Bildungsministerin:Jüdische Kinder sollen sich in Schulen sicher fühlen

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Stefanie Hubig, Bildungsministerin von Rheinland-Pfalz, spricht im Interview auf dem Grünen Sofa. (Foto: Arne Dedert/dpa)

Meldungen über antisemitische Vorfälle an den Schulen im Land liegen den offiziellen Stellen nicht vor. Dass es aber auch im und nach dem Unterricht Judenfeindlichkeit in Rheinland-Pfalz gibt, darin sind sich das Ministerium und die Bildungsverbände einig.

Von Bernd Glebe, dpa

Mainz (dpa/lrs) - Bildungsministerin Stefanie Hubig macht sich für ein konsequentes Vorgehen bei antisemitistischen Verdachtsfällen an den Schulen in Rheinland-Pfalz stark. Zwar seien bei der Meldestelle für menschenfeindliche, rassistische und antisemitische Vorfälle in den vergangenen zwei Jahren keine Vorkommnisse an den Schulen gemeldet worden, sagte die SPD-Politikerin der Deutschen Presse-Agentur in Mainz. „Das heißt aber nicht, dass es nicht auch antisemitische Vorfälle an Schulen gab.“

Schulen seien der Spiegel der Gesellschaft. „Wir wissen, dass es in der Gesellschaft bei einem viel zu hohen Anteil eine antisemitische Grundhaltung gibt“, erklärte Hubig. „Mir ist es total wichtig, dass wir konsequent dagegen vorgehen. Ich will, dass sich Kinder jüdischen Glaubens in Rheinland-Pfalz wohl und sicher fühlen.“

„Ich finde auch, dass Kinder mit der Kippa in die Schule gehen sollen, wenn es ihnen danach ist.“ Das sei aber leider nicht oft zu sehen. „Ich höre auch, dass viele Kinder nicht sagen, dass sie Juden sind“, sagte Hubig. „Das ist etwas, das ich nicht an den Schulen möchte.“ Deswegen gebe es Fortbildungen für Lehrer, um auch unterschwelligen Antisemitismus zu erkennen und darauf im sowie außerhalb des Unterrichts zu reagieren.

Bereits im Referendariat gebe es entsprechende Module für die angehenden Lehrkräfte. In der Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer sei zudem der Besuch einer KZ-Gedenkstätten verpflichtend, sagte die Bildungsministerin. Im Unterricht für die Kinder und Jugendlichen werde zudem mit Zeitzeugen gearbeitet, um die Schülerinnen und Schüler für das Thema Antisemitismus zu sensibilisieren.

Forderungen des Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung, den Umgang mit Antisemitismus und Rassismus zum verpflichtenden, prüfungsrelevanten Bestandteil der Lehramtsausbildung in ganz Deutschland zu machen, lehnt Hubig ab. Zu dem Thema sei eine klare Haltung erforderlich. „Diese Haltung kann man nicht abprüfen. Für eine Haltung muss man sich auch mit dem Thema auseinandersetzen.“

Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger und der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, hatten jüngst vor Judenhass an deutschen Schulen gewarnt. „So wie in unserer Gesellschaft findet sich Antisemitismus leider auch zunehmend in unseren Schulen“, sagte die FDP-Politikerin. Nach Angaben von Klein geht der Antisemitismus an Schulen nicht nur von Schülern, sondern auch von den Lehrkräften aus.

Dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Rheinland-Pfalz liegen wie auch der Meldestelle derzeit keine Vorfälle vor. Der Landesverband habe mit den angeschlossen Gemeinden Rücksprache gehalten. Diesen seien keine Vorkommnisse dieser Art gemeldet worden, hieß es auf dpa-Anfrage.

Der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sind offiziell auch keine Fälle an Schulen bekannt. „Aber es ist davon auszugehen, dass es antisemitische und israelfeindliche Äußerungen gibt“, sagte der GEW-Vorsitzende Rheinland-Pfalz, Klaus-Peter Hammer, der dpa. Die Lehrkräfte berichteten, dass vor allem bei Gesprächen in den Pausenhöfen diese Art Anfeindungen und Äußerungen unter Schülerinnen und Schülern stattfänden.

„Aber es ist davon auszugehen, dass es nicht nur einen hohen Alltagsrassismus unter den Schülerinnen und Schülern gibt, sondern auch einen massiven Antisemitismus, alte Vorurteile und krude Verschwörungstheorien werden immer noch bedient“, erklärte Hammer. Generell sollte bei Vorfällen in der Schule schnell reagiert und diese Fälle nicht als lapidar abgehandelt werden. „Hierfür braucht es pädagogische Konzepte und Handlungsstrategien.“

Es sei wichtig, an den Schulen und in der Lehrkräfteausbildung das Thema „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ zu verankern. „Ich denke, hier gibt es noch einen Bedarf, dies stärker zu etablieren“, sagte der GEW-Vorsitzende. Das Thema Antisemitismus müsse als eigenständiges, weil besonders sensibles und gefährliches Thema fokussiert werden - „nicht nur aufgrund unserer geschichtlichen Verantwortung, sondern auch weil die Brisanz dieses Themas immer mehr zunimmt“.

Darauf sollten die Lehrkräfte auch argumentativ gut vorbereitet sein. Die Bekämpfung des Antisemitismus sei nicht die Aufgabe einzelner Lehrkräfte oder bestimmter Fächer, sondern der gesamten Schulgemeinschaft, mahnte der Gewerkschafter.

Auch der Philologenverband in Rheinland-Pfalz betonte, der Bericht des Antisemitismusbeauftragten müsse ernstgenommen werden. „Gleichzeitig wissen wir, dass an den Schulen bereits viele Aktionen etabliert sind, die wir etwa in unserer Verbandszeitung bewerben, etwa 'Meet a Jew'“, sagte die Landesvorsitzende Cornelia Schwartz.

Viele Lehrkräfte nutzen etwa auch im Zusammenhang mit dem Geschichtsunterricht Fahrten zu Gedenkstätten. „Hier ist es aus unserer Sicht wünschenswert, dass die Förderung dieser Fahrten sehr viel unbürokratischer geschieht“, betonte Schwartz. Daneben kämen auch im Unterricht in vielen Fächern wie Geschichte, Deutsch, Englisch, Französisch oder Religion/Ethik immer wieder Lektüren zum Einsatz, die sich mit dem Themenbereich Antisemitismus befassen.

Der Philologenverband trete seit Jahren für eine Stärkung des Geschichtsunterrichts ein, betonte die Vorsitzende. Es sei etwa unverzichtbar, dass nicht nur das Dritte Reich, sondern auch die Zeit davor mit der Weimarer Republik und deren Niedergang im Unterricht ausführlich beleuchtet werden könne. „Nur, wenn man die geschichtlichen Zusammenhänge begreift und erkennt, kann man ja überhaupt erst versuchen, aus der Geschichte zu lernen.“

© dpa-infocom, dpa:230710-99-344848/2

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