Jeder vierte Deutsche ist Raucher. Im Kampf gegen Tabakkonsum steht Deutschland in Europa auf dem vorletzten Platz. Immer mehr Raucher versuchen, mit elektrischen Zigaretten ihr Laster abzulegen. In den batteriebetriebenen Geräten verdampft eine nikotinhaltige Flüssigkeit. Da kein Tabak verbrannt und eingeatmet wird, nehmen Konsumenten erheblich weniger Schadstoffe zu sich. Dennoch ist die Technik umstritten: Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) schreibt der E-Zigarette insgesamt "mehr Schadenspotenzial als Nutzen" zu und fürchtet eine Normalisierung des Nikotinkonsums. Dagegen hält die britische Gesundheitsbehörde Public Health England die E-Zigarette für eine "Chance, Rauchern beim Aufhören zu helfen". Heino Stöver, Suchtforscher aus Frankfurt, hat die erste umfassende deutschsprachige Publikation zur E-Zigarette herausgegeben. Er fordert ein Umdenken in der Tabakpolitik.
SZ: Wie entstehen so unterschiedliche Beurteilungen der E-Zigarette?
Stöver: Das DKFZ blickt vor allem auf Krebsrisiken. So betrachtet sind viele Verhaltensweisen mit einem Restrisiko behaftet. Nötig wäre aber eine gesundheitliche Gesamtrechnung. Darin würde ein Verständnis der Konsumenten eingehen, vor allem ein Verständnis der Tabak-Abhängigkeit, und eine Abwägung der Risiken. Beides kommt bei der deutschen Sichtweise zu kurz. Es gibt Hunderttausende Menschen, die endlich mit dem Rauchen aufhören wollen - und verzweifeln. Für viele ist das ein langwieriger Prozess, aus dem sie manchmal über Jahrzehnte herauswachsen. Und manche schaffen es ihr ganzes Leben lang nicht - trotz Kaugummis, Sprays, Lutschtabletten, Therapien. Ich glaube, dass man das Abhängigkeitsphänomen in seiner Wucht grandios unterschätzt. Das führt dazu, dass man andere Aspekte der E-Zigarette stärker bewertet, etwa Restrisiken kanzerogener Art.
V iele halten die E-Zigarette für gefährlich, auch Raucher. Was ist der aktuelle Stand zu den Gesundheitsrisiken?
Es gibt ein Gutachten des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) zu E-Zigaretten - mit dem Ergebnis, dass sie erheblich weniger schädlich sind als herkömmliche Zigaretten. Natürlich gibt es auch im Dampf und im enthaltenen Glykol gesundheitliche Risiken, das ist vollkommen klar. Aber diese sind im Vergleich zur Verbrennung von Tabak geringer - das ist der entscheidende Unterschied. Es geht einmal ums Verdampfen und einmal ums Verbrennen. Aus diesem Grund hat die konventionelle Zigarette langfristig keine Zukunft mehr.
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Viele probieren das Dampfen aus und bleiben dann nicht dabei. Ist die Erfindung wirklich so bahnbrechend?
Die geringen Nutzerzahlen im Vergleich zu England und Frankreich lassen sich teilweise dadurch erklären, dass Raucher nicht angemessen aufgeklärt werden. Da haben alle Institutionen versagt. Ein Beispiel: Eine Kollegin von mir ist Dauerraucherin. Sie leidet darunter, kann nicht aufhören und hat sich deshalb mal eine E-Zigarette gekauft. Sie lässt sich von der Verkäuferin beraten. Schon das kann eigentlich nicht sein: Die E-Zigarettenshops sind die einzigen Beratungsstellen, abgesehen von Foren im Internet. Die Verkäuferin rät ihr, mit einer hohen Nikotindosis anzufangen. Nach zwei Tagen fühlt sie sich unheimlich schlecht und legt das Ding wieder beiseite. Monate später erfährt sie von Kollegen, dass sie mit einer viel zu hohen Dosis hantiert hat, und steigt wieder mit einer kleineren Dosis ein. Das zeigt, dass Nutzer keine Hilfe bei der Frage bekommen, ob und wie sie die E-Zigarette ausprobieren sollen. Das ist ein Versäumnis. Hier haben wir eine Chance vertan.
Familienministerin Manuela Schwesig hat die E-Zigarette als genauso schädlich wie die herkömmliche Zigarette bezeichnet. Wie wirken sich solche Statements aus?
Natürlich tragen die zur Verwirrung bei. Noch-Raucher, die überlegen, ob sie umsteigen, bekommen von zentralen staatlichen Stellen keine Hilfe, die brauchbar, ehrlich und glaubwürdig ist. Zum Beispiel in Form einer Broschüre, die Pro und Contra beleuchtet, und zeigt: Letztlich scheint die E-Zigarette erheblich weniger riskant zu sein, als das, was ich die letzten 20 Jahre gemacht habe. Also ich probier es mal. Darauf zielt Public Health England: eine klare Ansage und Orientierung für Raucher.
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Viele Dampfer tauschen die fehlende Information untereinander aus, also in Foren im Netz. Wie wird da diskutiert?
Diese Community ist manchmal etwas schräg, aber das zeichnet Pioniere aus. Sie ist männerdominiert, da sind Leute dabei, die sich ihre eigenen Gerätschaften zusammenbasteln. Viele sind technisch sehr versiert. Da kommen aber auch manchmal komische Sachen raus.
Zum Beispiel?
Dass teilweise in den Foren die Gesundheitsgefahren völlig ausgeblendet werden. Wenn jemand 30 Jahre lang geraucht hat und dann nicht mehr, dann ist das physisch eine ziemlich dramatische Verbesserung, innerhalb von Tagen. Man kriegt mehr Luft, man kann stärker durchatmen. Das hat man bei der E-Zigarette ebenfalls, daher diese positive und teils verharmlosende Einschätzung von Anwendern.
Wie stehen die Dampfer zur traditionellen Gesundheitspolitik?
Sie fühlen sich allein gelassen und veräppelt. Viele waren Dauerraucher, die darunter gelitten haben. Da müssen Politikerworte wie von Frau Schwesig unglaubwürdig erscheinen. Und deshalb wehren sie sich. Viele haben intensiv recherchiert, wie Tabakpolitik gemacht wird und sind auf Unzulänglichkeiten und Widersprüche gestoßen. Die Community ist ein Gegengewicht zu der recht oberflächlich geführten Diskussion um E-Zigaretten.
Sie haben das erste deutschsprachige Buch zur E-Zigarette herausgebracht - welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht?
Ich habe gemerkt, wie emotional die Debatte geführt wird. Viele Autoren, darunter Koryphäen auf dem Gebiet der Tabakforschung, haben sich nicht getraut, einen Beitrag dafür zu schreiben. Normalerweise freuen sich Experten, wenn sie veröffentlichen dürfen. Hier war das anders. Da gibt es große Berührungsängste.
Kritiker der E-Zigarette verweisen häufig auf fehlende Langzeitstudien.
Risiken zu kennen und immer besser abzuwägen ist erstrebenswert. Aber im Grunde kommen wir um eine politische Entscheidung nicht herum. Ich bin der Überzeugung, dass wir die alte Botschaft der Rauchentwöhner - "Quit or Die", also "Hören Sie doch einfach auf zu rauchen oder sterben Sie früher" - lockern müssen. Jetzt sollten wir sagen: Ja, wir haben einen weiteren Pfeil im Köcher, der hat auch problematischen Facetten. Aber wir müssen ihn sinnvoll einsetzen.
Deutschland liegt bei der Tabakkontrolle auf Platz 33 von 34 in Europa, vor Österreich. Woran liegt das?
Um die Zahl der Raucher zu reduzieren, gibt es ein paar sehr wirksame Maßnahmen, angefangen mit einem Werbeverbot. Wir haben kein Werbeverbot, sondern mit der Tabakindustrie ausgehandelte Kompromisslösungen, die keine Lösungen sind. Wir sind das einzige Land in Europa, das noch Außenwerbung für Tabakprodukte erlaubt. Menschen aus England, Australien und Kanada sagen: Spinnt ihr eigentlich völlig, der legalen Drogenindustrie solche Freiräume zu geben? Die Werbung ist ein Desaster. Der zweite Grund sind 330 000 Zigarettenautomaten. Drittens sind Zigaretten immer noch recht billig. Und wir haben keinen flächendeckenden Nichtraucherschutz. Das schärfste Gesetz hat Bayern, in anderen Bundesländern ist die Regulierung ziemlich lax. Die Tabakindustrie feiert fröhliche Urstände bei uns.
Großbritannien liegt in Europa ganz vorne bei der Tabakregulierung. Welche Rolle spielt die E-Zigarette dabei?
Die Briten haben eine Raucherquote von 17 Prozent, zehn Prozentpunkte geringer als hierzulande. Und in England wird es 2020 mehr E-Zigaretten-Nutzer geben als Tabakzigarettenraucher. Das ist der Gradmesser einer fortschrittlichen Tabakpolitik. Es gibt in ganz Europa einen abnehmenden Trend bei Zigaretten und einen zunehmenden bei E-Zigaretten. Forschungsergebnisse des Eurobarometers zeigen, dass immer mehr Europäer Erfahrungen mit der E-Zigarette machen und für etwa 32 Prozent davon die E-Zigarette das Ausstiegsmittel war. Die dampfen jetzt statt zu rauchen. Bei 35 Prozent hat es immerhin zu einer Reduktion des Tabakzigarettenkonsums geführt.
Am Anfang eines neuen Jahres versuchen viele Raucher aufzuhören. Was würden Sie ihnen raten?
Menschen, die oft versucht haben aufzugeben und oft gescheitert sind, kann man mit der E-Zigarette Mut machen: Sie könnten mit dem Umstieg auf die E-Zigarette einen Komplettausstieg hinbekommen. Im Vergleich zu Nikotinersatzprodukten wie Pflastern und Kaugummis bedient die E-Zigarette auch das Orale und Haptische: Man hat etwas zwischen den Fingern oder im Mund, mit dem man sogar noch bei der Party mit anderen vor die Tür gehen kann. Der soziale Aspekt ist für viele ganz wichtig, das darf man nicht unterschätzen. Für Gelegenheitsraucher, die nicht viele Zigaretten konsumieren, ist die E-Zigarette eher unpassend. Da kann man vor allem raten, die Zahl der Gelegenheiten weiter zu reduzieren. Auch für Jugendliche ist sie nicht geeignet.
Könnten Jugendliche mit der E-Zigarette überhaupt erst zum Rauchen verleitet werden, wie oft behauptet wird?
Wir haben 2000 Jugendliche dazu befragt. Viele haben mit der E-Zigarette Erfahrungen gemacht, aber das war wohl eher ein Übergangsphänomen. Nur ganz wenige Jugendliche konsumieren täglich E-Produkte. Die Gateway-Hypothese bestätigte sich nicht, wir sehen also keine starke Gefahr, dass E-Zigaretten zu einem regelmäßigen Tabakkonsum führen. Ausprobieren ist die Regel. Dennoch müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass E-Zigaretten auf einen Teil der Jugendlichen Einfluss nehmen und das sehr sorgfältig weiter beobachten.