Pflege bei Demenz:"Die erkrankte Person lebt zu einem Teil nicht mehr in unserer Welt"

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Kranke mit Alzheimer zu pflegen, ist für Angehörige eine große Herausforderung (Foto: Sebastian Kahnert/dpa)

Einen Demenzkranken zu pflegen, bringt Angehörige oft an ihre Grenzen. Der Arzt Jens Benninghoff weiß Rat, wie der Umgang mit den Patienten gelingen kann.

Interview von Theresa Parstorfer

Kranke mit Alzheimer oder anderen Demenzen zu pflegen, bedeutet eine große Herausforderung für Ärzte, Pflegende und Angehörige. Dennoch gibt es Strategien, die den Zugang zu den Patienten und den Umgang mit ihnen erleichtern. Jens Benninghoff, 47, ist Chefarzt am Zentrum für Altersmedizin des Isar-Amper-Klinikums in Haar. Im Interview mit der SZ erklärt er, welche Methoden er selbst nutzt und Helfern ans Herz legt.

SZ: Sie behandeln Patienten, die sich in fortgeschrittenen Stadien einer Demenz-Erkrankung befinden. Unter welchen Symptomen leiden die Menschen am meisten?

Jens Benninghoff: Da ist vor allem der zunehmende Verlust von Autonomie. Dass der Tagesablauf nicht mehr selbst bestimmt werden kann und Unterstützung benötigt wird, bei Dingen wie: Entscheiden, was sie anziehen werden. Oder sich selbst waschen. Dabei muss man beachten: Körperpflege ist auch Intimhygiene, und das ist ein sensibles Thema.

Wie gehen Sie damit in der Pflege um?

Ich bitte, behutsam vorzugehen und nicht zu sagen: So - jetzt waschen wir mal.

Sondern?

Ich würde darauf achten, keine an "OP-Beleuchtung" erinnernde Deckenlampen anzuknipsen, stattdessen vielleicht die Nachttischlampe. Auch Musik hilft, eine entspanntere Atmosphäre zu schaffen, und dabei verständnisvoll mit dem Menschen umgehen und sprechen.

Jens Benninghoff, Chefarzt am Zentrum für Altersmedizin am Isar-Amper-Kinikum in Haar, arbeitet mit Patienten mit fortgeschrittener Demenz. (Foto: Claus Schunk)

Das klingt nach zeitintensiver Arbeit. Wie schafft man da positive Stimmung ?

Das ist die Herausforderung. Wir sind ja keine Unfallchirurgen, die einen Bruch reparieren und am Abend mit einem Erfolgserlebnis nach Hause gehen können. In der Behandlung von Demenz sind die Lichtblicke das Lächeln der Patienten, die kleinen Momente, in denen deutlich wird, dass die Menschen noch das Potenzial in sich tragen, Freude zu empfinden.

Wie lockt man diese Lichtblicke hervor?

Man geht da mittlerweile viel über Therapieansätze wie Musik, Sport und Bewegung oder auch simpel anmutende Dinge wie gemeinsames Backen. Der Duft beim Backen weckt positive Erinnerungen, außerdem ist es bei Alzheimer-Erkrankten so, dass Erinnerungen an Dinge, die man schon sehr früh gelernt hat, noch irgendwo da sind. Kneten sie dann Teig, wissen sie automatisch, wie es geht. Musik wiederum sorgt für positive Emotionen, die länger bleiben - auch wenn man sich später nicht daran erinnern kann, was diese ausgelöst haben.

Auf Ihrer Station läuft also Musik?

Ja! Eine Studie hat gezeigt, dass zum Beispiel Vivaldis "Vier Jahreszeiten" angstmildernd wirkt. Wir organisieren auch immer wieder Live-Musik: Musikstudenten, die für Patienten spielen. Oder auch einen Chor für Demenzpatienten und Angehörige. Dadurch schafft man gemeinsame Erlebnisse, die sonst kaum möglich sind.

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Stichwort Angehörige: Unterstützen Sie auch die?

Auf jeden Fall. Wir haben ein Programm entwickelt - "Aktiv Drei Plus". Weil wir der Überzeugung sind, es reicht nicht, wenn wir eine tolle Diagnostik machen. Wir können die Angehörigen nicht alleine lassen mit so einer Diagnose.

Wie sieht diese Unterstützung aus?

Zuerst klären wir auf, was das überhaupt für eine Krankheit ist und wie sie verläuft; und dann darüber, wie man mit dem kranken Familienmitglied umgehen sollte.

Was sind Aspekte, die Angehörige erst einmal lernen müssen?

Die Kommunikation. Wir machen die Erfahrung, dass man mit Korrigieren nicht weit kommt, man muss auf den Patienten eingehen. Die erkrankte Person lebt zu einem gewissen Teil nicht mehr in unserer Welt, sondern in einer anderen Realität. Das zu akzeptieren, ist für Angehörige oft schmerzhaft. Aber nimmt man das an, kann man in gewisser Weise auch Teil dieser anderen Realität werden.

Einer Welt aus Erinnerungen?

Das können gute Erinnerungen an die Kindheit sein, das können aber auch Traumata sein, etwa aus dem Krieg.

Das heißt, wenn eine Tochter ihre Mutter pflegt, die den Krieg erlebt hat, kann es sein, dass die Tochter in der Realität der Mutter gar nicht existiert? Das ist hart ...

Ja, aber die Tochter kann trotzdem da sein. Vielleicht vertauschen sich die Rollen, die Tochter wird zur Mutter. Die Tochter könnte sagen: Bist du traurig? Hast du Angst? Ich glaube, du brauchst Trost. Ich bin für dich da. Ich helfe dir. Kurze Sätze sind da ganz wichtig. Kurze, präzise Formulierungen. Wir sprechen von "Validierender Kommunikation". Nicht korrigieren, sondern wahrnehmen und bestärken.

Was ist, wenn die Geduld dafür manchmal nicht reicht?

Das darf auch mal passieren - und passiert natürlich auch. Diese Art von Pflege ist unendlich kräftezehrend und psychisch belastend. Heutzutage kommt es oft vor, dass Menschen mehr als zehn Jahre Pflegefall sind und Angehörige das nebenher stemmen müssen. Wir bieten deswegen einmal im Monat eine angeleitete Selbsthilfegruppe an. In der dann auch mal Wut und Frustration Platz haben. Aber eben auch die schönen Momente.

© SZ vom 28.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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