Ein Philipp-Schwartz-Stipendium hat auch Pınar Şenoğuz bekommen. Die Anthropologin war eine der Ersten, die Anfang 2016 den Friedensappell unterzeichnet hat. Unter dem Titel "Academics for Peace" forderten sie damals die türkische Regierung auf, den Friedensprozess mit den Kurden wieder aufzunehmen. Die Reaktionen waren heftig. Präsident Erdoğan reagierte mit Entlassungen und Gerichtsverfahren. Noch vor dem Militärputsch im Juli hatten mehr als fünfzig "Academics for Peace" ihre Stellen verloren.
Şenoğuz wollte dennoch in der Türkei bleiben, in Gaziantep im Südosten des Landes. Sie hatte von dort aus jahrelang das türkisch-syrische Grenzgebiet erforscht, ihre Arbeit war noch nicht abgeschlossen. Doch die Situation wurde immer brenzliger. Kurz nach dem Putschversuch gelang es ihr gerade noch rechtzeitig, nach Deutschland auszureisen. Anderen Kollegen, die später kamen, wurde die Ausreise untersagt. Heute arbeitet Şenoğuz an der Universität Göttingen. Immerhin, sagt sie bei einem Spaziergang über den Campus, habe sie jetzt Zeit, um ihre Forschungsergebnisse in einem Buch zusammenzufassen. Zurück im Büro schaut Şenoğuz als erstes nach, ob ihr wieder Kollegen aus der Türkei geschrieben haben.
Şenoğuz und Maksudyan betonen beide, wie warmherzig sie von ihren Kollegen in Deutschland empfangen worden seien und wie wichtig ihnen die Stipendien sind. Angesichts der Lage in der Türkei müsste deren Zahl allerdings noch weiter ausgebaut werden. Wie unsicher die Situation inzwischen ist, sieht man auch an aktuellen Zahlen von Scholars at Risk. Seit Januar 2016 haben sich insgesamt 500 türkische Wissenschaftler bei dem Netzwerk gemeldet, das sich um verfolgte Wissenschaftler kümmert. Laut einem Sprecher liege die Türkei damit inzwischen vor Syrien.
Entlassene Wissenschaftler in der Türkei versuchen indes, den Unterricht für ihre Studenten fortzusetzen. In sechs Städten gebe es "Solidaritäts-Akademien" unter freiem Himmel, meist in öffentlichen Parks, berichtet Şenoğuz. Viele ihrer Kollegen benötigten dringend Geld. Deshalb haben die Academics for Peace jüngst eine Crowdfunding-Kampagne ins Leben gerufen, über die man Wissenschaftler in der Türkei unterstützen kann. "Sie brauchen aber auch den wissenschaftlichen Austausch", sagt Şenoğuz weiter. Deutsche Forscher könnten die Kollegen in der Türkei zum Beispiel in Online-Seminare einbinden oder in Forschungsprojekte mit Türkei-Bezug.
Auch einzelne Wissenschaftler können etwas tun. Das zeigt das Beispiel des Bielefelder Konfliktforschers Andreas Zick. Im Juli 2016 bekam er den Communicator-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft verliehen. Spontan habe er sich entschieden, einem türkischen Kollegen mit dem Preisgeld zu helfen, sagt Zick - immerhin 50 000 Euro. Das musste allerdings diskret geschehen, um den Kollegen in der Türkei nicht zu gefährden. Also spendete Zick das Geld an seine Universität. Die verdoppelte den Betrag und ermöglichte den Gastaufenthalt des Forschers aus der Türkei. Das habe gut geklappt, sagt Zick, aber er geht noch einen Schritt weiter: "Eigentlich brauchen wir ein europäisches Stipendienprogramm für gefährdete Wissenschaftler."