Coronavirus:Warum Antikörper-Tests noch nicht zuverlässig sind

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Mit flächendeckenden Antiköpertests könnte festgestellt werden, wer eine Corona-Infektion überstanden hat. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Flächendeckende Antikörper-Tests bleiben eine Hoffnung: Sichere Aussagen, ob Patienten Covid-19 durchgemacht haben, sind damit noch nicht möglich.

Von Werner Bartens

Bis es eine zuverlässige Therapie oder eine Impfung gegen das neuartige Corona-Virus geben wird, dauert es noch Monate, vielleicht Jahre. Ausgangsbeschränkungen und der tägliche Blick auf die Infektionskurven zehren unterdessen an den Nerven. Vielleicht habe ich "es" längst gehabt, denken viele Menschen, schließlich war da im Februar dieser Hustenreiz und diese unerklärliche Erschöpfung. Mehr Gewissheit über zurückliegende Infektionen könnte ein Antikörper-Test bringen. Dieser zeigt - anders als der Test nach Rachenabstrich, der nur eine Momentaufnahme ist - ob der Körper ein Virus erfolgreich bekämpft hat. Fällt der Test positiv aus, ist man vermutlich auf Jahre hinaus immun und muss eine Ansteckung nicht mehr befürchten.

Doch in Sachen Sars-CoV-2 gibt es noch viele Ungewissheiten über die Qualität der Tests. Werden zuverlässig die Antikörper entdeckt? Weist der Test tatsächlich das neuartige Coronavirus nach und nichts anderes? An biochemischen Details wird derzeit intensiv gearbeitet. Das ist aber nicht das einzige Problem, wenn in Studien mit Antikörper-Tests untersucht wird, wie groß die Immunität in der Bevölkerung ist. Infektionsexperten und Statistiker aus München, Kiel und Freiburg machen in der Mai-Ausgabe der Zeitschrift für Allgemeinmedizin auf ein großes methodisches Problem der Antikörper-Tests auf Sars-CoV-2 aufmerksam.

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Der Test ist genauer, wenn er nur bei Menschen mit Symptomen gemacht wird

"Warum ein guter Test nicht immer gute Ergebnisse produziert", ist der Fachaufsatz überschrieben. "Wenn die Häufigkeit einer Infektion in der Bevölkerung vergleichsweise gering ist, kann ein Test quer durch das Land leider nicht zuverlässig sein", sagt Michael Kochen, der an der Universität Freiburg lehrt und an der Studie beteiligt war. Der Grund ist einfach: Eine kleine Rate falsch positiver Ergebnisse führt zu massiven statistischen Verzerrungen. "Würden nur jene getestet, die schon Symptome hatten, fiele der Test schon genauer aus." Es mache einen Unterschied für die Testqualität, ob es sich um ein bevölkerungsweites Screening handelt oder um eine spezielle Gruppe, die bekanntermaßen schon erkrankt war und in der eine Infektion daher häufiger zu vermuten ist.

Fällt ein Testergebnis positiv aus, heißt das noch nicht, dass die Person tatsächlich infiziert war. Die Problematik ist ähnlich wie in anderen Untersuchungen, etwa der Brustkrebs-Mammografie oder dem HIV-Test. Letztere werden aber mit weiteren Diagnostik-Methoden abgesichert. "Für einen Sars-CoV-2-Antikörpertest gibt es bislang keine Routineverfahren, um anschließend den Wert zu bestätigen oder zu widerlegen", bemängeln die Autoren.

Entscheidend für die Güte eines Tests sind mehrere statistische Kriterien: Die Sensitivität bezeichnet den Anteil aller Infizierten, die mithilfe eines Tests korrekt als infiziert erkannt werden. Ebenfalls von großer Bedeutung ist die Spezifität. Damit ist der Anteil derer gemeint, die nicht infiziert sind und durch den Test auch richtigerweise als nicht-infiziert erkannt werden. Da kein medizinischer Test perfekte Werte von 100 Prozent Sensitivität und 100 Prozent Spezifität liefert, fallen einige Ergebnisse immer falsch aus. Die Zahlen täuschen.

Im konkreten Fall haben die Autoren die Ergebnisse sogenannter Elisa-Tests auf Antikörper gegen Sars-CoV-2 berechnet und sich auf die Firmenmitteilung führender Hersteller verlassen, wonach 100 Prozent Sensitivität und 98,5 Prozent Spezifität vorliegen, ohne dass dies bisher unabhängig überprüft wurde. Doch selbst wenn die optimistischen Angaben stimmen, ist die tatsächliche Fehlerquote immens, wie die Beispielrechnungen in der Grafik zeigen. Wären 1,3 Prozent der Bevölkerung infiziert und damit gut eine Millionen Menschen statt der bisher bestätigten knapp 150 000, ist das Ergebnis äußerst unzuverlässig (oberer Teil der Grafik).

Die Bilanz wird besser, wenn statt 1,3 Prozent bereits zehn Prozent die Infektion durchgemacht hätten

Konkret würde es bedeuten, dass nur 47 Prozent der Personen, bei denen der Test eine durchgemachte Infektion anzeigt, tatsächlich infiziert sind, 53 Prozent aber nicht. Letztere sind "falsch positiv", wie das in der Statistik heißt. Von zehn positiven Tests sind also fünf korrekt und zeigen die Infektion richtig an, die anderen fünf sind falsch. Man könnte genauso gut eine Münze werfen. Bei einer niedrigen "Durchseuchung" führt ein Antikörper-Screening derzeit zu ebenso vielen falschen wie richtigen positiven Testergebnissen, folgern die Autoren. Eine sichere Aussage für Patienten, ob sie die Erkrankung durchgemacht haben und vielleicht sogar immun sind, sei daher unmöglich.

Die Bilanz wird besser, wenn statt 1,3 Prozent bereits zehn Prozent die Infektion durchgemacht hätten, wie der untere Teil der Grafik zeigt. Es gäbe zwar weiterhin falsch positive Ergebnisse, doch dann sind immerhin 88 Prozent der Personen, bei denen der Test die Infektion anzeigt, als tatsächlich Infizierte richtig zugeordnet. Die Quote der "falsch Positiven" läge nur noch bei zwölf Prozent.

Zur weiteren Erläuterung gibt Michael Kochen ein Beispiel aus der Praxis: Geht ein Mann mit Bluthusten zum Allgemeinmediziner und der Arzt möchte wissen, wie wahrscheinlich der Patient Lungenkrebs hat, ist das schwierig zu bestimmen, denn Lungenkrebs kommt in der Hausarztpraxis selten vor. Geht der Mann hingegen zum Lungenfacharzt, ist der Test zuverlässiger, weil dort mehr Patienten mit Lungenleiden behandelt werden.

"Das Testergebnis fällt unterschiedlich gut aus, abhängig davon, ob ein nicht ausgewähltes oder ein ausgewähltes Patientenkollektiv untersucht wird", sagt Kochen. Im Falle von Sars-CoV-2 heißt das, der Test ist zuverlässiger, wenn nur jene untersucht werden, die schon Symptome hatten und daher der Anteil Infizierter mutmaßlich größer ist. Bevor also der Run auf Antikörpertests einsetzt, sollten sich alle Beteiligten klar sein, was diese können - und was nicht. "Die Gefahr ist erheblich, dass durch falsch positive Ergebnisse Schaden verursacht wird, weil Arzt oder Patient die falschen Schlüsse ziehen", befürchtet Michael Kochen.

© SZ vom 22.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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