Tabakentwöhnung:Wie die E-Zigarette ausgebremst wird

Urteile zum Streit um E-Zigaretten

Die Zahl der "Dampfer" steigt rasant - nicht allen Medizinern gefällt das.

(Foto: Friso Gentsch/dpa)

Wer mit dem Rauchen aufhören will, bekommt von Ärzten Nikotinpflaster empfohlen, obwohl deren Bilanz mager ist. E-Zigaretten lehnen Mediziner als Hilfe ab - aus fragwürdigen Gründen.

Von Christoph Behrens

Die junge Forscherin wusste Erfreuliches auf der Konferenz zu berichten. 22 Jahre lang hatten die Raucher ihrer Studie im Schnitt 27 Zigaretten am Tag geraucht. Dann hörten die meisten innerhalb weniger Wochen auf. Noch einmal Tabak zu rauchen "könnten sie sich nicht mehr vorstellen", gaben sie an. Die Teilnehmer hatten allesamt die "elektronische Zigarette" für sich entdeckt - in diesem Gerät verdampft eine nikotinhaltige Flüssigkeit, statt Tabak zu verbrennen. Der Dampf enthält deutlich weniger Schadstoffe als eine Zigarette.

"Toll, das ist doch genau das, was wir brauchen", rief ein weiterer Teilnehmer der "Deutschen Konferenz für Tabakkontrolle" angesichts der Ergebnisse. Endlich habe man ein Mittel, um effektiv gegen das Rauchen vorzugehen. Doch die Vorsitzende des Meetings, Martina Pötschke-Langer vom Deutschen Krebsforschungszentrum DKFZ, war anderer Ansicht: alles manipuliert. "Bezahlkommandos" der E-Zigaretten-Hersteller hätten wohl die Fragebögen der Forscher ausgefüllt, sagte Pötschke-Langer. Das sei "das Einfachste von der Welt".

Der Konflikt ist symptomatisch für die immer schärfer geführte Auseinandersetzung um die E-Zigarette. Während viele Fachleute sie für eine effektive Methode halten, die Tabakindustrie zu bekämpfen und Rauchern zu helfen, mit dem schädlichen Laster endgültig zu brechen, sehen andere Experten und Forscher vor allem Risiken, Unsicherheiten, eine Gefährdung von Verbrauchern (Lesen Sie hier mehr zu den gesundheitlichen Effekten der E-Zigarette).

Die Szene der "Dampfer" fühlt sich gegängelt

Es geht dabei nicht mehr um einige wenige der sogenannten "Dampfer". Die Zahl der regelmäßigen E-Zigaretten-Konsumenten dürfte in Deutschland schon in die Hunderttausende gehen und steigt weiter rasant. Auch die Anzahl der Unterschriften im Petitionsforum des deutschen Bundestags ist beeindruckend. Mehr als 50 000 Mal wurde eine Petition zuletzt unterzeichnet, die sich gegen die Umsetzung der neuen EU-Tabakproduktrichtlinie in Deutschland richtet. Mit dem Gesetz, dass am 20. Mai in Kraft tritt, regelt die Bundesregierung den Umgang mit der E-Zigarette neu.

Dass die Technik teilweise mit der Tabakzigarette gleichgestellt wird - etwa durch Werbeverbote und Einschränkungen beim Vertrieb - schmeckt vielen "Dampfern" nicht. Sie sehen sich zu Unrecht an den Pranger gestellt und fürchten, mit der neuen Regulierung kaum noch an ihre Trägerstoffe, die sogenannten "Liquids" zu kommen - und auf diesem Weg wieder zum Rauchen gedrängt zu werden. Viele machten auf der Website des Bundestags gleichzeitig ihrem Frust über das DKFZ Luft - mit rund 50 anderen Organisationen hat das DKFZ ein Memorandum herausgegeben, das der E-Zigarette "mehr Schadenspotenzial als Nutzen" zuschreibt und die Technik deshalb ablehnt. Einen monatelangen Shitstorm, Anfeindungen in Foren und Briefen habe die Organisation deshalb hinter sich, berichten Mitarbeiter. Pötschke-Langer hält die Kritik für fremdgesteuert, Marktinteressen steckten dahinter.

Auch Pharmakonzerne haben Interesse an Rauchern

Die E-Zigaretten-Hersteller sind jedoch nicht die einzigen, um deren Interessen es geht. Es geht auch um die Zukunft der Tabakkonzerne, die in Deutschland jedes Jahr noch immer rund 80 Milliarden Zigaretten verkaufen. Und gibt es noch eine Partei mit finanziellen Interessen an Rauchern und Ex-Rauchern: Pharmakonzerne wie Novartis und GlaxoSmithKline. Sie bieten sogenannte Nikotinersatztherapie-Produkte (NET) an, die Rauchern das Aufhören erleichtern sollen. Die bekanntesten sind Nikotinpflaster, Lutschtabletten oder Sprays der Marken Nicorette und Nicotinell.

Für die Pharmafirmen ist es ein lukratives Geschäft, allein Marktführer Johnson & Johnson dürfte jährlich mehr als 100 Millionen Euro in Deutschland mit den Präparaten umsetzen. Doch das Aufkommen der E-Zigaretten bedroht den Handel. In Deutschland gab es 2015 noch ein Wachstum von einem Prozent, langfristig soll es mit den Produkten jedes Jahr um zwei Prozent bergab gehen, erwartet die Marktforschungsfirma Euromonitor International. In Großbritannien, wo es besonders viele E-Zigaretten-Nutzer gibt, sind die Absatzzahlen schon seit 2014 rückläufig.

Zumindest haben die Pharmakonzerne einen Verbündeten - so wie sie die E-Zigarette kritisch beäugen, so tun es auch viele deutsche Mediziner und Suchtforscher. Das wird auch in der "Leitlinie zum schädlichen und abhängigen Tabakkonsum" deutlich, die federführend von zwei deutschen medizinischen Fachgesellschaften erarbeitet wurde. Es ist eine Handlungsempfehlung für Ärzte, was sie aufhörwilligen Rauchern nach dem aktuellen Stand der Forschung empfehlen können. Nach Ansicht der Autoren sind das vor allem Nikotinpräparate und Medikamente. "Der Einsatz der Nikotinersatztherapie soll angeboten werden", heißt es in der Leitlinie, gekennzeichnet ist die Empfehlung sogar mit einem A für "stark". Extremen Rauchern könnten Ärzte demnach zwei Präparate gleichzeitig empfehlen, bei Misserfolg die Gabe von Antidepressiva wie Bupropion.

Auch das Arzneimittel Vareniclin, das recht starke Nebenwirkungen wie Benommenheit und Schlafstörungen verursachen kann und bei dessen Einsatz Fälle von Depression dokumentiert sind, erhält die A-Empfehlung. Von der E-Zigarette raten die Mediziner jedoch ab, sie sei nicht auf Wirksamkeit und Verträglichkeit bei der Tabakentwöhnung hin untersucht. Allerdings war die E-Zigarette den Autoren der Tabakleitlinie nicht einmal eine systematische Literaturrecherche wert.

Viele Suchtforscher pflegen enge Kontakte zu Pharmafirmen

Es könnte sein, dass manche Mediziner die E-Zigarette aus prinzipiellen Gründen ablehnen, etwa weil sie vollständige Abstinenz vom Nikotin als oberstes Ziel für Raucher befürworten. So warnt das DKFZ, die E-Zigaretten würden das Rauchritual kultivieren und bisherige Erfolge bei der Tabakprävention gefährden. Andere betonen gesundheitliche Unsicherheiten, die es zweifellos gibt, etwa wie schädlich bestimmte Aromastoffe in den Liquids von E-Zigaretten sind. Manche Suchtmediziner pflegen aber auch selbst sehr gute Verbindungen zur Industrie.

So haben zwei der Leitlinien-Autoren jahrelang selbst für Nicorette geworben, zum Beispiel mit positiven Berichten in einer Zeitschrift von Johnson & Johnson. Trotzdem schrieben sie in der Leitlinie am Kapitel über Arzneimittel zur Raucherentwöhnung mit. Die Suchtmediziner haben auch das Programm "Einfach Erfolgreich Rauchfrei" mitentwickelt, das sich an Hausärzte richtet und ihnen die Nicorette-Produkte nahelegt. Urheber des Programms und der Webseite ist Johnson & Johnson.

"Was da passiert ist, darf es eigentlich nicht geben", sagt Ernst-Günther Krause vom Verein Nichtraucher-Initiative Deutschland e.V. (NID), der selbst als Vertreter des Vereins an der Leitlinie mitgearbeitet hat. Krause spricht von Verstößen zum Umgang mit Interessenkonflikten, denn die meisten der an dem Tabakdokument beteiligten Experten würden selbst vom Ergebnis profitieren. Der Anti-Tabak-Aktivist kritisiert auch die Rolle des Vorsitzenden der Leitlinien-Gruppe Anil Batra. Der Suchtmediziner der Universität Tübingen taucht in einer Nicorette-Broschüre als Experte auf und ist zugleich Vorsitzender des Vereins "Wissenschaftlicher Aktionskreis Tabakentwöhnung e.V.".

Der "WAT" ist laut der Firma Klinksiek PR im Auftrag der Pharmafirma Novartis Consumer Health gegründet worden. Die PR-Firma führt den Verein auf ihrer Webseite als Referenz ihres Kunden Novartis; der WAT wurde demnach in den 1990ern aufgebaut, um für das Produkt Nicotinell "Meinungsbildnerarbeit, Gewinnen von spokespersons, Fach- und Publikumsmedienarbeit" zu betreiben. Einer der Teilhaber der PR-Firma fungierte mehrere Jahre im Vorstand, bevor Batra ihn 1999 als Vorsitzender ablöste. Batra sagt hierzu, gemäß der ihm vorliegenden Daten der letzten zehn Jahre gebe es keine Zusammenarbeit jeglicher Form zwischen dem Verein und Novartis. Er selbst habe zudem keine finanziellen Mittel erhalten, sondern lediglich der Verein.

Seit 2013 will der WAT mit Klagen auf dem Rechtsweg erreichen, dass die Nikotinersatztherapie und psychotherapeutische Entwöhnungskurse künftig von Krankenkassen bezahlt werden. "Damit sollen der Gemeinschaft die Kosten für eine Therapie aufgedrückt werden, die unwirksam ist", sagt Krause. Die Kosten für eine solche Raucherentwöhnung schätzte Batra gegenüber dem Apotheker-Portal apotheken.de auf 300 bis 450 Euro pro Raucher. Dies sei gut angelegtes Geld, denn die Krankheits- und Behandlungskosten durch langjähriges Rauchen könnten damit eingespart werden.

Die Pflaster scheinen kaum zu wirken

Mittlerweile gibt es jedoch große Zweifel an der Wirksamkeit der Mittel. Eine Studie der Harvard School of Public Health kam bereits 2012 zum Ergebnis, dass weder fachliche Beratung durch Ärzte noch Nikotinpflaster das Risiko für ehemalige Raucher langfristig senken, wieder zur Zigarette zu greifen. Rund 800 Erwachsene hatten die Wissenschaftler für die Langzeitstudie beobachtet und drei Mal innerhalb von fünf Jahren befragt. Für den Erfolg spielte es überhaupt keine Rolle, ob die Raucher NET-Produkte verwendet hatten oder ohne Hilfsmittel aufzuhören versuchten. "Die Studie zeigt, dass NET zu benutzen langfristig nicht effektiver ist, als auf eigene Faust aufzuhören", sagte der Erstautor der Studie, Hillel Alpert. Seine Kollegin Lois Biener fügte an, öffentliche Gelder für Nikotinersatztherapie auszugeben, sei "von zweifelhaftem Wert".

Den Rat wollten die Autoren der deutschen Tabakleitlinie aber offenbar nicht hören, denn die Studie fand keinen Eingang in ihre Empfehlungen. Eine Übersichtsarbeit der internationalen Cochrane-Stiftung stellt den Pflastern ebenfalls ein mittelmäßiges Zeugnis aus. Von den Rauchern, die ohne Hilfsmittel aufhören, seien nach sechs bis zwölf Monaten noch drei bis fünf Prozent abstinent. Die Nikotinersatztherapie erhöhte diese Zahl um zwei bis drei Prozentpunkte - allerdings war nur ein Zeitraum von einem Jahr betrachtet worden. Bei Jugendlichen hatte die Nikotinersatztherapie laut einer weiteren Analyse überhaupt keinen signifikanten Effekt auf die Abstinenz. Dennoch empfiehlt die Tabakleitlinie, dass selbst jugendliche Raucher unter bestimmten Bedingungen die Nikotinersatztherapie anwenden können. Selbst Raucher, die lediglich weniger Zigaretten rauchen wollen anstatt ganz aufzuhören, können sich laut einer englischen Studie mit 11 000 Teilnehmern nicht auf die Nikotinpflaster verlassen. Obwohl die Pflaster weitverbreitet seien, hätten sie bei ihren Trägern vermutlich keinen Einfluss auf die Menge an gerauchten Zigaretten, urteilen die Forscher des University College London.

Starker Wille entscheidend

Doch was hilft Rauchern dann tatsächlich, ihr Laster aufzugeben? Laut mehrerer Erhebungen der Gesellschaft für Konsumforschung GfK schaffen es über 80 Prozent der erfolgreichen Ex-Raucher ohne jedes Hilfsmittel, sondern allein dank eines starken Willens, zum Nichtraucher zu werden. "Weil ich es schaffe, wenn ich etwas wirklich will" oder "Rauchen richtig satt haben" kreuzten die meisten zuletzt als wesentliche Erfolgsfaktoren an, und den Wunsch, den Tabakgestank endlich loszuwerden. Da wohl nicht alle Raucher so motiviert sind, wird international zunehmend über die E-Zigarette als mögliches Mittel zur Schadensbegrenzung nachgedacht. So wertet das Gesundheitsministerium Großbritanniens E-Zigaretten mittlerweile als "Chance, Rauchern beim Aufhören zu helfen". Ähnliches empfehlen Wissenschaftler im Fachblatt Addiction mittlerweile auch in den USA. Es gebe "ein starkes Potenzial für Verdampfer-Geräte, um die Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern", indem der Zigarettenkonsum eingeschränkt werde oder Raucher vollständig auf E-Zigaretten umsteigen, erklären die Autoren um David Levy von der Georgetown University.

Mittlerweile gibt es Befunde, die diese Sicht stützen. Von den aufhörwilligen Rauchern einer Neuseeländischen Studie waren nach sechs Monaten noch 7,3 Prozent der E-Zigaretten-Nutzer abstinent, aber nur 5,8 Prozent derjenigen, die Nikotinpflaster benutzt hatten. Dabei schränkten die E-Zigaretten-Nutzer die Nikotindosis zumindest immer weiter ein. Brauchten sie anfangs noch 1,3 Patronen am Tag, hatte sich die Menge sechs Monate später auf 0,7 fast halbiert. Die meisten der E-Zigaretten-Nutzer hatten am Ende der Untersuchung die tägliche Menge an herkömmlichen Zigaretten um mehr als die Hälfte gesenkt. Deutlich weniger zu rauchen als vorher gelang auch Teilnehmern einer italienischen Studie mit E-Zigaretten. Dabei konnte eine Auswertung der Cochrane-Stiftung zumindest auf eine Nutzungsdauer von zwei Jahren keine wesentlich erhöhten Gesundheitsgefahren durch das Dampfen feststellen.

Am besten sei natürlich, man höre ganz mit dem Rauchen auf, sagt Peter Hajek, klinischer Psychologe und Experte für Tabakabhängigkeit an der Queen-Mary-Universität London. "Aber falls das jemand nicht kann oder nicht will, dann können E-Zigaretten die nächstbessere Alternative sein." Manche Anti-Tabak-Aktivisten würden jedoch das Ausradieren des Nikotinkonsums selbst als vorrangiges Ziel sehen. "Raucher zu ermutigen, auf weniger schädliche Verdampfer umzusteigen, wird als Bedrohung dieses Ziels empfunden", sagt Hajek. Dabei müsse doch eigentlich etwas anderes im Vordergrund stehen als Abstinenz: "großen Nutzen für die öffentliche Gesundheit zu erzeugen."

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