Die Gesellschaft verlangt verdammt viel von den Schulen. Auf Ausbildung und Studium sollen sie die Schüler vorbereiten, auf wissenschaftliches Arbeiten und/oder auf handwerkliches. Außerdem sollen sie einen Erziehungsauftrag erfüllen und die Eltern dabei unterstützen, ihre Kinder zu mündigen Bürgern zu machen. Bei so viel Grundsätzlichem bleibt die Frage: Müssen Schulen mit der Zeit gehen?
Die Antwort ist einfach: Sie müssen, wenn sie den Kontakt zu den Kindern nicht verlieren wollen. Gerade bei der Digitalisierung ist dieser Kontakt wichtig, denn wie der Medienpädagoge Florian Schultz-Pernice von der Münchner LMU sagt: "Man kann nicht so tun, als würden heutige Schüler nicht aus einer durch und durch digitalisierten Welt kommen." Von dieser Welt müssen weder Erwachsene im Allgemeinen noch Lehrer im Besonderen immer begeistert sein. Aber sie müssen sie verstehen und im Falle der Schulen auch für ihre Sache nutzen.
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Die sozialen Medien, von WhatsApp bis Snapchat, sind für heutige Schüler das Kommunikations- und Lebensmedium schlechthin. Und dieses Medium gehört, auf verschiedenen Ebenen, auch in die Klassenzimmer. Drei Forderungen:
Soziale Medien sollten im Unterricht genutzt werden
Die meisten Schüler sind Dauerkommunizierer. Laut Jim Studie 2016 nutzen durchschnittlich 95 Prozent der Jugendlichen zwischen zwölf und 19 Jahren WhatsApp mehrmals pro Woche oder sogar täglich. Bei Instagram gilt das noch für die Hälfte, bei Snapchat und Facebook sind es minimal weniger. Genau dort können Schulen sie abholen.
Viele Lehrkräfte sehen noch immer das (fraglos vorhandene) Ablenkungspotenzial sozialer Medien im Unterricht. Aber dem lässt sich mit klaren Regeln beikommen, die begründet und für alle verständlich sind. Es sind dieselben, die auch im analogen Unterricht seit jeher gelten: Wer mit seinem Nachbarn plaudert, statt dem Unterricht zu folgen, kriegt Stress mit der Lehrkraft. Übersetzt: Wer private WhatsApp-Nachrichten verschickt, statt via Instagram an seinem Kunstprojekt zu arbeiten oder bei Facebook für den Englischaufsatz zu recherchieren, kriegt, genau, Stress mit der Lehrkraft.
Natürlich ist es ein weiter Weg, bis soziale Netzwerke natürlicher Bestandteil der Lehre sein können. Und es gibt auch keinen Grund, dass sie das jederzeit sein müssen. Aber Lehrer und Schulen müssen die Möglichkeiten der Technik erkennen und dürfen sich nicht länger davor fürchten. Eine Hausaufgabengruppe für die ganze Klasse bei WhatsApp, in der der Lehrer auch mal ein Tafelbild teilt oder - zu vorher festgelegten Tageszeiten - außerhalb des Unterrichts eine Frage beantwortet, ist eine feine Sache.
Natürlich gibt es viele datenschutzrechtliche (für alle) und arbeitsrechtliche (für Lehrkräfte) Fragen, die geklärt werden müssen. Und natürlich müssen Lehrkräfte achtgeben, dass beim Einsatz von Social Media niemand unbeabsichtigt ausgegrenzt wird. Denn noch haben womöglich nicht alle Schüler Smartphones in der Tasche - hier ist pädagogisches Fingerspitzengefühl gefragt.
Soziale Medien gehören selbst auf den Lehrplan
Nur weil Schüler Social-Media-Konsumenten sind, heißt das längst nicht, dass sie alles über Sinn und Unsinn der Netzwerke wissen. Und es heißt schon gar nicht, dass sie sich sämtlicher Gefahren bewusst sind, die für junge und womöglich noch leichtgläubige Menschen auf Facebook und Co. lauern können.
Ein Lehrer hat es kürzlich im SZ-Interview so beschrieben: "In sozialen Netzwerken passiert vieles, das die Kinder belastet, krasse Bilder und Videos, sexuelle Übergriffe im Chat, Abmahnungen für illegale Downloads. Lehrer sollten wissen, mit welchen Medien Schüler umgehen und ihnen zur Seite stehen. Wenn sie davon keine Ahnung haben, können sie das nicht."
Es ist Aufgabe der Schule und der Lehrkräfte, Schüler beim Heranwachsen zu begleiten, analog und digital. Deshalb gehören soziale Netzwerke nicht nur als Werkzeug in den Unterricht, sondern auch die dahinterstehenden Mechanismen und Theorien auf den Lehrplan. Dafür braucht es nicht zwingend ein eigenes Fach Medienerziehung, die Stundentafeln sind voll genug. Aber soziale Netzwerke lassen sich in allen möglichen Fächern integrieren. Das kann im Deutschunterricht aus sprachlicher, im Wirtschaftsunterricht aus rechtlicher oder im Religions- und Ethikunterricht aus moralischer Perspektive geschehen. Es muss gewiss um Cybermobbing oder Sexting gehen, aber auch ums Urheberrecht. Damit dürfen Schulen Kinder nicht alleine lassen.
Lehrer müssen sich mit sozialen Medien auseinandersetzen
Dass all das gelingen kann, hängt wie meistens in den Schulen von den Lehrkräften ab. Wenn sie nicht überzeugt vom Sinn sozialer Medien als Werkzeug für modernen Unterricht sind, werden sie sie nicht verwenden. Wenn sie nicht überzeugt sind davon, dass Social Media mehr ist als Ablenkung und Eskapismus, werden sie sie nicht verwenden.
Damit es soziale Netwerke nicht nur in der Unterricht schaffen, sondern damit Lehrkräfte erst mal halbwegs auf Augenhöhe mit ihren Schülern sind bei dem Thema, braucht es große Veränderungen in der Lehrerausbilung. Im Moment kommt die Digitalisierung im Lehramtsstudium kaum vor, vielerorts können angehende Lehrkräfte problemlos an ihr vorbeistudieren. Hier aber, schon vor dem Kontakt mit der Klasse, müssen Pädagogen selbst lernen, wie sie Digitales sinnvoll im Unterricht anwenden. Ein Youtube-Video abzuspielen, macht noch keinen digitalen Unterricht.
Lehrkräfte müssen die wissenschaftliche Komponente der Digitalisierung kennen, sie sollten wissen, wann welches tool lernförderlich wirkt und wann nicht. Klar ist auch: Es mag aus fachlicher Sicht genügen, viele Dinge einmal im Studium zu lernen, um sie ein ganzen Lehrerleben lang vermitteln zu können. Bei Social Media gilt das nicht. Deshalb braucht es regelmäßige Fortbildungsmöglichkeiten für Lehrkräfte, für die ihnen der Dienstherr Raum gibt und sie ihnen nicht zusätzlich zum Unterrichtsgeschehen aufbürdet. Ein Lehrer muss die App bestimmt nicht selbst verwenden; aber er sollte zumindest wissen, welche Chancen und Risiken dieses Snapchat birgt, das plötzlich in der 8a das große Ding ist.