Wissenschaft in der Türkei:"Ich werde zum Schweigen gebracht"

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Wissenschaft in der Türkei: Studierende und Mitarbeiter der Universität von Ankara protestieren gegen Kündigungen des Hochschulpersonals.

Studierende und Mitarbeiter der Universität von Ankara protestieren gegen Kündigungen des Hochschulpersonals.

(Foto: AFP)

Wissenschaftler in der Türkei leben gefährlich. Diejenigen, die das Land noch rechtzeitig verlassen haben, kommen vor allem nach Deutschland.

Von Carsten Janke

Es ist nicht das erste Mal, dass Nazan Maksudyan nach Deutschland kommt, um zu forschen. Doch diesmal ist es anders. "Ich verliere alle meine akademischen Einflussmöglichkeiten in der Türkei", sagt die Historikerin, die seit Ende letzten Jahres in Berlin lebt und am Leibniz-Zentrum Moderner Orient arbeitet. Zu Fachkonferenzen in der Türkei werde sie nicht mehr eingeladen. Ihre Artikel würden kaum noch in Fachzeitschriften oder Büchern veröffentlicht. "Ich werde zum Schweigen gebracht wegen meiner wissenschaftlichen Meinung über den Genozid an den Armeniern." Dabei hatte Maksudyan Glück im Unglück. Mit einem Stipendium der Humboldt-Stiftung kann sie in Deutschland weiter forschen - anders als viele ihrer Kollegen.

In der Türkei wurden in den vergangenen Monaten mehr als 7000 Hochschulangestellte entlassen, das haben Zählungen türkischer Journalisten ergeben. Sie hätten gegen die Regierung gearbeitet, lautete meist die Begründung. 15 Universitäten mussten schließen, die meisten wegen des Vorwurfs, der Gülen-Bewegung nahezustehen. 400 Professoren und Dozenten verloren ihre Stellen, weil sie einen Friedensappell an die türkische Regierung unterzeichnet hatten. Die meisten von ihnen sind seitdem ohne Einkommen, andere Hochschulen stellen sie nicht ein. Auch für Fachzeitschriften sollen sie, nach einer aktuellen Verordnung, nicht länger arbeiten können. Das Land dürfen sie praktisch nicht verlassen. Für viele ist die Situation dramatisch. Einer der Unterzeichner beging im Februar Suizid.

Die Entlassungen unliebsamer Professoren haben lange vor dem Putschversuch im Juli 2016 begonnen. Inzwischen haben sie allerdings ein Ausmaß erreicht, das die Wissenschaftsfreiheit in der Türkei in ernste Gefahr bringt. Wie es so weit kommen konnte, davon berichten die, die rechtzeitig das Land verlassen haben. So wie Nazan Maksudyan. Aus Angst hatte sie den Friedensappell nicht unterschrieben, auch wenn sie dessen Forderungen unterstützte. Deshalb konnte sie länger als andere in der Türkei arbeiten.

"Gleich nach dem Putsch gab es Gerüchte auf Twitter, wonach die Regierung Whatsapp-Gespräche mitlesen könne", erzählt Maksudyan, "also haben alle ihre Chat-Verläufe gelöscht." Immer öfter habe es kritische Bemerkungen aus der Universitätsverwaltung gegeben. Mit ihren Forschungen, unter anderem zum Genozid an den Armeniern, bringe Maksudyan das gesamte Institut in Gefahr. Der Kreis von Menschen, mit denen sie über Politik gesprochen habe, sei immer enger geworden. Im November ging sie nach Deutschland.

Deutschland ist im vergangenen Jahr zum Hauptziel für geflohene Wissenschaftler in Europa geworden, so das Netzwerk "Scholars at Risk". Vorher waren es die Niederlande und Norwegen. Das dürfte auch an den Philipp-Schwartz-Stipendien liegen. Seit 2015 unterstützen damit verschiedene Stiftungen und das Auswärtige Amt hiesige Universitäten dabei, gefährdete Wissenschaftler aus dem Ausland für zwei Jahre aufzunehmen. 27 der 69 Stipendiaten kommen derzeit aus der Türkei. Bis zum 21. April können sich gefährdete Forscher abermals um ein Stipendium bewerben. Benannt, eine Volte der Geschichte, wurde das Stipendium nach dem Mediziner Philipp Schwartz. Er hatte nach 1933 deutschen Wissenschaftlern die Ausreise in die Türkei ermöglicht, nachdem sie - wie er selbst - von den Nazis aus dem Universitätsdienst entlassen worden waren.

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