Auf dem Campus der University of Houston ist in diesem Semester alles wie immer. Mit einer Ausnahme: Die Studenten dürfen jetzt Schusswaffen tragen. Das Gesetz, das an allen staatlichen Universitäten in Texas gilt, war höchst umstritten. Und es könnte Schule machen - auch andere Bundesstaaten, wie zum Beispiel Ohio, erwägen derzeit ähnliche Regelungen. Die Genehmigung von Schusswaffen sorgt an den Universitäten für viele Diskussionen.
Das ließ sich wenige Wochen nach Semesterbeginn in Houston gut beobachten. Dort schwankten die Studenten zwischen Gelassenheit und leichter Sorge. "Eigentlich ist der Campus sicher, aber es fühlt sich seltsam an", erzählte Studienanfängerin Anna an einem sonnigen Herbsttag auf dem Weg in eine Vorlesung. "Die Angst ist aber eher abstrakt, in meinem Hinterkopf."
Der Sinologie-Student Tyler dagegen betonte: "Mir ist das egal und den meisten Kommilitonen auch." In seinem Politikseminar sei das Gesetz von allen akzeptiert, nur "ein paar Studenten mochten es nicht", erzählte der 20-Jährige: "Texas ist ein konservativer Staat." Der Jung-Biologe John dagegen war sich unsicher: "Wenn du keine schlechten Vorsätze hast, kein Problem. Aber es ist eine Menge passiert in den USA in den letzten Jahren. Wer weiß, was Studenten mit Waffe tun, wenn man sie provoziert."
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Für den Chemie-Studenten Alex wiederum handelt es sich um ein Bürgerrecht. "Es ist eine Frage des Prinzips. Meine Freunde lassen ihre Waffe meistens im Auto. Eigentlich sollte die Uni sicher und offen sein, niemand sollte sie tragen müssen", so die Einschränkung. "Aber es gibt so viele Irre heutzutage, es ist gut, dass wir es können."
Traditionell waren Unis waffenfreie Zonen
Alex' Argument ist die klassische Begründung, mit der inzwischen acht Bundesstaaten das verdeckte Tragen - "concealed carry" - auf dem Campus zulassen. Neben Texas sind dies Colorado, Idaho, Kansas, Mississippi, Oregon, Wisconsin und Utah. In Georgia wiederum legte der republikanische Gouverneur Nathan Deal sein Veto ein: "Von den frühesten Tagen unserer Nation und unseres Staates an wurden Universitäten wie ein Schutzgebiet des Lernens behandelt", argumentierte er.
Bildungseinrichtungen waren trotz der gewalttätigen Geschichte der USA lange Zeit ein Ort, an dem Pistolen nichts zu suchen hatten. Bereits 1824 entschied der Verwaltungsrat der University of Virginia, dass Studenten keine Waffen auf dem Campus zu tragen hätten. Dem Gremium gehörten auch Gründerväter wie Thomas Jefferson und James Madison an.
Dass diese Tradition langsam aufgegeben wird, hat mit zwei Entwicklungen zu tun: Seit mehr als drei Jahrzehnten hat die amerikanische Waffenindustrie "Selbstverteidigung" in das Zentrum ihrer Marketingbotschaft gestellt, um Zielgruppen jenseits von Sicherheitsbehörden und Jägern zu erreichen.
Zugleich sind viele republikanische Politiker mit Unterstützung der Lobbygruppe NRA (National Riffle Association) dazu übergegangen, das verfassungsgemäße Recht auf Waffenbesitz immer radikaler zu interpretieren, Liberalisierungen als Kampf für den Erhalt der Verfassung zu verkaufen und waffenfreie Zonen nach und nach abzuschaffen. Schon seit dem tödlichen Massaker an der Virginia Tech 2007 heißt es immer wieder: Wenn jemand eine Waffe dabei gehabt hätte, wäre das Schlimmste zu verhindern gewesen.
Diese Theorie - ihr hängt auch Donald Trump an - ist umstritten, wäre doch auch für die in Houston omnipräsenten Wachdienste und Campus-Polizisten schwer zu entscheiden, wer in einer Schießerei der Aggressor ist und wer sich verteidigt. "Und nur bei den wenigsten Vorfällen brauchen wir überhaupt einen guten, trainierten Sicherheitsbeamten - und noch weniger einen bewaffneten Zivilisten", sagt Jonathan Snow.
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Der Geologe Snow ist in Houston Präsident des Fakultätssenats, eines von den Mitarbeitern gewählten Vertretergremiums, das die Uni-Führung berät. "Dozenten finden Texas weniger attraktiv, seitdem die Bewaffnung erlaubt ist", erzählt er. Gesetze werden zum Standortfaktor für Forscher und Dozenten. "Wenn in einem Hörsaal mit 200 Menschen etwas passiert, ist klar, wer zuerst dran ist", sagt Snow. "Der Mensch, der da vorne steht."
Die Dozenten und Uni-Mitarbeiter in Houston waren gegen das neue Gesetz, nun wollen sie zumindest, dass sie Waffenverbote für ihre Büros aussprechen dürfen. Vor allem aber fürchten sie etwas, das sich nicht in der Zahl von Zwischen- oder Unfällen messen lässt: Eine verödende Diskussionskultur über kontroverse Themen, weil sich Dozenten und Studenten nicht der Gefahr aussetzen wollen, mögliche anwesende Waffenträger zu provozieren.
Auch 2017 stehen in vielen Bundesstaaten Entscheidungen über "Campus Carry" an: In Florida wird ein Gesetz diskutiert, das das Schusswaffenverbot an staatlichen Unis aufheben könnte (drei von vier Bewohnern des Bundesstaates sind dagegen). In Kansas wiederum läuft im Juli ein Gesetz aus, dass das Tragen von Waffen auf dem Campus blockiert - nun streiten Uni-Vertreter mit konservativen Senatoren darüber, ob die Regelung auf unbefristete Zeit verlängert werden soll.
Studenten in Ohio stimmen dagegen
Ohio gibt Schusswaffen ab März ebenfalls frei, lässt aber den Universitäten die Wahl, ob sie ein eigenes Verbot verhängen. Die Ohio University hielt Ende Januar ein Referendum ab, an dem sich fast 7000 Studenten beteiligten. Das Ergebnis: Etwa zwei Drittel der Studierenden lehnt eine Erlaubnis zur Bewaffnung auf dem Campus ab. Das entspricht in etwa den allgemeinen Umfrageergebnissen zum Thema.
Unter der Regierung in Washington könnten Bundesstaaten womöglich bald weitere Schusswaffen-Zonen in Bildungseinrichtungen beschließen: 132 Republikaner im Repräsentantenhaus haben einen umstrittenen Gesetzentwurf vorgelegt, der das landesweite Verbot von Schusswaffen an Schulen aus dem Jahr 1990 aufheben würde. Das bekannte Argument: Bewaffnete Lehrer wären in der Lage, Schüler gegen Amokläufer verteidigen.