Wenn ein Kind körperlich, geistig oder seelisch behindert ist - welche Schule sollte es dann besuchen? Ist eine Sonderschule mit Förderung in kleinen Gruppen das Beste? Oder eine sonderpädagogisch unterstützte Regelschule, mitten in der Gesellschaft?
Beschämend finden es manche, dass diese Frage überhaupt noch gestellt und dass so erbittert darüber gestritten wird. Doch die sogenannte Inklusion - die Integration von aktuell 524 000 gehandicapten Kindern und Jugendlichen in die reguläre Schule - ist kein Selbstläufer. Höchst unterschiedlich sind die Fortschritte in Deutschland. In Bremen besuchen 89 von 100 Schülern mit Förderbedarf eine Regelschule. In Hessen nur 27. Über die Qualität des inklusiven Unterrichts sagen solche nackten Zahlen kaum etwas. Über den politischen Willen umso mehr:
UN-Behindertenrechtskonvention
2009 trat in Deutschland die Behindertenrechtskonvention (BRK) der Vereinten Nationen in Kraft. Sie verpflichtet Vertragsstaaten dazu, ein inklusives Schulsystem zu schaffen. Befürworter einer strikten Inklusion verstehen darunter die Abschaffung von Sonderschulen. Dagegen sehen Anhänger des gegliederten Schulsystems Sonderschulen als Teil des allgemeinen Schulsystems, das folglich inklusiv sei. Der Streit entzweit Lehrer, Wissenschaftler und Politiker. SPD, Grüne und Linkspartei wollen Sonderschulen eher schließen, CDU, CSU und FDP sind eher für deren Erhalt.
Zukunft der Inklusion in NRW
Wie gefährlich der politische Wille den Regierenden werden kann, haben die letzten Wahlen in Nordrhein-Westfalen gezeigt. Einer der Hauptgründe für die Abwahl von Rot-Grün war die Schulpolitik. Der Tropfen, der den Frust zum Überlaufen brachte, war die Inklusion. Mehr als ein Viertel aller förderbedürftigen Schüler in Deutschland lebt in NRW: 140 500 Kinder und Teenager. 41 Prozent von ihnen besuchen Regelschulen, vor zehn Jahren waren es zwölf Prozent. Doch um den gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Handicap auch qualitativ erfolgreich aufzubauen, fehlt es bis heute vielen Schulen an Ausstattung und Fachpersonal. Lehrer und Eltern protestierten immer lauter. Gut gemeint, schlecht gemacht, lautete die landläufige Kritik an der rot-grünen Politik.
Schwarz-Gelb will es in NRW nun besser machen. Eine "Neuausrichtung der Inklusion" verkündete Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) kürzlich. Die Eckpunkte sind vom Kabinett schon gebilligt:
Vom Schuljahr 2019/20 an dürfen von der fünften Klasse an nur noch Schwerpunktschulen inklusiven Unterricht anbieten. Dafür müssen sie Sonderpädagogen, geeignete Konzepte und Räume vorweisen können. Die Eingangsklassen werden im Durchschnitt mit 25 Kindern gebildet, drei davon mit Förderbedarf. 1024 Schulen hatten zuletzt weniger Förderkinder pro Eingangsklasse aufgenommen - nach den neuen Regeln fallen sie damit aus dem System.
Jede Klasse bekommt zu der Lehrkraft eine halbe Stelle hinzu, die mit Pädagogen, Erziehern oder Sozialarbeitern besetzt werden kann. So sollen in den sechs Jahren des Umbaus 6000 Stellen mehr für die Inklusion bereitgestellt werden, als von Rot-Grün vorgesehen. "Die Landesregierung investiert massiv in die Inklusion", so Gebauer.
Gymnasien ist eine Art Inklusion light erlaubt: Sie müssen nur behinderte Kinder aufnehmen, die das Zeug zum Abi haben.
Sonderschulen will Schwarz-Gelb erhalten, indem die Mindestgrößen gesenkt werden. 40 akut von Schließung bedrohte kleine Schulen können sich so retten. Personell fahren Sonderschulen schon im nächsten Schuljahr besser: Insgesamt erhalten sie dann 11 235 Stellen, davon 930 "Mehrbedarfsstellen". Die Regelschulen bekommen für ihre Förderaufgabe 6965 Stellen.