Für viele Eltern kann der Moment nicht schnell genug kommen, in dem ihre Kinder wieder zur Schule oder in den Kindergarten gehen dürfen. Epidemiologen und Infektionsexperten dagegen ringen weiter mit der Antwort auf die Frage, wie wichtig Schulschließungen für eine Eindämmung der Coronavirus-Pandemie tatsächlich sind. Infizieren sich Kinder überhaupt so häufig wie Erwachsene? Und falls nicht: Wäre damit die häusliche Betreuung von Schülerinnen und Schülern nicht völlig sinnbefreit?
Nein - und trotzdem: nein. So lässt sich zumindest aus einer aktuellen Arbeit folgern, die chinesische, italienische und US-amerikanische Wissenschaftler jetzt im Topjournal Science veröffentlicht haben. Demnach stecken sich Klein- und Schulkinder bis 15 Jahre tatsächlich deutlich seltener mit dem neuen Sars-Virus an als ältere Menschen. Ihr Risiko, sich den Erreger einzufangen, beträgt im Vergleich sogar nur gut ein Drittel. Obwohl infizierte Kinder laut einer aktuellen Untersuchung eines Teams um Christian Drosten von der Berliner Charité selbst dann wohl genauso ansteckend für andere Menschen sind wie Erwachsene, bedeutet das für Kinder untereinander: Begegnet ein infiziertes Kind einem gesunden Gleichaltrigen, ist die Wahrscheinlichkeit für eine Ansteckung bei diesem einzelnen Kontakt klar geringer, als wenn das kranke Kind bei der Oma auf den Schoß klettert oder mit den Eltern spielt.
Das klingt erstmal beruhigend und scheint gerade für die anstehende Wiederaufnahme des Schulbetriebs ein gutes Zeichen zu sein. Doch allzu große Freude über diese Erkenntnis wäre voreilig. Anhand von mehr als 2500 Kontaktdaten von gut 1100 Personen aus Wuhan und Shanghai zeigt das Team um Juanjuan Zhang von der Fudan University in Shanghai in der Science-Studie nämlich auch: Schulkinder haben unter normalen Bedingungen nicht nur häufiger, sondern extrem viel häufiger Kontakte mit anderen - vor allem gleichaltrigen - Menschen, mehr als sämtliche anderen Altersgruppen. Laut Studie kann der Unterschied in der Kontakthäufigkeit sogar das Zehnfache betragen.
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Im Vergleich zwischen der Ausgangssituation vor dem Ausbruch und der Lockdown-Phase während der Pandemie wird in der Analyse deshalb auch klar, dass die mit Abstand meisten Kontakte sich bei Kindern und durch Schulschließungen vermeiden lassen. Es sind sogar noch mehr, wenn auch außerschulische Aktivitäten wie Fußball im Verein unterbunden werden. Und das hat Folgen für die Dynamik der Epidemie.
Ausgehend von ihren Daten und einem sogenannten Basis-Reproduktionswert von 2,5 Neuinfektionen je Infiziertem haben die Wissenschaftler berechnet, dass Schulschließungen zu 42 Prozent weniger Ansteckungen pro Tag führen könnten. Durch Verzicht auf außerschulische Aktivitäten würden die Neuansteckungen sogar um 64 Prozent reduziert. "Insgesamt sind Schulschließungen nicht ausreichend, um einen Covid-19-Ausbruch vollständig zu verhindern", schreiben die Autoren in ihrer Arbeit. "Aber sie haben einen großen Einfluss auf die Dynamik des Ausbruchs und damit auch auf die Kapazitäten der Kliniken".
Die Forscher weisen auch auf Beschränkungen ihrer Arbeit hin, etwa darauf, dass die Voraussetzungen in anderen Ländern sich von denen in Wuhan oder Shanghai unterscheiden und andere Maßnahmen ebenfalls eine Rolle im Kampf gegen die Pandemie spielen, in der Studie jedoch nicht untersucht wurden. Dennoch lobt der Berliner Virologe Christian Drosten die Qualität der Untersuchung. "Es ist eine sehr sorgfältige und hervorragend gerechnete statistische Studie", sagte er im jüngsten NDR-Podcast. Auch Drosten weist darauf hin, dass das geringere Ansteckungsisiko von Kindern durch eine höhere Intensität der Kontakte mit Gleichaltrigen ausgeglichen werden könnte.
Für den Weg zurück in den Schulbetrieb bedeutet dies womöglich einmal mehr, Vorsicht walten zu lassen - und die Folgen der ersten kleinen Schritte auf diesem Weg sehr sorgfältig zu beobachten.