Mainz:Virologe Plachter für Rückkehr der Schulen zum Regelbetrieb

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Der Mainzer Virologe Bodo Plachter hält eine Rückkehr der Schulen zum Regelbetrieb für richtig. "Neben der Infektionsgefahr muss auch berücksichtigt werden, wie...

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Mainz (dpa/lrs) - Der Mainzer Virologe Bodo Plachter hält eine Rückkehr der Schulen zum Regelbetrieb für richtig. „Neben der Infektionsgefahr muss auch berücksichtigt werden, wie sehr Kinder und Familien leiden“, sagte der stellvertretende Direktor des Instituts für Virologie an der Uniklinik Mainz der Deutschen Presse-Agentur.

Das Bildungsministerium hat in einem Brief an die Schulleiter in Rheinland-Pfalz bereits erste Planungen für das kommende Schuljahr 2020/21 dargelegt. Demnach soll der Unterricht nach den Sommerferien wieder möglichst regulär stattfinden, sofern das Infektionsgeschehen dies zulässt. Wenn kein durchgehender Präsenzunterricht möglich sei, solle es im Wechsel Präsenzphasen und Fernunterricht geben. Gelten solle die reguläre Stundentafel; auch für den Fernunterricht soll es demnach verbindliche Stunden- und Wochenpläne geben.

Oppositionsführer Christian Baldauf (CDU) plädiert ebenfalls dafür, „die Schulen schnellstmöglich wieder aufzumachen“. Die letzten beiden Wochen vor den Sommerferien müssten zudem dazu genutzt werden, die Schüler, die es besonders brauchten, fit für das neue Schuljahr zu machen. Welche das seien, müssten die Lehrer vor Ort entscheiden.

Virologe Plachter sagte, mit einem Rest-Risiko, sich mit Corona zu infizieren, müsse man im Augenblick leben. Ein Risiko, sich zu infizieren und schwer zu erkranken, gebe es auch bei anderen Erregern wie der Influenza. Allerdings würden bei Covid-19 auch sehr schwere Verläufe gesehen. Und: „Es gibt Bereiche, da ist die Infektionsgefahr sehr hoch, wenn man mit einer infizierten Person zusammen ist“, warnte Plachter. „Bereiche, wo viele Menschen auf engem Raum für längere Zeit zusammen sind und eine ausreichende Lüftung fehlt.“

„Feiern zwei Tage mit vielen anderen Personen in der Wohnung“, nannte Plachter mit Blick auf die Infektionen in Göttingen als typisches Beispiel für kritische Situationen. Und: „Großveranstaltungen sind im Augenblick generell leider ein Problem.“ Der Virologe appellierte an den gesunden Menschenverstand, auch bei Reisen. „Man sollte gucken, wo würde ich mich auch nicht hinsetzen, wenn jemand Schnupfen oder Husten hätte.“

Volle Strände und Veranstaltungen wie das Schlauchboottreffen in Berlin an Pfingsten sollten vermieden werden. Auf Abstand am Strand liegen, sich nicht in allzu großen Gruppen zusammenfinden und sich mit Mund-Nasen-Schutz unterhalten, hält der Fachmann dagegen nicht für besonders gefährlich.

Der Mund-Nasen-Schutz habe sich als wirksam erwiesen. „Man sieht auch in anderen Ländern, dass der doppelte Maskenschutz - wenn jeder einen trägt - doch viel verhindern kann“, sagte Plachter. Inzwischen gebe es in Deutschland genügend Masken und diese einfache Maßnahme biete für wenig Geld einen gewissen Schutz, auch wenn das Tragen im Sommer nicht besonders angenehm sei.

Der Mund-Nasen-Schutz sei besonders dort im öffentlichen Raum wichtig, wo die Menschen eng beieinander seien. Den öffentlichen Nahverkehr, Busreisen, Flugzeuge, aber auch Aufzüge nannte Plachter als Beispiele. Wichtig sei es, die Masken wirklich über Mund und Nase zu ziehen. „Die meiste Infektion geht wohl über die Nase und nicht über den Mund.“

Auch in den Schulen? „Kinder müssen irgendwann wieder ihren geregelten Alltag haben, der sicher nicht so aussieht wie vorher, aber sie müssen etwas anderes sehen als nur die eigenen vier Wände“, betonte Plachter. Dies lasse sich in den Wochen bis zu den Sommerferien üben. Diese könnten die Kitas und Schulen dann nutzen, um die Infrastruktur noch besser an die Situation anzupassen. „Kinder haben ein geringes Risiko zu erkranken“, sagte Plachter. Allerdings gebe es Unterschiede zwischen Grundschulen und weiterführenden Schulen. „Jugendliche gehen in Bars und hängen zusammen ab.“ Die Infektionsgefahr sei daher höher.

Lehrer und Schüler müssten sehr genau auf mögliche Symptome achten. „Jeder der Symptome hat, bleibt zu Hause und meldet das.“ Dann müsse schnell geschaut werden, ob er infiziert sei. Die Kontaktpersonen aus der Klasse und der Lehrer sollten auch erst einmal zu Hause bleiben. „Nach einigen Tagen weiß man, ob sich Kontaktpersonen infiziert haben. Deshalb muss man nicht die ganze Schule schließen.“

Damit diese Eindämmungsstrategie (Containment) gelinge, müsse es die Möglichkeit geben, schnell Kontakt mit den Gesundheitsämtern aufzunehmen und rasch zu testen, wenn etwas aufflackere. Dafür müssten diese personell ausgestattet sein, forderte der Mediziner. Es sei auch nicht tolerierbar, wenn sich - wie in Göttingen - einige Menschen weigerten, sich testen zu lassen. „Dann muss Quarantäne verfügt werden. Die Personen müssen einfach nur zu Hause bleiben.“ Ob die freiwillige Corona-Warn-App viel bringe, hänge davon ab, wie viele Menschen sich beteiligten.

„Man wird Ausbrüche haben. Es wird auch immer wieder Leute geben, die sich nicht an die Regeln halten“, sagte der Virologe. Er sieht dennoch „einen gewissen Konsens, sich an die Regeln zu halten“ - auch mit Blick auf eine mögliche zweite Infektionswelle. „Keiner möchte wieder zu Hause bleiben und sich möglicherweise noch weiter verschulden.“

Bei Chören sieht der Virologe dagegen ein höheres Risiko. „Der Erreger wird sehr effizient über Aerosole übertragen.“ Viele Chormitglieder seien zudem im fortgeschrittenen Alter, damit komme ein weiterer Risikofaktor dazu. „Da muss man genau hingucken, ob jemand nach einer Chorprobe erkrankt.“

Wann es wirksame Impfungen geben werde, sei noch nicht abzusehen. Die Bestrebungen, Antikörper herzustellen, halte er jedoch für einen interessanten Ansatz. „Sie lassen sich in großer Menge herstellen und als Therapeutikum nutzen.“

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