Kulturpolitik:Gutachten für Gesetz für Antisemitismusklausel in der Kultur

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Der Kampf gegen Antisemitismus auch in der Kultur sorgt für viel Diskussion. Auch Verhaltensklauseln sind im Gespräch. Nun zeigt ein Gutachten Möglichkeiten und Grenzen auf.

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Berlin (dpa) - Der Berliner Rechtswissenschaftler Christoph Möllers hat ein Gutachten zur „Zulässigkeit von präventiven Maßnahmen der Bekämpfung von Antisemitismus und Rassismus in der staatlichen Kulturförderung“ erarbeitet. Das von Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) in Auftrag gegebene Gutachten liegt der dpa in Berlin vor. Zuvor hatte die „Süddeutsche Zeitung“ über die Einschätzungen berichtet.

Möllers hatte für Roth bereits nach den Antisemitismusvorwürfen gegen die documenta fifteen ein Gutachten zu grundrechtlichen Grenzen und Schutzgeboten staatlicher Kulturförderung geschrieben. Die Debatte um Klauseln gegen Antisemitismus und Rassismus war nach der Berlinale neu entfacht worden.

Während der Gala war der Nahostkonflikt mehrfach thematisiert worden. Zahlreiche Mitglieder aus Jurys sowie Preisträgerinnen und Preisträger forderten verbal oder mit Ansteckern einen Waffenstillstand im Gaza-Krieg und kritisierten die Situation in den von Israel besetzten Gebieten und das Vorgehen der israelischen Armee in Gaza. Im Anschluss gab es Kritik bis hin zu Vorwürfen von Israelhass und Antisemitismus.

Kultur kann auf Nebenziele verpflichtet werden

Möllers schreibt in dem 34 Seiten umfassenden Gutachten, der Staat könne auf der Ebene demokratischer Kunst- und Kulturpolitik „die Förderung von Kunst und Kultur mit nicht kunst- oder kulturimmanenten weiteren Zielen verbinden“. Öffentliche Kulturinstitutionen könnten materiell auf Nebenziele verpflichtet werden und diese auch selbst vorsehen.

Gleichzeitig verwies Möllers darauf, Kulturinstitutionen seien in ihrer künstlerischen Arbeit von der Kunstfreiheit geschützt. Interventionen in den eigentlichen Bereich ihrer Arbeit seien deswegen durch das Grundgesetz ausgeschlossen.

Gesetzliche Grundlage notwendig

Für die „ausdrückliche Verpflichtung auf Ziele wie die Bekämpfung von Antisemitismus und Rassismus“ sieht der Rechtsexperte vorbehaltlich einer Prüfung im Einzelfall die Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. Zudem verfügten Kulturinstitutionen über Gestaltungsmöglichkeiten, die den Kunstbegriff selbst betreffen. „Dazu kann es gehören, die Bekämpfung von Antisemitismus und Rassismus in die eigene Aufgabenwahrnehmung zu integrieren.“ Die Entscheidung einer Kulturinstitution, etwa bei der Ausgestaltung von Programmen mögliche antisemitische oder rassistische Inhalte zu einem negativen Kriterium zu machen, sei von der Kunstfreiheit geschützt.

Aus Sicht von Möllers bedürfen solche Regeln für öffentliche Kulturinstitutionen einer gesetzlichen Grundlage. „Das gilt auch für bindende Verpflichtungen gegen Antisemitismus und Rassismus.“ Durch eine gesetzliche Regelung könnten öffentliche Kulturinstitutionen und Geförderte auf bestimmte Prinzipien verpflichtet werden. Aus der Freiheit dieser Einrichtungen folgt laut Gutachten umgekehrt auch, „dass diese sich eigenständig dazu entschließen können, ihre Förderung auf diese Ziele auszurichten“.

Kontrollstruktur missbrauchsanfällig

Möllers gibt zu bedenken, dass es zu einer deutlichen Veränderung der Förderpraxis kommen könnte. „Eine solche Erweiterung des öffentlichen Auftrags legt die Errichtung einer Kontrollstruktur nahe, die ihrerseits missbrauchsanfällig ist und die die faktischen Spielräume öffentlicher Kunstinstitutionen auf eine problematische Art und Weise zugunsten politischer Einflussnahme einengen könnte.“

Zudem stellt sich laut Möllers die Frage, „inwieweit der Staat auch Zuwendungsempfänger auf ein Bekenntnis zu einer bestimmten Definition des Antisemitismus verpflichten kann“. Eine solche Verpflichtung sei ein Eingriff in die Meinungs- und Bekenntnisfreiheit sowie wegen der wissenschaftlichen Umstrittenheit der Definitionen wohl auch in die Wissenschaftsfreiheit.

Potenzial für Kontrolle des Kunstbetriebs

Abschließend schreibt Möllers, wenn sich der Staat dazu für Rechtspflichten entscheide, solle er diese auch vollziehen wollen. „Von der Durchsetzungsebene hört man in der kulturpolitischen Debatte freilich wenig.“ Er fragt etwa danach, wer kontrolliere, ob Angaben stimmen oder nach welchem Ermessen über Rücknahmen entscheide. Möllers sieht potenziell Raum „für eine beträchtliche nachgelagerte Kontrolle des gesamten öffentlichen Kunstbetriebs“. Dies begründe „ein nachvollziehbares Unbehagen“.

Möllers: „Die Entscheidung, ob ein solches Instrument gewählt wird, sollte sich bei allem verständlichen politischen und moralischen Gram über die dramatische Zunahme eines offenen Antisemitismus im Kulturbetrieb aber nicht auf die Feststellung beschränken, dass dessen Bekämpfung ein richtiges Ziel ist.“

© dpa-infocom, dpa:240319-99-395328/3

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