Verfassungsgericht:Und wieder grüßt die Vorratsdatenspeicherung

Verfassungsgericht: Illustration: Stefan Dimitrov

Illustration: Stefan Dimitrov

  • FDP-Politiker klagen vor dem Verfassungsgericht in Karlsruhe gegen das neue Gesetz über die Vorratsdatenspeicherung.
  • Bereits 2010 haben sie dort gegen das erste deutsche Gesetz zur Datenspeicherung geklagt. Damals mit Erfolg: Das Gericht erklärte die Vorschriften für verfassungswidrig.
  • Bei der neuen Klage wird auch das EU-Recht eine wichtige Rolle spielen.

Von Heribert Prantl

Das Gewicht von Verfassungsbeschwerden bemisst sich nicht nach Pfunden, sondern nach juristischen Argumenten; aber auch bei den Pfunden kann diese Verfassungsbeschwerde mithalten: Sie wiegt so viel wie ein Laib Brot und hat 198 Seiten. An diesem Mittwoch wird Wolfgang Kubicki, Fraktionschef der FDP in Schleswig-Holstein, das Beschwerde-Paket in Karlsruhe übergeben.

Kubicki ist einer von zwanzig liberalen Klägern gegen das neue Gesetz über die Vorratsdatenspeicherung (VDS) - an der Spitze Burkhard Hirsch, 85, Bundestagsvizepräsident a. D und früherer Innenminister von Nordrhein-Westfalen; Gerhart Baum, 83, früherer Bundesinnenminister im Kabinett Helmut Schmidt; Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, 64, frühere Bundesjustizministerin in den Kabinetten von Helmut Kohl und Angela Merkel. Beschwerdeführerin ist auch die FDP als Partei, vertreten durch den Bundesvorsitzenden Christian Lindner , 37. Drei weitere Verfassungsbeschwerden, unter anderem von grünen Abgeordneten und Journalistenverbänden, liegen in Karlsruhe schon vor.

Das neue Gesetz

Das neue Vorratsdatenspeicherungsgesetz ist das zweite seiner Art. Das erste verpflichtete die Provider, alle elektronischen Spuren des gesamten Telekommunikationsverkehrs sechs Monate lang zu speichern und wurde 2010 von Karlsruhe für verfassungswidrig erklärt. Das neue Gesetz, in Kraft seit 18. Dezember 2015, sieht kürzere Speicherfristen vor - vier und zehn Wochen. Die Standortdaten aller Leute, die mobil telefonieren oder das Internet nutzen, werden vier Wochen lang, die Rufnummern, Zeit und Dauer aller Telefonate sowie die Daten der SMS-Nachrichten werden für zehn Wochen gespeichert; ebenso die IP-Adressen aller Internetnutzer sowie Zeit und Dauer der Internetnutzung. Diese Daten werden, so das Gesetz, im Inland gespeichert, anschließend sollen sie gelöscht werden. Heribert Prantl

Die Klagen der "üblichen Verdächtigen" haben Wirkung in Karlsruhe

Hirsch, Baum, Leutheusser-Schnarrenberger - die drei werden bisweilen etwas herablassend als "die üblichen Verdächtigen" bezeichnet. Aber den Verdacht, nicht nur im Zweifel sondern in der Regel für den Rechtsstaat zu streiten, lassen sie gerne auf sich sitzen. In Karlsruhe haben ihre Klagen Wirkung: Sie haben gegen den großen Lauschangriff, gegen das Luftsicherheitsgesetz (das den Abschuss entführter Passagierflugzeuge erlauben wollte) und gegen die staatliche Online-Durchsuchung von privaten Computer erfolgreich geklagt.

In Sachen Vorratsdatenspeicherung treten die drei Bürgerrechtler nun zum zweiten Mal in Karlsruhe an: 2010 hatten sie dort ein vernichtendes Urteil gegen das erste deutsche Gesetz zur Datenspeicherung erstritten. Damals erklärte das höchste Gericht dessen Vorschriften für verfassungswidrig und nichtig; es verpflichtete die Telekommunikationsunternehmen zur sofortigen Löschung der gesammelten Daten; und es stellte eine so lange Reihe von Voraussetzungen für ein neues Speichergesetz auf, dass man sich nicht so recht vorstellen konnte, diese könnten irgendwie eingehalten werden.

Strenge Vorgaben - von deutschen und europäischen Richtern

Das aufgehobene Gesetz von 2008 hatte auf einer EU-Richtlinie basiert. Diese EU-Richtlinie existiert mittlerweile aber nicht mehr: Der Europäische Gerichtshof hat sie 2014 für ungültig erklärt, da sie mit der Charta der EU-Grundrechte nicht vereinbar sei. Das wurde allgemein als das endgültige Aus für die Vorratsdatenspeicherung betrachtet.

Aber es verhielt sich damit so wie mit dem Murmeltier: Das grüßt täglich - und die Vorratsdatenspeicherung tut das auch. Kaum war sie aus Debatte und Gesetz verschwunden, tauchte sie, proklamiert von CDU und CSU, wieder auf. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel kümmerte sich wenig um das Votum des EU-Gerichts; er zwang den widerstrebenden Bundesjustizminister Heiko Maas aus innenpolitischen Gründen auf VDS-Linie. Ergebnis ist das neue Gesetz vom 10. Dezember 2015, das nun nicht mehr auf einer EU-Richtlinie fußt, sondern allein auf deutschen Rechtsgrundlagen.

Doch das EU-Recht wird nun, wenn das Bundesverfassungsgericht das neue Speicherungsgesetz prüft, eine wichtige Rolle spielen. Darauf verweist der Rechtsprofessor Heinrich Amadeus Wolff, der die Verfassungsbeschwerde akkurat und penibel verfasst hat; Wolff, Ordinarius für Öffentliches Recht, Recht der Umwelt, Technik und Information an der Universität Bayreuth, stellt gleich in der Einleitung seines langen Schriftsatzes fest, dass die Rechtsprechung des EU-Gerichtshofs zur Verhältnismäßigkeit nicht übergangen werden könne. Die Luxemburger Richter haben da einiges aufgelistet: Es dürften nicht, wie bisher, die Taten von Personen gespeichert werden, "bei denen keinerlei Anhaltspunkt dafür besteht, das ihr Verhalten auch nur in einem mittelbaren oder entfernten Zusammenhang mit schweren Straftaten stehen könnte". Das Gericht verlangte das Ende der Totalerfassung.

Kritisiert wird, dass Ausnahmen für die Kommunikationsdaten bestimmter Vertrauensberufe fehlen

Das heißt: es muss irgendein Verdacht gegen eine Person bestehen, wenn deren Daten gespeichert werden sollen. Darauf stützt sich auch die Verfassungsbeschwerde - und auf einen weiteren Punkt der EU-Richter: Diese hatten kritisiert, dass die VDS-Richtlinie keinerlei Ausnahme kannte für die Kommunikationsdaten bestimmter Vertrauensberufe, sodass die Richtlinie auch das Abgreifen und Speichern der Daten von Anwälten, Ärzten, Geistlichen und Journalisten ermöglichte, "deren Kommunikationsvorgänge dem Berufsgeheimnis unterliegen".

In 24 Punkten rügt die Verfassungsbeschwerde daher eine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, in 17 Punkten eine Verletzung des Bestimmtheitsgebots. Das Gesetz regele schwere Freiheitseingriffe "nachlässig und ungenau", wo das Grundgesetz zum Schutz der Bürger höchste Präzision verlange. Unklar bleibe zum Beispiel, ob Verfassungsschutzbehörden vom Landesgesetzgeber zum Zugriff auf die Speicherdaten ermächtigt werden dürften - die bayerische Staatsregierung hat das schon beschlossen, der Bundesjustizminister hat dagegen protestiert.

Das neue Gesetz widerspreche der Zusage des Gesetzgebers, dass Inhalte nicht gespeichert würden, sondern nur die "äußeren Daten". Denn bei SMS-Nachrichten wird auch der Inhalt erfasst. Massiv rügt Wolff, dass die Vertrauensberufe keinen umfassenden Schutz vor einer Vorratsdatenspeicherung genießen, sondern nur der Zugriff auf ihre gespeicherten Daten beschränkt sei.

In Zeiten, in denen moderne Kommunkationsformen Pflicht sind, muss sich der Einzelne auf Vertraulichkeit verlassen können

In der heutigen Gesellschaft werde man, so heißt es in der Verfassungsbeschwerde, "zum kontaktlosen Einsiedler", wenn man sich nicht der modernen Kommunikationsformen bediene. Umso mehr müsse sich der Einzelne auf Vertraulichkeit verlassen können. Das Post- und Fernmeldegeheimnis des Grundgesetzes dürfe "keine museale Erinnerung an graue Vorzeiten werden, in denen man noch unbefangene Kontakte haben konnte".

Verfassungskläger Hirsch zeigte sich im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung erstaunt darüber, dass in der Presse zur Vorratsdatenspeicherung "eine Art ruhiger Gelassenheit" vorherrsche. Wenn staatliche Ermittler wissen wollten, welcher Whistleblower einem Journalisten Auskunft gegeben habe, "wird das in Zukunft kein großes Problem sein". Es sei denn, das Verfassungsgericht greift ein.

Einen von anderen Beschwerdeführern eingereichten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die VDS haben die Richter allerdings schon abgelehnt. Das besagt allerdings wenig über die Erfolgsaussichten der Klagen. Besondere Eile besteht noch nicht, denn es wird noch gar nicht gespeichert: Es gilt eine Übergangsfrist von 18 Monaten. Erst muss die Bundesnetzagentur die technischen Anforderungen definieren. Anschließend haben die Telekommunikationsanbieter weitere sechs Monate Zeit, die notwendige Technik zu installieren.

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