Schuldenschnitt in Griechenland:Wenn der Zahlungsausfall zur Erlösung wird

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Griechenland kürzt die Kredite - und das befürchtete Chaos bleibt aus. Dabei hatten Banken eindringlich vor dem Schuldenschnitt gewarnt und den Lehman-Kollaps als Fanal benutzt. Die Politik hat lange gebraucht, um sich zu einer Lösung durchringen - was sich jetzt allerdings als hilfreich erweist.

Hans von der Hagen

Es waren genau neun Prozent. Erstmals in der Geschichte des Euro muss ein Staat der Währungsunion einräumen, dass er seine Schulden nicht zurückzahlen kann - und die Aktien der Deutschen Banken legen pünktlich zur Börseneröffnung an diesem Donnerstag um neun Prozent zu.

Für Banken sind Pleiten der Gau. Und doch: Manchmal braucht es einen Gau. (Foto: dpa)

Vor ziemlich genau drei Jahren machten die Papiere des wichtigsten deutschen Geldhauses einen ähnlichen Sprung - dummerweise in die Tiefe: Sie brachen um gut neun Prozent ein. Damals, am 15. September 2008, war die US-Investmentbank Lehman kollabiert.

Der frappante Unterschied in der Kursentwicklung ist bemerkenswert, weil beide Ereignisse aus Sicht der Finanzmärkte nie hätten passieren dürfen. Immer war angenommen worden, dass die großen Banken im Zweifelsfall vom Staat gerettet werden würden. Und genauso gingen die Finanzmärkte davon aus, dass Griechenland als Teil der Währungsunion von den übrigen Staaten aufgefangen würde.

Darum wird die Lehman-Pleite von der Finanzwelt gerne als unvorhersehbares Ereignis interpretiert und gilt bis heute als Fanal: "Seht her! Am Fall Lehman zeigt sich, was passiert, wenn der Steuerzahler nicht einspringt."

Seither gibt es eine fast an Hysterie grenzende Angst vor der Pleite, die vor allem von den Banken genährt wird und die sich mit jeder hektischen Reaktion an den Finanzmärkten zu bestätigen scheint.

Jetzt signalisiert das Beispiel Griechenland: Es geht eben doch. Das Land braucht einen Schuldenerlass - und keiner erschrickt mehr. Lehman wirkte wie ein Schock - die nun gefundene Lösung für die Hellenen wird hingegen als Befreiungsschlag wahrgenommen.

Der größte Unterschied zwischen beiden Ereignissen heißt: Zeit. Das Zögern der Politik, das zum einem dem Kalkül, zum anderen der Ratlosigkeit geschuldet war, erwies sich am Ende auch als hilfreich: Denn den Banken wurde dadurch viel Raum gelassen, sich auf den Schuldenschnitt einzustellen und ihn angesichts des mittlerweile aufgebauten Leidensdrucks auch zu akzeptieren.

Nun ließe sich einwenden, da gebe es noch viele weitere Unterschiede. Der Schuldenschnitt sei bestenfalls eine Art weicher Insolvenz, da verbiete sich ein Vergleich mit Lehman.

Richtig ist, dass die griechische Lösung offiziell keine Pleite, kein sogenannter Default ist, auch wenn das Land mit dem Schuldenschnitt seine Zahlungsunfähigkeit dokumentiert. Es gibt für Länder kein Insolvenzrecht, eine Staatspleite wird letztlich ausgehandelt.

Die Beteiligung der Banken wird als freiwillig deklariert und die Institute sollen mit 50 Prozent auch nur auf einen Teil der Kredite verzichten. Zudem betrifft der Schuldenschnitt lediglich die griechischen Staatsanleihen und damit ein ebenso begrenztes wie transparentes Segment der Finanzmärkte.

Die weitaus gefährlicheren - weil unübersichtlichen - synthetischen Finanzprodukte bleiben zunächst außen vor. Nur wenn die Ratingagenturen nachträglich den Schuldenschnitt doch noch formell als Pleite bewerten, könnten auch sie unter Umständen einbezogen werden.

Falsch ist aber, dass die beiden Fälle vor diesem Hintergrund nicht vergleichbar seien - und bei einem harten Schuldenschnitt das Chaos programmiert wäre.

Zwar tun sich Experten schwer, die möglichen Kettenreaktionen an den Finanzmärkten vorauszusehen. Immerhin rang sich aber Commerzbank-Chef Martin Blessing doch kürzlich zu der Aussage durch, auch ein harter Schuldenschnitt sei im Falle Griechenlands verkraftbar.

Zu den Absonderlichkeiten der Lehman-Pleite gehörte es eben auch, dass die Banken selbst nicht mehr verstanden hatten, welche Risiken in ihren Anlagen steckten - und wann genau sie zum Tragen kamen. Die Finanzkrise war Folge erschreckender Unkenntnis. Das hat sich geändert. Banken sind vorsichtiger geworden, gezwungenermaßen.

Natürlich möchte die Geldindustrie dem Eindruck entgegentreten, Pleiten seien in der Krise eine zulässige Option. Blessings forsche Worte sorgten darum in Finanzkreisen für einigen Verdruss, auch, weil sie dem Fall Lehman den Schrecken nehmen.

Das heißt im Umkehrschluss nicht, dass die Argumente der Banken rundweg falsch sind. Die Krise in Europa ist noch lange nicht ausgestanden und die Sorge, dass nun Staaten wie Italien sich künftig nur zu wesentlich ungünstigeren Konditionen Geld am Kapitalmarkt besorgen können, ist völlig berechtigt. Europa ist für Banken ein unsicherer Ort geworden.

Und doch ist das nun die Lehre aus dem Fall Griechenland: Pleiten sind möglich. Aber die Finanzmärkte brauchen Zeit, sich an das Undenkbare zu gewöhnen. Neun Prozent Kursgewinn sind ein Beweis dafür. Wenn auch womöglich ein zu euphorischer.

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