 65 Jahre und älter.“ Deshalb müsse im Bereich der Suchtmedizin um Nachwuchs geworben werden. Man informiere in Zusammenarbeit mit erfahrenen Suchtmedizinern in verschiedenen Formaten Medizinstudierende und Ärzte in Weiterbildung über die Arbeit der Suchtmediziner und werbe auf diese Weise für den Bereich Suchtmedizin.

© dpa-infocom, dpa:231204-99-172725/2

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