Schule:Diese Frau kämpft für einen Ort, an dem alle gleich gut lernen können

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Als Deutsch-Senegalesin erlebt Saraya Gomis auch selbst Rassismus. Aber darüber will sie nicht sprechen. Schließlich gehe es nicht um sie, sondern um die Schüler, sagt sie. (Foto: Britta Pederspicture/dpa/PA)

Saraya Gomis ist Antidiskriminierungsbeauftragte für Schulen in Berlin. Dieses Amt ist auch in anderen Städten dringend notwendig.

Von Verena Mayer

Wenn in einer Behörde ein großes Glas mit Gummibärchen steht, weiß man, dass hierher Leute kommen, die getröstet werden müssen. Und das müssen sie oft in diesem nüchternen, hell gestrichenen Raum in einem Hochhaus am Berliner Alexanderplatz. Hier sitzen Grundschulkinder, zu denen jemand auf dem Schulhof gesagt hat: "Ich spiele nicht mit dir, weil du aussiehst wie braune Kacke." Jugendliche, die von ihren Mitschülern als "Schwuchtel" oder "Zigeuner" beschimpft werden, Jungen und Mädchen, die gedemütigt, bedroht, geschubst oder geschlagen werden, weil sie anders aussehen, etwas anderes glauben oder aus einem anderen Land stammen als der Rest ihrer Klasse.

Das Zimmer sieht aus wie so viele Amtsstuben und doch ist es das einzige seiner Art in Deutschland: das Büro der Antidiskriminierungsbeauftragten für Schulen. Einer Frau, die eingreift, wenn Kinder und Jugendliche an einer Schule antisemitisch, rassistisch oder homophob gemobbt werden oder auch, weil sie behindert sind oder ihre Eltern arm. Man denkt, ein solches Amt sollte überall selbstverständlich sein, tatsächlich aber gibt es diese Stelle bislang nur in der Hauptstadt.

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Saraya Gomis, seit 2016 die Antidiskriminierungsbeauftragte der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, hastet im Laufschritt zu ihrem Schreibtisch. Es ist die erste Schulwoche in Berlin, die Arbeit stapelt sich. Gomis muss Mails beantworten, Termine in Schulen machen, den Sommer hat sie etwa damit verbracht, für einen jüdischen Teenager, der an seiner Schule gemobbt wurde, einen neuen Schulplatz zu organisieren. Gomis trägt ein knallblaues Top, einen bunten Rock und auffälligen Schmuck, als wolle sie der tristen Realität etwas entgegensetzen, mit der sie Tag für Tag zu tun hat.

Seit der Debatte um den Fußballer Mesut Özil ist Rassismus wieder ein Dauerthema in Deutschland. Jüngster trauriger Höhepunkt: die Ausschreitungen in Chemnitz.

Begleitet wird die Debatte unter anderem vom Hashtag #metwo. Unter ihm berichteten im Sommer Menschen in den sozialen Medien über ihre Erfahrungen mit Alltagsrassismus. Auffällig viele dieser Geschichten spielten an Schulen. Eine Frau namens Fatma schrieb, dass sie eine Empfehlung für eine Oberschule hatte, aber die Direktorin meinte nur: Das Gymnasium ist zu schwierig für dich. Ein Junge, der Burak heißt, wurde von der gesamten Klasse ausgelacht, als er auf die Frage, was er werden wolle, "Staatsanwalt" sagte, ein gewisser Nathan bekam im Unterricht gesagt: "Ist nicht schlimm, dass du die Aufgaben nicht hast. In euren Ländern ist es ja so heiß, da kann man einfach nicht richtig denken."

Saraya Gomis wundert das nicht, sie hat selbst lange in Schulen gearbeitet, als Lehrerin für Geschichte und Französisch, erst in Hannover, dann in Berlin. "Schule ist ein Spiegel der Gesellschaft, und alles was draußen passiert, gibt es auch an Schulen", sagt sie, das könnten körperliche oder verbale Attacken sein, und insgesamt werde "wenig ausgehalten, dass man unterschiedliche Erfahrungen hat".

Belastbare Zahlen, wie viele Schülerinnen und Schüler von Rassismus betroffen sind, gibt es nicht. Zwar erstellt die Antidiskriminierungsstelle des Bundes alle vier Jahre einen Bericht an den Deutschen Bundestag und fand zum Beispiel 2013 heraus, dass in vielen Beratungsstellen die meisten Anfragen um Schule kreisen. Doch nur zwischen zwei und 25 Prozent der Fälle werden irgendwo gemeldet. Die Hemmschwelle, sich zu beschweren, sei hoch, vor allem Sinti und Roma würden Diskriminierungen selten ansprechen, sagt Gomis. Aus Angst vor der Institution und davor, noch mehr Schwierigkeiten zu bekommen. Meist vergehen etwa zwei Jahre, bis Betroffene sich entschließen, zu ihr zu kommen. Es sind nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern auch Lehrerinnen, Erzieherinnen, Sonderpädagogen, die von Kollegen, Eltern oder Schülern rassistisch angegangen und diskriminiert werden. Erschreckend oft sei Gewalt im Spiel, sagt Gomis.

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Rassismus kann Kinder in allen Schulformen treffen. In Berlin machte der Fall eines Jungen Schlagzeilen, der an einer internationalen Eliteschule gemobbt wurde, weil sein Vater Jude ist. Solche Vorfälle hätten immerhin ein Gutes, sagt Gomis: antisemitische Diskriminierung werde öfter gemeldet. Was nicht heiße, dass sie leichter zu bekämpfen sei. Betroffene hätten am liebsten, "dass das Mobbing aufhört und sie nach einer Aufarbeitung weitermachen können wie zuvor". In der Realität verlassen aber meist die Opfer die Schule.

Und was genau macht sie in ihrem Job? Gomis atmet durch und beginnt, all die Möglichkeiten aufzuzählen, die sie hat. Sie spricht langsam und bestimmt, man merkt, dass sie es gewohnt ist, sich nicht unterbrechen zu lassen. Schulen müssen ihr Zutritt gewähren, sagt Gomis, sie kann an Konferenzen, Studientagen oder am Unterricht teilnehmen. Sie kann sagen, wie man mit einzelnen Fällen umgeht, aber auch mit dem großen Ganzen, wie man etwa den Unterricht über Afrika oder den Islam gestaltet oder wie man mehr Vielfalt in die Lehrerschaft bringt. Und Gomis erklärt immer wieder, was die wenigsten wissen: dass es bei Diskriminierung nicht darauf ankommt, wie etwas gemeint ist, sondern wie es die Betroffenen auffassen. Dass man also die besten Absichten haben, aber dennoch diskriminieren kann.

Und wie war ihre eigene Schulzeit? Gomis stammt aus einer senegalesisch-deutschen Familie, sie hat in Berlin, Frankreich und Afrika gelebt. Sie habe "die unterschiedlichsten Erfahrungen gemacht", sagt Gomis, "vom Gefühl, dass mein Aussehen keine Rolle spielt, bis zu massiven Erfahrungen mit Rassismus". Ansonsten will sie nicht über sich sprechen, nicht einmal über ihr Alter. Weil es sonst schnell heiße, sie mache den Job ja nur, weil sie selbst betroffen sei. "Ginge es nach mir, würde ich mich nur mit Menschen umgeben, die mir nah sind, und meine Bubble so halten, dass ich etwa gewisse Erfahrungen in der U-Bahn nicht machen muss."

Sie sitze hier, weil sie Lehrerin sei und in ihrem Berufsleben immer wieder auf das Thema gestoßen wurde. Schon während ihres Referendariats erlebte sie, wie Schüler, die plötzlich schlechte Noten hatten, vom Gymnasium gedrängt oder persönlich abgewertet wurden, "da wurde nicht gefragt, ob sich vielleicht die Eltern scheiden lassen oder jemand krank ist, es hieß nur: Wir sind doch kein Sozialverein, das können wir nicht leisten". Schule aber solle ein Ort sein, an dem alle gleich gut lernen können, und das werde sie in ihrer Arbeit mit vorantreiben. Beliebt macht sie sich an den Schulen damit nicht immer, für viele ist Saraya Gomis fast schon eine Hassfigur. Einfach weil sie eine banale Tatsache durchsetzen will: dass man es aushalten können muss, dass Menschen verschieden sind.

© SZ vom 01.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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